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Wie vor 100 Jahren das Altersasyl Rigahaus entstand

Dank Christian Lorenz Allemann-Wassali wird vor 100 Jahren das alte «Haus zur Stadt Riga» zum Altersasyl in Chur.

Bündner Woche
06.03.24 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Gestern: Das Rigahaus und das Gärtnerhaus (links) von früher.
Gestern: Das Rigahaus und das Gärtnerhaus (links) von früher.
zVg

von Susanne Turra

Wer im Churer Stadtarchiv nach ihm sucht, findet nur wenige ­Informationen. Er war ein Handelsreisender. Ein Kaufmann. Ein Wohl­täter. Christian Lorenz Allemann-Wassali. 1850 in Chur geboren, betreibt er später Handel mit Ägypten. Zeit seines Lebens unterstützt er verschiedene Institutionen. Die Badi Sand. Das Kantonsspital. Das Rigahaus. Wer weitersucht, wird in den «Oberrheinischen Nachrichten», die damals in Mels erscheinen, fündig. Wortwörtlich steht in der Ausgabe vom 31. Januar 1923 geschrieben: «…vor einigen Wochen auf der Rückreise nach Alexandria auf dem Schiff gestorben ist, hat kurz vor seiner Abreise das Testament gemacht, in dem er nochmals verschiedener bündnerischer gemeinnütziger Institutionen gedenkt.

Er hat für ein in Chur zu errichtendes Altersasyl Fr. 100'000 vermacht…». Dank jenem Vermächtnis von Christian ­Lorenz Allemann-Wassali kann exakt am 24. Januar 1924 im Auftrag des «hochlöbl. Kleinen Rates» des Kantons Graubünden, des Vorstandes der Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Graubünden und des Grossen Stadtrates von Chur unter dem Namen «Altersheim Rigahaus, C.L. Allemann-Stiftung» das heutige «Seniorenzentrum Rigahaus» aus der Taufe gehoben werden.

Vom Alterssitz zum Seniorenzentrum

100 Jahre später. Es ist Dienstagmorgen, der letzte im Februar, im «Seniorenzentrum Rigahaus» in Chur. Geschäftsleiter Sandro Ursch trinkt einen Schluck Kaffee und blickt zurück. «Das Rigahaus gibt es schon länger als 100 Jahre», weiss er. «Aber nur als Gebäude. Nicht als Institution.» Heute präsentiert sich das «Seniorenzentrum Rigahaus» mitten in Chur mit sechs Gebäuden und einem grosszügigen Naturaussenraum. Das originale Rigahaus an der Masanserstrasse hat eine lange und interessante Geschichte.

Es war die Familie Caviezel, Bündner Zuckerbäcker-­Dynastie seit 1796 in der damals noch russischen Stadt Riga, die 1805 vom Churer Oberzunftmeister Bernhardt Mathys das Haus an der Masanserstrasse, genannt «beim Schlagbaum», und «Brauerei» kauft. Schlagbaum? «Vielleicht gab es hier eine Grenze, einen Zoll», mutmasst Sandro Ursch. «Als Schlagbaum wird ja eine aufrichtbare Schranke betitelt.» Wie auch immer.

In der Folge wird das Haus zum Urlaubs- und Alterssitz der Familie umgebaut. Und es wird zum «Haus zur Stadt Riga». 1901 kommt das Gebäude in den Besitz der Familie Bener. Und 1921 wird das Haus an den Kanton Graubünden verkauft. Drei Jahre später und bis heute ist die C.L. Allemann-Stiftung Trägerin des «Seniorenzentrum Rigahaus» in Chur.

Ein Altersasyl und kein Pflegeheim

Zurück ins Hier und Jetzt. «Heute sind wir ein Pflegeheim und kein Altersheim mehr», betont der Geschäftsleiter. «Damals war es genau umgekehrt. Das Rigahaus war ein Altersasyl und kein Pflegeheim.» Sandro Ursch sucht in den Statuten von 1930 nach der Hausordnung. «Entlassungen finden statt bei Eintritt von Krankheiten, welche eine solche Massregel rechtfertigen, oder wenn anormale Verhältnisse oder Geistesstörung gesonderte Pflege verlangen», steht da geschrieben. Wen solches ereilt, wird damals also entlassen und nicht etwa aufgenommen.

Übrigens müssen die Aufzunehmenden damals mindestens das 50. Altersjahr erfüllt haben. Heute gehen die Menschen mit 85 oder 90 Jahren ins Altersheim. Dennoch. Die Frauenquote gibt es damals schon im Rigahaus. «Wir waren schon sehr modern», freut sich Sandro Ursch. Und er liest vor: «Im Stiftungsrat und einem zu bildenden viergliedrigen Ausschuss müssen auch Frauen vertreten sein.» Aber auch das Altmodische, logisch, kommt damals nicht zu kurz. So steht weiter in der Hausordnung: «Das tägliche Reinigen der Kleider, Schuhe sowie der Zimmer geschieht für die männlichen Pensionäre und, soweit es ihr Wunsch ist, auch für die weiblichen durch die Anstalt gegen Bezahlung einer monatlichen Taxe.»

Auch die Zimmerordnung hat es in sich. «Die Anstalt räumt jedem Pensionär ein eigenes Zimmer ein. An Ehepaare und Personen, die sich gut vertragen, werden auch Zweier-Zimmer abgegeben.» Weiter: «Die Pensionäre haben im Zeitraum von vier Wochen Anspruch auf ein unentgeltliches Bad.» Und schliesslich: «Das Herumstehen auf Treppen und Gängen ist verboten.»

Heute: Sandro Ursch steht vor dem Rigahaus und dem Gärtnerhaus.
Heute: Sandro Ursch steht vor dem Rigahaus und dem Gärtnerhaus.

Ein biblisches Alter

Und heute? «Heute beträgt der Pensionspreis 144 Franken im Tag. Damals waren es fünf Franken im Tag», verrät der Geschäftsleiter und lacht. «Und auch die Regeln haben sich ein bisschen geändert.» Streitereien indessen, die hat es auch früher gegeben. Sandro Ursch kramt einen Brief hervor. Datiert: Chur, den 6. Juni 1940. Adressiert: an Fräulein Anna von Moor, Rigahaus Chur. «Sehr geehrtes Fräulein! Frau Architekt Colani ist mir bekannt; sie zeichnet sich nicht gerade aus durch ein friedfertiges Wesen und durch Zurückhaltung im Reden und im Urteilen. Ich weiss, dass sie da und dort schon Anstände hat und dass sie viel reklamiert. Nachdem sie aber bei der Leitung des Rigahauses Gnade gefunden hat, wird es schwer gehen, sie wieder hinaus zu komplimentieren, sofern sie nicht etwa Streit anfängt oder sich sonst etwas zuschulden kommen lässt. Ueber das canonische Alter gehen die Ansichten auseinander, Frau Colani ist im April 1871 geboren, zählt also jetzt 69 Jahre. Selbst nach der Bibel ist das ein Alter, das man nur erreicht, ’wenn es hoch kommt’. Meines Wissens sind im Rigahaus viel jüngere Frauenspersonen untergebracht. Ich nehme an, dass die Vorsteherin ihre Schutzbefohlene gut beaufsichtigt und Frau Colani, wenn sie irgendwie Anlass zu Klagen gibt, den Stuhl vor die Türe setzt. Hochachtungsvoll grüsst.» Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Nur so viel noch: Ein Glück, hat Christian Lorenz Allemann-Wassali damals, vor seinem Ableben auf hoher See, ein Testament geschrieben.

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