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Wie viel wert sind uns Werte?

19.02.18 - 18:56 Uhr
Politik
Kommentar

Historische Ereignisse mit der Gegenwart zu vergleichen, ist eine Gratwanderung. Wer es tut, dem droht Absturzgefahr. Vor allem, wenn er die unseligste Phase unserer Zeitgeschichte, also die Jahre vor und während des Zweiten Weltkriegs, mit der Gegenwart vergleicht.

Und dennoch drängt sich am heutigen Tag ein Vergleich mit einem historischen Ereignis aus jener Zeit auf. Genau heute vor 80 Jahren anerkannte das Schweizer Stimmvolk nämlich in einer denkwürdigen Abstimmung das Rätoromanische als vierte Landessprache – mit unglaublichen 92 Prozent aller Stimmen.

Am 20. Februar 1938 sprach sich das Schweizer Volk also fast mit einer Stimme für die Rätoromanen aus. Nicht ohne Grund, denn der italienische Diktator Benito Mussolini hatte das Rätoromanische in jener Zeit unverfroren als lombardischen Dialekt bezeichnet und wollte die Rätoromanen – genau gleich wie die italienischsprachigen Schweizer – «heimholen». Es war die Zeit des italienischen Irredentismus. Jener politischen Bewegung also, welche völlig verblendet faschistische Grossmachtsfantasien in die Tat umsetzen wollte.

Dass die Rätoromanen das damalige Bekenntnis zu ihrer Muttersprache auch 80 Jahre später noch feiern, ist mehr als nur nachvollziehbar. Denn damals sagten die Schweizer erstmals unmissverständlich Ja zur Minderheitensprache Rätoromanisch, indem sie ihr endlich den Status einer Landessprache gaben. Sie sagten gleichzeitig aber auch Ja zu einer mehrsprachigen Schweiz, Ja zum schweizerischen Staatsgedanken, so wie er in der Bundesverfassung verankert ist.

Und heute? In weniger als zwei Wochen steht in der Schweiz wieder eine Abstimmung an, bei der es nicht zuletzt um diesen schweizerischen Staatsgedanken geht – und um die Zukunft des Rätoromanischen. Denn sagt das Stimmvolk Ja zur No-Billag-Initiative, wird bei den Romanen im wahrsten Sinne des Wortes der Stecker gezogen: Es wird aus finanziellen Gründen kein rätoromanisches Radio und Fernsehen mehr geben. Deshalb ist es auch legitim, wenn die Rätoromanen den heutigen Tag so richtig gross inszenieren – nicht nur im Gedenken an die Abstimmung vom 20. Februar 1938, sondern auch mit Blick auf die No-Billag-Initiative.

Fakt ist doch: Wem (auch nur in einem Teilbereich) die Eigenständigkeit abgesprochen wird, der droht zu verschwinden. Damals wie heute. Vor 80 Jahren war es ein äusserer Gegner, der die sprachliche Eigenständigkeit der Rätoromanen verneinte. Heute dagegen müssen die Rätoromanen sich einem inneren Gegner stellen. Und das macht es auch so schwierig. Denn der Gegner im eigenen Land ist schwer zu fassen – weil es auch der Nachbar oder die Arbeitskollegin sein könnte. Und darum geht es heute wie damals letztlich um die Frage, wie viel wert uns Werte sind. Vielleicht 365 Franken pro Jahr und Haushalt?

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