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Ex-Schülerin der Läderach-Schule sagt, sie sei von einem Lehrer vergewaltigt worden

Der Dok-Film des Schweizer Fernsehens SRF über die evangelikale Schule in Kaltbrunn zieht immer weitere Kreise. Nun erhob eine einstige Schülerin im SRF-Magazin «10 vor 10» weitere schwere Vorwürfe.

Marco
Häusler
12.10.23 - 17:17 Uhr
Menschen & Schicksale
Schweizer Fernsehen löst eine Lawine aus: Seit der Ausstrahlung des Dokumentarfilms «Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes» kommt immer mehr zur Kaltbrunner Schule zum Vorschein.
Schweizer Fernsehen löst eine Lawine aus: Seit der Ausstrahlung des Dokumentarfilms «Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes» kommt immer mehr zur Kaltbrunner Schule zum Vorschein.
Symbolbild SRF

Ganz neu sind die Anschuldigungen nicht. Sie wurden bereits Mitte 2022 im Bericht zur Untersuchung bekannt, welche die Christliche Schule Linth und die Evangelische Gemeinde Hof Oberkirch in Auftrag gegeben hatten. Darin wurden die Ereignisse in ihren Vorgängerorganisationen unter die Lupe genommen. Und schon im Schlussbericht zu dieser Untersuchung stand unter anderem, dass eine Schülerin in der damaligen christlichen Privatschule von einem Lehrer sexuell missbraucht worden sein soll. «Domino servite» – «Dienet dem Herrn» – hiess diese Schule damals noch, und die betroffene Schülerin erhob den Vorwurf anonym.

Jetzt sprach Kelly G., wie sie beim Schweizer Fernsehen SRF genannt wird, am Mittwochabend in der Sendung «10 vor 10» erstmals offen über ihre Erlebnisse an der Kaltbrunner Schule. Diese hatte der heute 62-jährige Ex-Patron des Glarner Chocolatiers Läderach mitgegründet. Die Zustände an dieser Schule wurden am 21. September im Dok-Film «Die evangelikale Welt der Läderachs» angeprangert.  

Sie haben mich als Lügnerin hingestellt

Laut dem Bericht in «10 vor 10» wurde Kelly G. in Brasilien geboren und als Siebenjährige mit ihrem Bruder von einem Schweizer Paar adoptiert. Ab 1995 besuchte sie die evangelikale Privatschule im Hof Oberkirch in Kaltbrunn. Dort sei sie dann als Zwölfjährige von einem Lehrer vergewaltigt worden, der damals an der Schule unterrichtet habe, erzählt sie. Und dass sie das der Schulleitung gemeldet habe, doch: «Sie haben mich als Lügnerin hingestellt. Der Teufel sei in mir, ich hätte mir das alles nur ausgedacht.»

«Sie haben mich als Lügnerin hingestellt. Der Teufel sei in mir, ich hätte mir das alles nur ausgedacht.»

Kelly G., im SRF-Magazin «10 vor 10»

Der mutmassliche Täter habe über seinen Anwalt jegliche Vorwürfe zurückgewiesen, heisst es im «10 vor 10»-Bericht weiter. Das sei eine Geschichte ohne irgendwelche Glaubwürdigkeit oder Beweise. Der Mann soll heute nicht mehr an der christlichen Privatschule unterrichten, die Gottesdienste auf dem Hof Oberkirch besuche er aber weiterhin regelmässig.

Dok-Film spült Verdrängtes nach oben

Kelly G. sei nach dem Vorfall von der Schule ausgeschlossen worden und habe jahrelang geschwiegen. Erst die Ausstrahlung des Dok-Films habe das Verdrängte wieder an die Oberfläche gespült. Sie kenne alle, die im Film vorkämen, sagt Kelly G.: «Auch für sie tut mir das einfach leid.»

Im Film wird vor allem das Klima der Angst beschrieben, das an der Schule geherrscht habe, und Betroffene erzählen, wie sie als Kinder mit Schlägen gezüchtigt worden seien. Schon im Untersuchungsbericht war zudem von Vergewaltigungen die Rede. Unter anderem berichtete eine Betroffene von einer Vergewaltigung durch einen Mitschüler. Schon laut dem Untersuchungsbericht sei von Betroffenen jahrelang auf sexuell grenzüberschreitendes Verhalten einer Lehrperson hingewiesen worden. Darauf habe aber niemand reagiert. Das nähre den Verdacht, dass dies «von verschiedenen Leitungspersonen gebilligt, toleriert, mitgetragen und jedenfalls nicht beseitigt wurde», schreibt der Verfasser des Berichts.

Vielleicht noch nicht verjährt

Auch Kelly G. sagt gegenüber «10 vor 10», von ihrer Vergewaltigung hätten alle vom Leitungsteam gewusst, «auch Jürg Läderach». Dieser hat laut dem Bericht auf Nachfrage erklärt, der Schulrat sei von der Schulleitung jeweils über ausscheidende Schülerinnen und Schüler informiert worden. Der zu Kelly G. geschilderte Hintergrund sei ihm aber nicht bekannt.

Schon zum Dok-Film hatte Jürg Läderach gesagt, er habe niemals Schülerinnen oder Schüler geschlagen oder misshandelt. Das hielt er auch in einer eidesstattlichen Erklärung auf einer Glarner Anwaltskanzlei fest.

Rechtlich gesehen sei eine solche Erklärung allerdings bedeutungslos, erklärt Strafrechtsprofessorin Monika Simmler von der Universität St. Gallen im «10 vor 10»-Bericht. Ein Notar, der ein solches Schreiben beurkunde, prüfe nicht den Inhalt, sondern einzig die Unterschrift.

Laut Simmler könnte Kelly G.s Fall aber rechtliche Folgen haben. Denn obwohl die mutmassliche Vergewaltigung über 20 Jahre zurückliege, könnte sie noch nicht verjährt sein: «Ich gehe davon aus, dass die Behörden jetzt ermitteln müssen und dies abklären werden.»

Marco Häusler ist Dienstchef der Zeitungsredaktion «Glarner Nachrichten». Er absolvierte den zweijährigen Lehrgang an der St. Galler Schule für Journalismus und arbeitete bei der ehemaligen Schweizerischen Teletext AG und beim «Zürcher Unterländer», bevor er im Februar 2011 zu Somedia stiess.

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