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Kräuterfrau mit Leidenschaft: Der Löwenzahn als Wegweiser

Gudrun Turner hat sich bereits mit zehn Jahren den Wildkräutern verschrieben – ein Porträt.

Bündner Woche
25.04.24 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale

von Jasmin Klucker

Es ist ein spannender Weg. Ein Traum, der auf eine andere Art und Weise in Erfüllung gegangen ist. Alles ist so gekommen, wie es kommen sollte. Starke Worte, die fallen. Und dies mit einer grossen Dankbarkeit für das Leben und für die Wild- und Heilkräutern, die draussen in Gudrun Turners Garten langsam vor sich hinwachsen. Sie sind rund um das Haus verteilt. Eines davon hat es Gudrun Turner besonders angetan. Es ist der Löwenzahn. Die gebürtige Deutsche hält die bereits offenen Blüten sachte in ihren Händen, denen  man ansehen kann, dass sie schon einiges erlebt haben. Vor genau 59 Jahren begegnete ihr der Löwenzahn das erste Mal so richtig, als sie als kleines Mädchen mit zehn Jahren in einen Brennnesselstrauch hineinfiel. Sie sah neben sich einen Löwenzahn, der sie angelächelt habe, als würde er ihr behilflich sein wollen. 

Die Blattern auf ihrer Haut brannten wie verrückt. Als sie die Milch vom Löwenzahn auf der Haut verteilte, merkte Gudrun Turner sofort, wie sich das Jucken verzieht – ein Schlüsselmoment. Von diesem Tag an war es um die kleine Gudrun geschehen. Sie wusste, die Wildkräuter werden sie von jetzt an begleiten. «Sie machen mich glücklich.» Jetzt im Frühling kommen sie in neuer Frische zurück, und im Winter gehen sie unter die Erde – was für ein herrlicher Kreislauf.

Ein 59-jähriges Büchlein

Nicht nur für Pflanzen hat sie eine Begabung, das Zeichnen liegt ihr genauso. Auch das zeigte sich früh, als ihre Mutter damals eine Zeitschrift der Nachbarin auslieh. In dieser waren einige Seiten über Heilkräuter geschrieben. Das kleine Mädchen wusste sofort: Sie muss alles von diesem Buch abschreiben, sodass sie die Kräuter in der Natur suchen und sie dann abzeichnen kann. Schliesslich muss ein ausgeliehenes Buch wieder zurückgegeben werden. So entstand ihr eigenes Büchlein, das aus vielen zusammengeklebten Seiten besteht. Es sieht tatsächlich schon sehr mitgenommen aus, schliesslich ist es auch schon fast 60 Jahre alt. Gudrun Turner blättert stolz in dem Büchlein. Die feine Schrift zieht sich in geraden Linien über das Papier – eine wunderschöne Arbeit. Doch bei diesem Buch blieb es nicht und bei den Zeichnungen genauso wenig. Doch dazu später mehr.


Gudrun Turners grösstes Ziel ist es, den Menschen in ihrem Umfeld das Wissen über die Nützlichkeit der Pflanzen weiterzugeben. Sie tut das mit grosser Freude. Jede freie Minute befindet sich die 69-Jährige alleine oder mit ihrem Mann, den sie 1980 bei einer Skitour in Österreich kennenlernte und dann ein Jahr später heiratete, draussen in der Natur. «Sie gibt mir Kraft.» Und zu dieser gehören die Wildkräuter natürlich dazu. «Sie haben eine solche Heilkraft. Man muss sich vorstellen, sie verfügen über 90 bis 100 chemische Verbindungen. Die Wissenschaft hat bei Weitem noch nicht alles untersucht.» So entdeckt auch Gudrun Turner jeden Tag aufs Neue etwas, was sie noch nicht kennt. Bei ihren Spaziergängen hat sie immer ein Kräutersäcklein dabei, in dem sie verschiedene Kräuter für Salben, Tee oder den Salat sammelt. «Man kennt mich nur so. Die Leute, die mir begegnen, fragen mich: Bist du auf Kräutertour?» In der Gegend von Klosters weiss man, wer sie ist. Als sie vor vielen Jahren der Liebe wegen nach Saas gezogen ist, merkte sie schnell, hier fühlt sie sich wohl. Rundherum um das schön gelegene Haus hat sie genügend Platz, um ihren Wildkräutern beim Wachsen zuzuschauen. 

