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Russen haben (k)eine Wahl: Putin will sich fünfte Amtszeit sichern

Nach mehr als zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine hält Russland ab diesem Freitag (15. März) drei Tage lang eine Präsidentenwahl ab, deren Sieger jetzt schon feststeht: Kremlchef und Kriegsherr Wladimir Putin wird sich aller Voraussicht nach ein Rekordergebnis bescheinigen lassen und so seine fünfte Amtszeit sichern. Echte Oppositionspolitiker sind von der Wahl ausgeschlossen, ins Ausland geflohen, sitzen im Gefängnis - oder sind tot. Hinzu kommen laut Beobachtern Betrug und Manipulation. Die Abstimmung ist so weit von demokratischen Standards entfernt, dass einige nur noch von «Scheinwahlen» sprechen. Im Folgenden einige Fragen und Antworten:

Agentur
sda
14.03.24 - 10:53 Uhr
Politik
ARCHIV - Die Präsidentschaftswahlen in Russland sind für den 17. März angesetzt. Foto: Dmitri Lovetsky/AP/dpa
ARCHIV - Die Präsidentschaftswahlen in Russland sind für den 17. März angesetzt. Foto: Dmitri Lovetsky/AP/dpa
Keystone/AP/Dmitri Lovetsky

Wie läuft der Urnengang ab?

Russlands zentrale Wahlkommission hat die Wahl für drei Tage angesetzt: Vom 15. bis zum 17. März sind insgesamt mehr als 112 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen - darunter 4,5 Millionen Menschen in den völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson. Hinzu kommen rund zwei Millionen Wahlberechtigte in anderen Ländern. Russland erstreckt sich über elf Zeitzonen; die Wahl beginnt im äussersten Osten und endet um 19.00 Uhr MEZ im Westen in der Ostsee-Exklave Kaliningrad. Mit Schliessung der letzten Wahllokale werden Prognosen veröffentlicht, die aller Voraussicht nach auf einen haushohen Sieg Putins hinweisen. Das Endergebnis will die Wahlkommission spätestens am 28. März verkünden.

Die Scheinabstimmungen in den besetzten Gebieten sind völkerrechtswidrig und deshalb international nicht anerkannt. Die Urnengänge dort haben bereits begonnen und sorgen auch deshalb für Verstörung, weil Bilder zeigen, wie die ukrainischen Menschen teils in Anwesenheit schwer bewaffneter russischer Soldaten zur Stimmabgabe gedrängt werden. Neben Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson organisiert Moskau Abstimmungen auch auf der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Doch auch auf russischem Staatsgebiet werden demokratische Standards so schwer verletzt, dass Beobachtern zufolge von freier Wahl keine Rede sein kann.

Was genau macht die Abstimmung so unfair?

Wie schon bei früheren Abstimmungen wird auch dieses Mal mit Betrug in grossem Stil gerechnet - auch, weil es vor Ort keine Kontrolle durch unabhängige internationale Wahlbeobachter geben wird. Als besonders anfällig für Manipulation gilt die Online-Stimmabgabe, weshalb Kremlkritiker den Russen davon abraten.

Die unabhängige Wahlbeobachtungsorganisation «Golos», die seit Jahren in Russland als «ausländischer Agent» gebrandmarkt ist, hat auch an anderer Stelle Kritik geübt: So werde in den einzelnen Regionen schon im Vorfeld «massenhaft» Druck auf Angestellte grosser, teils staatlicher Unternehmen ausgeübt, damit diese ihre Stimme abgeben und so die Wahlbeteiligung in die Höhe treiben, heisst es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht. Orientiert man sich an den Daten des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstituts Wziom, dann strebt der Kreml eine Beteiligung von mehr als 70 Prozent an.

Vor allem aber verweisen unabhängige Beobachter darauf, dass viele echte Oppositionspolitiker entweder ins Ausland geflohen oder in Russland festgenommen und zu teils drakonischen Haftstrafen verurteilt worden sind. Für besonderes Entsetzen sorgte Mitte Februar zudem der Tod des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny, der vor einigen Jahren selbst einmal Präsidentschaftskandidat werden wollte.

Gibt es bei dieser Wahl überhaupt ernstzunehmende Gegenkandidaten neben Putin?

Nein. Putins drei Mitbewerber - der Kommunist Nikolai Charitonow, der Liberale Wladislaw Dawankow und Leonid Sluzki von der nationalistischen Partei LDPR - sind nicht nur völlig chancenlos, sie sind in wesentlichen Punkten auch voll auf Kremllinie. Jedem von ihnen prognostizieren die staatlichen Meinungsforscher fünf bis sechs Prozent der Stimmen. Putin wiederum werden 82 Prozent vorausgesagt - so viel wie noch nie in zuvor seit seinem Amtsantritt als russischer Staatschef vor fast einem Vierteljahrhundert im Jahr 2000.

Die einzigen wirklich oppositionellen Bewerber Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin wurden von der Wahlkommission gar nicht erst als Kandidaten zugelassen. Trotzdem machten die beiden Kriegsgegner vielen kritisch eingestellten Russen Mut: Die rund 200 000 Menschen, die im Januar teils in langen Schlangen anstanden, um Nadeschdin mit ihrer Unterschrift zu unterstützen, sorgten damals weit über Russland hinaus für Schlagzeilen.

