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«New Work» in einem Hotel in Lenzerheide

Hierarchien und Titel (fast) komplett abgeschafft: Das «Kurhaus» Lenzerheide verfolgt seit zwei Jahren seine eigene «New Work»-Strategie – ein ungewohntes Konzept für ein Hotel.

Bündner Woche
11.11.23 - 04:30 Uhr
Wirtschaft
Moderne und Tradition: Im «Kurhaus» wird beides vereint – auch beim Arbeiten.
Moderne und Tradition: Im «Kurhaus» wird beides vereint – auch beim Arbeiten.
Kurhaus

von Laura Kessler

«Es ist nicht so, dass im «Kurhaus» alle tanzen und auf pinken Wolken schweben.» Johannes Fredheim lacht und lehnt sich im roten Samtsessel, der zum Salon Rouge gehört, zurück. Der Manager des «Kurhaus» Lenzerheide führt den Hotel- und Gastronomiebetrieb zusammen mit Xenia Picco und Marco Parpan-Zollinger. Das ist dann auch schon alles, was man über die Hierarchien im «Kurhaus» wissen muss. Einen Chef de Service oder ein Maitre d‘Hotel sucht man hier nämlich vergebens. Ein Hotel ohne Hierarchien – ungewohnt.

Ungewohnt ja, aber der richtige Weg für das «Kurhaus», wie Johannes Fredheim findet. An jenem Novembertag ist es ruhig in den altehrwürdigen Hallen des ehemaligen Grandhotels. Das Hotel ist zwar offen, doch in der Zwischensaison geht hier alles etwas gemächlicher zu und her.
Johannes Fredheim kann sich deshalb Zeit nehmen, um über eben jenen Weg zu sprechen, den man als «New Work» bezeichnen kann.

Das neue Arbeiten. «New Work» – ein viel zitierter Begriff. Was er aber genau bedeutet? Na ja, die Definition ist schwammig und wird in jedem Unternehmen, das sich «New Work» auf die Fahne schreibt, etwas anders interpretiert. Was aber überall gilt: Der Mensch steht im Zentrum. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird mit ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen, Wünschen und Anregungen besondere Aufmerksamkeit zuteil. Oftmals werden auch flexible Arbeitszeiten, keine festen Arbeitsplätze, Workations (Mischung aus Arbeit und Ferien) und unkonventionelle Teamstrukturen mit «New Work» gleichgesetzt. Auf manche Unternehmen mag das zutreffen, im «Kurhaus» ist das aber nicht ganz so passend.

Zumindest nicht alles. Das Arbeiten von Zuhause aus oder aus den Ferien geht in einem Hotel- und Restaurantbetrieb natürlich nicht. Die Gäste wollen umsorgt, die Zimmer geputzt und das Essen serviert sein. Alles Aufgaben, die eine physische Präsenz fordern. Was ist also «new» am Arbeiten im «Kurhaus»?

Management: Johannes Fredheim (links) führt das Haus zusammen mit Xenia Picco und Marco Parpan-Zollinger. (Bild Olivia Pulver)
Management: Johannes Fredheim (links) führt das Haus zusammen mit Xenia Picco und Marco Parpan-Zollinger. (Bild Olivia Pulver)

«Wir haben vor zwei Jahren entschieden, die Hierarchien an der Rezeption, in den Restaurants und in der Bar abzuflachen, im Sommer 2023 setzten wir das auch in der Küche um», so Johannes Fredheim. Grundsätzlich sei das ja nichts Neues, aber für einen Hotelbetrieb definitiv ungewohnt. «Hotel- und Gastronomiebetriebe sind grösstenteils hierarchisch aufgestellt. Überall begegnet man Titeln», so der Manager weiter. Im «Kurhaus» ist das anders. Titel sucht man vergebens, Chefs – bis auf das Management – auch. Die Verantwortung wird auf alle Schultern verteilt. «Das war am Anfang schon schwierig. Man fragte sich ja trotzdem, wer jetzt wem sagt, was zu tun ist. Plötzlich sollten einfach alle für alles zuständig sein», erinnert sich der Manager zurück.