Schon mit zehn Jahren begann Gudrun Turner, Kräuter zu beschreiben und zu zeichnen.
Schon mit zehn Jahren begann Gudrun Turner, Kräuter zu beschreiben und zu zeichnen.
Jasmin Klucker

Jeden Tag aufs Neue erfüllt sie das mit Freude. Diese Freude und das grosse Wissen, das sie sich in all den Jahren selbst angeeignet hat, gibt Gudrun Turner bei ihren unzähligen Kräuterkursen weiter, die sie jetzt bereits seit 42 Jahren leitet. Sie werden von Klein bis Gross besucht. Die Kursleiterin kann sich noch gut an eine spezielle Kindergartenklasse erinnern. Die Kinder waren begeistert, wie man mit den Pflanzen verschiedene Blessuren direkt behandeln konnte. Eine der Mütter setzte ihr dann den Floh ins Ohr doch ein Buch zu schreiben und so entstand das kleine Büchlein «Wildkräuter-Notfallapotheke für unterwegs», dass man überall mitnehmen kann. 


Wissen weitergeben

Die Bilder zeichnete sie wie dazumals als Mädchen selber. Die Titelseite des Büchleins ziert ein fein gezeichneter Löwenzahn. Der Wegweiser, der sie durch das Leben führt. Jedoch konnte sie nicht immer so abbiegen, wie sie wollte. «Mein Traumberuf war schon immer Ärztin oder Lehrerin, jedoch musste ich das schnell vergessen, als ich merkte, dass es schulisch nicht ganz reichen wird.» So entschied sich die Pflanzenliebhaberin, einen anderen Weg zu gehen und fing bei einer Arztpraxis als Arztgehilfin an. Spannende Jahre, die sie in guter Erinnerung behält. Als sie in die Schweiz kam, war ihr Ziel, auf diesem Beruf weiterzuarbeiten. Das ist ihr jedoch nicht gelungen, da es keine offenen Stellen gab. Dennoch arbeitete Gudrun Turner während den ersten zehn Jahren Teilzeit in diversen Berufen, die mit Gesundheit zu tun haben – sei es im Altersheim oder als Arztsekretärin.


Der Wegweiser lenkt

Hauptberuflich aber arbeitete sie auf ihrem Lieblingsberg Madrisa. im Winter als Kinderbetreuerin im Gästekindergarten. Das machte sie ganze fünfzehn Jahre. Im Sommer organisierte sie während neun Jahren Events. Diese Erfahrungen kann sie heute nutzen. Im Kopf schwirrt die Idee herum, das Thema «Kräuterküche» anzuschauen, da immer mehr Menschen in der Natur campieren. Das wäre sehr passend, erzählt Gudrun Turner am grossen Holztisch in der Küche, in die das Sonnenlicht nach einem düsteren Morgen den Weg hinein findet. Mit dem schönen Wetter öffnen die Pflanzen vor dem Haus ihre Blüten. Die Freude an diesem Anblick kann man ihr sofort ansehen. Ihre rot gefärbten Backen ziehen sich nach oben. Ihre Augenfältchen kommen noch mehr zur Geltung. Freudig erzählt sie, dass die Idee vom Büchlein nicht von irgendwoher kommt. Vor elf Jahren absolvierte sie die Ausbildung zur Natur- und Wildnispädagogin. «Das wollte ich schon immer mal machen. Es hat mit Survival zu tun, und das hat mich schon immer begeistert.» Sie war mit ihrem Mann viel unterwegs auf der ganzen Welt, und das nicht in Luxushotels, sondern oft im Wald mit dem Zelt. «Das Leben in und mit der Natur, wie unsere Vorfahren damals, reizt mich bis heute.» 


Es blieb aber nicht nur bei diesen Ausbildungen. «Man ist nie zu alt dafür.» Mit 58 Jahren macht Gudrun Turner ihre zweite Leidenschaft, das Zu-Berg-Gehen, zu einem weiteren Beruf. Sie erlang den eidgenössischen Fachausweis als Wanderleiterin und im Winter als Schneeschuhleiterin. «Meine Familie sowie Freundinnen und Freunde beschreiben mich als quirlig.» Bei diesem Wort muss Gudrun Turner selbst lachen. Sie sei sehr aufgeschlossen, gehe auf die Menschen zu. Das braucht es bei ihrer Arbeit auch, sei es auf Kräuterexkursionen und -kursen oder in ihrem Beruf als Wander- und Schneeschuhleiterin. Da zählen die gleichen Werte wie bei den Kräutern. «Ich möchte den Menschen die Schönheit unserer Natur näherbringen. Viele haben die Verbindung ein wenig verloren. Das macht mich traurig.» Was nicht traurig macht, ist die Erkenntnis, dass in Gudrun Turners Leben der Berufswunsch von der Ärztin oder Lehrerin auf eine gewisse Weise, wenn auch ein wenig anders als gedacht, in Erfüllung gegangen ist. 

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