Zugleich unterstützen viele Russinnen und Russen Putin. Warum?

Wahlmanipulationen und Repressionen können den Erfolg des Kremlchefs nur zum Teil erklären. Tatsächlich erheben auch unabhängige Meinungsforscher wie die des renommierten Lewada-Zentrums regelmässig Daten, die eine hohe Zustimmung für den Langzeitpräsidenten zeigen - wenn auch eher eine passive.

Erklären lässt sich das Experten zufolge einerseits mit einem Wunsch vieler Russen nach Stabilität, vor allem aber auch mit Russlands professioneller Propagandamaschinerie. Insbesondere seit Kriegsbeginn schwört Putin seine Landsleute regelrecht darauf ein, dass Russland sich gegen eine Bedrohung durch einen «kollektiven Westen» zur Wehr setzen müsse, weil sonst angeblich die Sicherheit des Landes in Gefahr sei. Das verfängt bei vielen Menschen.

Welche Rolle spielt der Krieg gegen die Ukraine bei dieser Wahl?

Putin wird das hohe Wahlergebnis, das er sich produzieren lässt, sicherlich dazu nutzen, um die angeblich riesige Zustimmung für seinen brutalen Angriffskrieg zu unterstreichen. Zugleich aber wird eine zunehmende Kriegsmüdigkeit sichtbar: Da sind nicht nur die Schlangen für Nadeschdin, sondern beispielsweise auch die Proteste von Ehefrauen mobilisierter Männer, die es seit Wochen immer wieder in der Nähe des Roten Platzes gibt.

Genau deshalb habe der Kreml das Thema Krieg im Wahlkampf bewusst ausgeklammert, sagt der Politikwissenschaftler Alexander Kynew im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Moskau: «Jedes Gespräch über den Krieg führt zu der Frage: Wann hört er auf? Die Staatsmacht hat darauf keine Antwort. Deshalb geht sie der Diskussion aus dem Weg.»

Ist mit Protesten am Wahltag zu rechnen?

Tatsächlich rufen die Unterstützer des gestorbenen Nawalny und andere Oppositionelle die Russen dazu auf, am Wahltag um exakt 12.00 Uhr vor den Wahllokalen zu erscheinen. An den langen Schlangen - so ihre Hoffnung - soll sich dann ablesen lassen, wie hoch die Unzufriedenheit im Land ist. Ob die Aktion Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Befürchtet wird, dass es zu Festnahmen kommt.

Dass sich Bilder wie von der Nawalny-Beerdigung in nächster Zeit wiederholen könnten, gilt unterdessen als ausgeschlossen. Zu der Beisetzung Anfang März waren Tausende Menschen erschienen und hatten zur Überraschung vieler Beobachter offen kremlkritische Sprechchöre wie «Nein zum Krieg!» und «Russland ohne Putin!» angestimmt. Für gewöhnlich aber werden Kritiker und Andersdenkende seit Kriegsbeginn direkt festgenommen, wenn sie ihren Unmut in irgendeiner Form öffentlich äussern.

Wie wird es nach der Wahl weitergehen?

Der 71 Jahre alte Putin hat sich dann sechs weitere Jahre an der Spitze Russlands gesichert - und kann theoretisch auch im Jahr 2030 noch einmal antreten. Damit so viele Amtszeiten möglich sind, hatte der Kremlchef extra vor knapp vier Jahren die Verfassung ändern lassen. Nach der Präsidentenwahl steht traditionell auch die Ernennung einer neuen Regierung an.

Einige Politologen gehen davon aus, dass die Repressionen gegen Kritiker in Russland nach der Wahl noch zunehmen. Der russische Politikwissenschaftler Andrej Kolesnikow sagte in einem Medien-Briefing, das die Deutsche Sacharow-Gesellschaft organisierte: «Dieses Regime wird sich zweifellos ausschliesslich in eine schlechte Richtung entwickeln. Es wird keine Schwachstellen zulassen. Es wird sich nicht liberalisieren. Es wird sich nicht normalisieren. Und genau darin liegt die Gefahr.» Seiner Einschätzung nach ist Putins Russland mittlerweile mehr als nur ein autoritärer Staat: «Es gibt definitiv Elemente von Totalitarismus oder Neototalitarismus.»

Gibt es irgendeine Aussicht auf politischen Wandel?

In naher Zukunft sieht den kaum jemand. Ein bedeutender Teil der russischen Gesellschaft bestehe aus «passiven Konformisten», die den Krieg mittrügen, sagt Kolesnikow. Zwar gebe es trotz aller Repressionen weiter auch verantwortungsvolle Bürger, die sich dagegenstellten. Doch für Wandel brauche es zusätzlich auch einen «Impuls von oben» - wie am Ende der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow.

Eine Oppositionspolitikerin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, betont unterdessen, wie wichtig die Bedeutung von Zivilgesellschaft und Vernetzung auch im Stillen und im Kleinen dennoch sei: «Putin wird früher oder später gehen, aber die Gesellschaft wird bleiben.»

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