Schnell merkte man, Wie wichtig klare Strukturen sind. Konkret zeigt sich das nun in Checklisten, die für jeden Bereich erstellt wurden und pro Schicht existieren. Diese Listen müssen abgearbeitet werden, und zwar von allen. Zudem wurden wöchentliche Meetings für jedes Team eingeführt. «Wichtig ist, dass sich in den Meetings alle mit ihren Ideen und Kritikpunkten einbringen können. Auch Konflikte können so meist direkt gelöst werden», erzählt Johannes Fredheim. Eine klare und direkte Kommunikation sei wichtig. Auch fallen im Unternehmen zusätzlich Aufgaben an, die nicht direkt mit dem täglichen Betrieb zusammenhängen. Personelle Fragen, zwischenmenschliche Konflikte oder schlicht zusätzliche Arbeiten im Haus, wie das Pflanzengiessen oder eine Playlist für die Bar zu erstellen. «Früher fiel die Verantwortung für solche Aufgaben einfach dem Teamleader zu. Doch oft sind diese Personen nicht in einer Führungsposition, weil sie tolle Leadership-Kompetenzen mitbringen, sondern einfach, weil sie viel Erfahrung haben. Wir haben uns deshalb gefragt, ob diese zusätzlich anfallenden Aufgaben nicht Personen zugeteilt werden könnten, die in den verschiedenen Bereichen auch Fähigkeiten mitbringen», so Johannes Fredheim weiter.

Also wurden sogenannte Rollen eingeführt. Die Mitarbeitenden können eine zusätzliche Rolle und so für einen bestimmten Bereich Verantwortung übernehmen. Handelt es sich um eine kleine Rolle, kann diese in ruhigen Zeiten während der Schicht erledigt werden. Für grössere Rollen wird zusätzliche Arbeitszeit zur Verfügung gestellt. «Niemand muss eine Rolle übernehmen, doch alle dürfen sich einbringen.» Ob das nicht zu viel Druck ausübe? Ein positiver Druck findet Johannes Fredheim. Inzwischen würden sich fast alle zusätzlich einbringen wollen, das führe zu einer tollen Teamstruktur und guter Stimmung. Aber es sei klar: Das «Daily Business» müsse auch im «Kurhaus» erledigt sein. Arbeiten muss man auch hier. Da sind wir also wieder beim Tanzen und den pinken Wolken – oder eben nicht.

Arbeiten, wo andere Ferien machen: Das «Kurhaus» hat sich mit seiner «New Work»-Strategie zu einem beliebten Arbeitgeber gemausert. (Bild Olivia Pulver)
Arbeiten, wo andere Ferien machen: Das «Kurhaus» hat sich mit seiner «New Work»-Strategie zu einem beliebten Arbeitgeber gemausert. (Bild Olivia Pulver)

Kritik anhören muss sich das «Kurhaus» für diese neue Art des Arbeitens schon. Auch, wenn es um die Lohnstrukturen geht. Dort werde nämlich gerne behauptet, dass durch das Abschaffen von Führungspositionen auch tiefere Löhne ausbezahlt würden. «Das stimmt nicht. Wir haben bei der Umstellung keinen Lohn gekürzt. Ist man zudem bereit, viel Verantwortung zu übernehmen, wird man dafür prämiert»,
erklärt Johannes Fredheim. Der Durchschnittslohn sei jetzt höher als noch vor zwei Jahren.

Nicht nur im Arbeitsalltag, auch bei der Rekrutierung setzt das Management auf neue Wege. Stellen werden zwar noch ausgeschrieben, doch kann man sich auch blind bewerben und das schlicht mit den eigenen Fähigkeiten. Auch Menschen ohne Erfahrung in Hotel und Gastronomie sind willkommen. «Wir haben den Bewerbungsprozess komplett geöffnet und Erfolg damit. Während sich früher auf eine Stelle zum Teil nur jemand beworben hat, können wir jetzt aus vielen tollen Bewerbungen auswählen», so Johannes Fredheim. Es gehe dann darum, die Balance zwischen geschultem und ungeschultem Personal zu finden. Doch müssten sowieso immer weniger Stellen ausgeschrieben werden, denn der Grossteil der 45 Mitarbeitenden bleibt für mehrere Saisons im «Kurhaus». «Inzwischen empfehlen uns die Mitarbeitenden an Familie und Freunde weiter. Das ist für mich das grösste Kompliment», sagt Johannes Fredheim. Das neue Arbeiten im alten Grandhotel scheint also zu funktionieren. Auch ohne Tanzen und pinke Wolken.

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