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Wie erklären Eltern Kindern einen Krieg? - «Kinder sollten keine Tagesschau sehen dürfen»

Kriegsbilder in den Nachrichten sind ein Problem für die kindliche Psyche. Trotzdem erreichen sie häufig Kinderaugen. Eine Expertin zeigt Wege auf, die Thematik richtig einzuordnen.

Mauro
Sutter
24.10.23 - 11:33 Uhr
Leben & Freizeit
Erschreckende Bilder: Kinder sehen im TV viele Dinge, die nicht für sie geeignet sind.
Erschreckende Bilder: Kinder sehen im TV viele Dinge, die nicht für sie geeignet sind.
Bild Freepik

Inmitten der anhaltenden Unruhen in der Welt sehen sich Eltern mit der Herausforderung konfrontiert, ihren Kindern das Konzept und die Realität des Krieges zu erklären. Kinder, ob direkt oder indirekt, sind häufig den Auswirkungen von kriegerischen Konflikten ausgesetzt, sei es durch Gespräche, die sie aufschnappen, oder durch verstörende Bilder und Videos, die sie in sozialen Medien oder Nachrichten sehen. Dies kann bei ihnen Verwirrung, Angst und zahlreiche Fragen auslösen, insbesondere da sie laut Helen Stricker – Leitern «PAT – Mit Eltern lernen» von Pro Junior Graubünden – noch nicht dieselben Bewältigungsstrategien wie Erwachsene besitzen.

Programm «PAT – Mit Eltern lernen»
«PAT – Mit Eltern lernen» ist ein internationales Hausbesuchsprogramm zur Elternbildung und frühkindlichen Förderung. Laut Stricker begleitet das Programm mehrfach belastete Familien mit kleinen Kindern von null bis drei Jahren. Das Ziel sei die Förderung von Kindern und die Erreichung von Chancengleichheit. Zudem sollen Eltern gestärkt werden, um die eigenen Kinder so weit zu unterstützen, dass diese ihre Zukunft erfolgreich gestalten können.

Fehlende Übersicht und Erfahrung

«Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder keine Übersicht über die Grösse der Welt, und ihnen fehlt die Erfahrung», sagt Stricker. Durch fehlende Vergleiche und Unwissen über wo und wann etwas passiert, würden Kinder viele Situationen nicht richtig einschätzen und sich somit schnell in Gefahr fühlen. Weiter führt Stricker aus: «Es ist ganz wichtig, dass in einfachen Worten mit den Kindern gesprochen wird. Es muss ein Bild von bekannten Situationen in den Köpfen der Kinder entstehen.»

«Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder keine Übersicht über die Grösse der Welt, und ihnen fehlt die Erfahrung.»

Helen Stricker, Leiterin «PAT – Mit Eltern lernen» von Pro Junior Graubünden

Wie erkläre ich meinem Kind einen Krieg?

Für Eltern kann es eine schwierige Aufgabe sein, diesen jungen Geistern zu erklären, was bei einem Krieg passiert, ohne sie zu überfordern. Gemäss Stricker sollen die Erklärungen altersgerecht sein. Dabei sei es wichtig, ehrlich zu sein und dabei Wörter zu verwenden oder Situationen zu beschreiben, welche die Kinder bereits kennen. «Das Wort ‹Krieg› sollte nicht verwendet, stattdessen von einem Streit zwischen Ländern gesprochen werden», erklärt Stricker. Bei jüngeren Kindern könne eine vereinfachte Erklärung wie «ein sehr schlimmer Streit unter Erwachsenen» ausreichen, während ältere Kinder eine detailliertere Diskussion über die Ursachen und Konsequenzen des Krieges führen können.

Fremdwörter umschreiben und Bildsprache nutzen

Die Macht des Bildes: Mittels Bildsprache ist es möglich, Kindern komplexe Sachverhalte einfach zu erklären.
Die Macht des Bildes: Mittels Bildsprache ist es möglich, Kindern komplexe Sachverhalte einfach zu erklären.
Bild vom Programm DALL·E 3 generiert

«Auch auf Fremdwörter sollte in der Erklärung verzichtet werden. Falls das nicht möglich sein sollte, müssen diese mit bekannten Worten erklärt werden», meint Stricker. Eine einfache Zeichnung könne auch sehr helfen, um zum Beispiel die Relationen zwischen Russland und der Ukraine aufzuzeigen. Älteren Kindern könne – im Gegensatz zu jüngeren – aber auch eine Weltkarte gezeigt werden, um gewisse Umstände miteinander zu vergleichen.

Bei der Wahrheit bleiben

Laut Stricker sollte immer die Wahrheit gesagt werden, wenn die Kinder mit konkreten Fragen an die Eltern herantreten. Dabei solle auch nichts beschönigt werden, jedoch mit Wörtern aus der Kinderwelt exakt beschrieben werden.

Keine «Tagesschau» für Kinder

«Grundsätzlich sollten Kinder keine «Tagesschau» sehen dürfen, sie werden dadurch komplett überfordert», sagt Stricker. Sollte es trotzdem vorkommen, dass Kinder explizite Inhalte zu Gesicht bekommen, müssen die Eltern mit ihnen darüber sprechen, sodass sie nicht mit dem Schrecken alleine gelassen werden.

