×

Über das Glauben: «Eine positive Einstellung, die wir in uns tragen»

Paolo Capelli ist Theologe und Pädagoge: Mit der «Büwo» spricht er über den Glauben an das Gute, den Samiklaus und warum wir Menschen überhaupt glauben.

Bündner Woche
06.12.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Nicht nur etwas für Kinder: Zu glauben liegt in der Natur der Menschen.
Nicht nur etwas für Kinder: Zu glauben liegt in der Natur der Menschen.
Olivia Aebli-Item

von Cindy Ziegler

Es ist wieder diese Zeit im Jahr. Die Zeit des Zaubers und der Magie. In vielen Haushalten ist in den letzten Wochen ein Wichtel eingezogen, hat der Samiklaus etwas im Sack gebracht oder hat das Christkind einen Wunschzettel bekommen. Denn die Adventszeit ist auch die Zeit des Glaubens. Wir haben Paolo Capelli, Theologe und Religionspädagoge, gefragt, warum und wie wir Menschen glauben.

Herr Capelli, was bedeutet es, zu glauben?

Paolo Capelli: An etwas zu glauben bedeutet, an etwas festzuhalten, das man nicht sieht, aber fest erhofft.

Warum glauben denn Menschen überhaupt?

Ich denke, zu glauben ist eine wichtige Fähigkeit, die eng mit Vertrauen verbunden ist. Glauben kann helfen, schwierige Zeiten zu überstehen. Menschen, die krank sind, glauben daran, dass sie wieder gesund werden. Menschen im Krieg glauben an den Frieden. Das gibt Kraft und Zuversicht.

Neben diesem psychologischen Aspekt von Glauben gibt es ja auch den religiösen Glauben.

Genau. Ich denke, man muss diese beiden Aspekte auch ein bisschen voneinander trennen. Der psychologische Aspekt beschreibt in meinen Augen die Fähigkeit, an eben diesen Dingen festzuhalten, die nicht sichtbar oder noch nicht eingetroffen sind. Das ist sehr individuell. Der religiöse Glauben hingegen ist eher vordefiniert.

Glauben ist also nicht per se an Religion geknüpft?

Nein. Denn jeder Mensch glaubt an irgendetwas. An sich selbst zum Beispiel. Ich würde Glauben als positive Einstellung definieren, die wir Menschen in uns tragen.

Wann beginnen Kinder, zu glauben? Und wie unterscheidet sich ihr Glaube von dem von Erwachsenen?

Auch Kinder glauben nicht alle gleich. Aber es gibt psychologische Modelle davon, wie sich die Fähigkeit, zu glauben, entwickelt. Ganz kleine Kinder vertrauen. Sie glauben intuitiv, was ihnen gesagt oder gezeigt wird. Sie brauchen das, um Sprache zu erlernen und ihr Weltbild zu konstruieren. Ab dem Schulalter lernen die Kinder zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden. Vorher ist alles möglich. Es gibt Feen, Kobolde und den Samiklaus. Danach beginnen sie, Fragen zu stellen, und suchen nach Beweisen. Eigentlich ist das der Anfang von Wissenschaft. Dennoch geht es noch einige Jahre, in denen sich Kinder an Geschichten und Mythen festhalten, weil sie ihnen einen gewissen Schutz und Halt bieten. Im Jugendalter steht das kritische Denken im Vordergrund. Jugendliche hinterfragen alles, auch das, woran sie bis anhin geglaubt haben.

Entwickelt sich der Glauben auch im Erwachsenenalter weiter?

Ich denke schon. Glauben kann sich immer verändern. Und es gibt Momente im Leben, wo der Glaube wichtiger ist und andere, wo er nebensächlich scheint.

Wir Erwachsenen glauben schon lange nicht mehr an den Osterhasen und an den Samiklaus. Trotzdem erzählen wir den Kindern diese Geschichten. Warum?

Die Eltern machen das aus Liebe zu den Kindern. Sie wollen ihnen etwas Gutes vermitteln. Und der Samiklaus symbolisiert einen guten Menschen. Durch ihn werden Werte sichtbar und erfahrbar gemacht.

Und trotzdem geht auch bei den Erwachsenen die Fantasie oder der Glaube an Übernatürliches nicht ganz verloren.

Das stimmt. Viele von uns haben zum Beispiel eine Vorstellung vom Leben nach dem Tod, die nicht auf Fakten beruht, sondern von unserem Glauben geformt ist. Bei Erwachsenen ist der Glaube stark an Erfahrungen gekoppelt.

Gibt es auch negative Aspekte von Glauben?

Ja. Man kann den Glauben – sei es nun von Kindern oder auch Erwachsenen – ausnutzen oder missbrauchen. Ich finde darum auch, dass Glaubensgeschichten immer etwas Positives vermitteln und nicht Angst machen sollen.

Haben die Menschen schon immer geglaubt?

Ich denke schon. Insbesondere der magische Glauben war früher noch viel ausgeprägter als heute. Vieles konnte man sich nicht erklären, weil die Wissenschaft noch nicht so weit war. Man fragte zum Beispiel, woher der Regen kommt und fand die Erklärung dann in Gottheiten oder im Aberglauben.

Was geschieht, wenn man den Glauben verliert?

Das sehe ich als Verlust. Vor allem, wenn man den Glauben an sich selbst verliert. In meinen Augen ist Glauben überlebenswichtig. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu sagte, dass der Glaube eine symbolische Ressource ist, die zum Tragen kommt, wenn andere wegfallen. Schlussendlich ist Glauben auch eine Frage des Lebenssinns.

Samiklaus, Engel und Wichtel. Warum ist die Weihnachtszeit voll mit religiösen und atheistischen Glaubensfiguren?

Ich glaube, die Sehnsucht des Menschen nach dem Guten, dem Frieden, der Liebe und der Harmonie wird in dieser Zeit besonders sichtbar gemacht. Spürbar gemacht. Und auch das braucht der Mensch. Glauben kann sich nicht nur in der Theorie abspielen.

Zur Person
Paolo Capelli ist Theologe und arbeitete früher in einer Pfarrei. Seit über 20 Jahren ist er Ausbildner von Religionslehrpersonen und Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Chur für Religion und Ethik. Er arbeitet auch bei der Katholischen Landeskirche Graubünden. Beruflich beschäftigt sich Paolo Capelli deshalb viel mit dem Thema Glauben und der Beziehung der Menschen dazu.

Inhalt von buew logo
Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Leben & Freizeit MEHR