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Zusammen allein sein

Das 38. DAVOS FESTIVAL untersucht vom 5. bis 19. August die unterschiedlichen Facetten und Färbungen dieses «Allein» – musikalisch und philosophisch.

Davoser
Zeitung
04.08.23 - 16:46 Uhr
Kultur
Olivia Röllin
Olivia Röllin
SRF/Gian Vaitl

Voyeuristisch klingt die Einladung, Menschen beim «Selbstgespräch» zuzuhören. Das diesjährige «Davos Festival – young artists in concert» beginnt an diesem Samstag im Kongresszentrum genau ­damit. Das Publikum lauscht langen ­Gedankenströmen wie in der «Pavane» von Philippe Hersant, gespielt vom Bratschisten Sào Soulez Larivière. Oder es lässt sich von Äneas Humm in die Traumwelt des Don Quichotte führen, wie Maurice Ravel sie für Baritonstimme gefasst hat. Innere Dialoge führen wir alle, doch ist es aufregend, aus diesem Blickwinkel Werken zu lauschen, die Komponierende zu Papier gebracht haben.

Gute zwei Wochen lang betrachten junge Musikerinnen und Musiker in diesem Sommer das «Allein» in allen Facetten. Eine gewagte Themenwahl, denkt mancher, nach zwei Jahren Zusammenkunftsbeschränkung durch Covid-19. Doch Festivalintendant Marco Amherd ist anderer Meinung. «Mich hat vor allem fasziniert, welche Kraft im Alleinsein stecken kann», erklärt er. «In der Pandemie haben wir erfahren, was es bedeutet, isoliert zu sein. Um aber neue Ideen zu entwickeln oder die eigenen Bedürfnisse zu erfahren, braucht es den Mut, allein und vielleicht sogar einmal von sich selbst gelangweilt zu sein!» Kreativität entspringe oft in ­Abgeschiedenheit. Auf die Unterscheidung kommt es Marco Amherd an: «Einsamkeit macht uns krank. Das Alleinsein ist jedoch eine schöpferische Quelle, die die meisten von uns zu wenig nutzen.»

Diese in uns schlummernden Möglichkeiten erörtert auch die Eröffnungsrednerin Olivia Röllin. Seit diesem Jahr ist die Moderatorin der SRF-Sternstunde Religion auch Gesprächsleiterin der Radiosendung «Persönlich» und hört so ­manche Geschichte darüber, was Menschen tun, wenn sie allein sind.

Äneas Humm
Äneas Humm
zVg/Maurice Haas

«Zuhause»

Am Sonntagnachmittag bietet das Konzert in St. Johann ein «Zuhause», ver­standen nicht als Elternhaus, sondern als Ort, an dem wir sein dürfen, wie wir ­wollen. Vielleicht wird Davos in diesen Wochenauch den Künstlerinnen und Künstlern zum Zuhause. Der Schweizer Bariton Äneas Humm ist sich sicher, dass ihn die Idylle der Berge erden und ruhen lassen wird. «In meiner Zeit am St. Galler Theater bin ich regelmässig durch das Appenzell gewandert. Ich bin begeistert von der Natur in unserem schönen Land, und werde, wenn ich Berge sehe, immer etwas wehmütig, dass ich in der grossen Stadt Berlin, wo ich wohne, keine solchen vor der Haustür habe!» Alleinsein stärke die Empfindsamkeit. «Als Sänger ist man vor Vorstellungen oft gerne alleine, um die Stimme und die Sinne zu schonen.»

Das Trio Orelon hat soeben den Kammermusikwettbewerb von Melbourne gewonnen und freut sich, in Davos Ruhe und Inspiration zu tanken. «Gerade, weil wir so viel reisen, ist es für uns ein echter Luxus, über einen längeren Zeitraum am selben Ort sein zu können und uns ganz auf die Musik zu konzentrieren», sagt die Geigerin des Klaviertrios, Judith Stapf.

Marco Amherd
Marco Amherd
zVg/Priska Ketterer

Offenes Singen

Am Montag geht der Teil des Programms los, auf den sich eingefleischte Festivalfans besonders freuen. In der ersten ­Woche lädt Chorimprovisationsspezialistin Onna Stäheli zum Offenen Singen ein, Montag bis Donnerstag um 10 Uhr in der Pauluskirche. «Innerhalb dieser halben Stunde hat man gut Zeit, die Stimme zu wecken, sich spielerisch mit den anderen Stimmen im Raum zu verbinden, alte und neue Lieder anzustimmen und die Ohren zu öffnen», freut sich die Wahl-Zürcherin. Wer am Morgen Stimme und Ohren geöffnet hat, geniesst vielleicht am Abend noch intensiver das Konzert «Femme fatale?». Marco Amherd möchte darin Rollenklischees hinterfragen: Ein Single-Mann versprüht den Charme eines «Lonesome Cowboys». Eine Frau, die allein ist, wirkt suspekt und ver­zweifelt. Selbstbewusste Frauen wie die Komponistinnen Alma Mahler-Werfel und Henriëtte Bosmans, die für ihre Bedürfnisse einstanden, wurden und werden kritisch betrachtet.

Text von Mara Engel für das Davos Festival.

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