Auf die Kinder eingehen

Bunte Gefühlswelt: Malen kann Kindern helfen, ihre Gefühle auszudrücken.
Bunte Gefühlswelt: Malen kann Kindern helfen, ihre Gefühle auszudrücken.
Bild Livia Mauerhofer

Stricker schlägt vor, dass Eltern auch proaktiv sein sollen, indem sie auf die Interessen und Sorgen ihrer Kinder eingehen und Rückfragen stellen, damit Diskussionen angeregt werden können. Es helfe auch, die Kinder zu ermutigen, ihre Gedanken und Gefühle durch Zeichnungen, Geschichten oder Briefe auszudrücken.

Tipps und Hilfsmittel für die Erklärung kurz und knapp zusammengefasst:
– Altersgerechte Erklärungen finden
– Ehrlich sein und nichts beschönigen
– Wörter verwenden, welche die Kinder kennen
– Das Wort «Krieg» nicht verwenden
– Wenn möglich auf Fremdwörter verzichten
– Zur einfachen Erklärung, Zeichnungen erstellen oder Bilder verwenden
– Keine «Tagesschau» mit den Kindern schauen
– Auf die Interessen und Sorgen der Kinder eingehen
– Proaktiv Rückfragen stellen
– Diskussionen anregen
– Die Kinder dazu ermutigen, sich kreativ auszudrücken 

Emotionen der Eltern beeinflussen die Wahrnehmung der Kinder

«Kinder haben eine hohe Sensibilität für die Emotionen der Erwachsenen um sie herum», erklärt Stricker. Wenn Eltern ängstlich oder besorgt seien, werden die Kinder dies bemerken. Daher sei es von entscheidender Bedeutung, dass Eltern zuerst ihre Gefühle und Gedanken zum Krieg überdenken und eine ruhige, unterstützende Haltung einnehmen, um ihren Kindern Sicherheit zu vermitteln. Stricker meint dazu weiter: «Das bedeutet jedoch nicht, dass die wahren Gefühle verschleiert oder verfälscht werden sollen.» Vielmehr solle darauf hingewiesen werden, dass diese Gefühle nichts mit dem Kind zu tun haben. Die Emotionen sollen eher sich selbst zugeschrieben werden, um das Kind zu entlasten.

Aktivitäten zur Ablenkung bei hoher emotionaler Belastung

Ein Licht als Hoffnungsschimmer: Das Anzünden einer Kerze in Gedanken an Menschen, die vom Krieg betroffen sind, kann Kindern helfen, sich nicht komplett hilflos zu fühlen.
Ein Licht als Hoffnungsschimmer: Das Anzünden einer Kerze in Gedanken an Menschen, die vom Krieg betroffen sind, kann Kindern helfen, sich nicht komplett hilflos zu fühlen.
Bild Livia Mauerhofer

In Fällen, in denen der Krieg besonders belastend ist, sollen Familien – laut Stricker – gemeinsame Aktivitäten zur Ablenkung in Betracht ziehen. Gemeinsames Denken an oder Beten für die Kriegsbetroffenen, das Beobachten und Senden von guten Wünschen über den Sternenhimmel – mit dem Zusatz, dass die Betroffenen die gleichen Sterne sehen können helfen. Auch das Anzünden einer Kerze in Gedanken an die betroffenen Menschen tut manchmal gut und gibt den Kindern ein Gefühl von Handlungsfähigkeit und Hoffnung.

Hier finden Eltern und Kinder Unterstützung

Sollten alle diese Hilfestellungen nicht weiterhelfen, ist es von entscheidender Bedeutung, auf vertrauenswürdige Ressourcen zurückzugreifen. Sowohl Eltern als auch Kinder können von professioneller Unterstützung profitieren, wenn sie mit den psychologischen Auswirkungen des Krieges zu kämpfen haben. Grundsätzlich gelte, dass jedes Gespräch – unabhängig von der Beratungsstelle oder Ansprechpersonen – weiterhelfen kann.

Mögliche Unterstützungsangebote:
– Pro Junior Graubünden (Beratungstelefon: 081 252 17 18, E-Mail: info@projunior-gr.ch)
– Elternnotruf (Zentrale: 044 365 34 00, Beratungstelefon: 0848 35 45 55, E-Mail: 24h@elternnotruf.ch)
– Sorgentelefon für Kinder (Beratungstelefon: 0800 55 42 10, SMS: 079 257 60 89, E-Mail: sorgenhilfe@sorgentelefon.ch)
– Die dargebotene Hand (Beratungstelefon: 143, E-Mail: Link, Chat: Link)
– Adebar (Beratungstelefon: 081 250 34 38, E-Mail: beratung@adebar-gr.ch)
– Pro Juventute (Elternberatung – Beratungstelefon: 058 261 61 61 E-Mail: elternberatung@projuventute.chKinder und Jugendliche – Beratungstelefon: 147, SMS: 147, E-Mail: beratung@147.ch, Webseite: www.147.ch)
– Kampagne «Wie geht’s Dir?» (Webseite: www.wie-gehts-dir.ch, Google Play Store: Download, App Store: Download)

Mauro Sutter ist Onlineproduzent bei «suedostschweiz.ch». Nach der Ausbildung zum Mediamatiker hat er das Studium Multimedia Production an der Fachhochschule Graubünden in Chur absolviert. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung hat Mauro sich 2023 der Medienfamilie Südostschweiz angeschlossen.

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