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«Würdig leben bis zuletzt»: Besucherandrang

Mit einem solchen Besucher­andrang hatten die Veranstalter am vergangenen Dienstag nicht gerechnet.

Davoser
Zeitung
19.04.24 - 17:00 Uhr
Ereignisse
Der grosse Besucherandrang überraschte die Veranstalter.
Der grosse Besucherandrang überraschte die Veranstalter.
zVg
Anlass für die Veranstaltung – welche sich rund um Fragen drehte – was es für ein «Würdig leben bis zuletzt» braucht, ist die anstehende kantonale Gesetzesrevision, ­welche den Alters- und Pflegeheimen neu vorschreiben will, dass sie assistierten Suizid zulassen müssen.

Alterspsychiater Raimund Klesse ging in seinem einfühlsamen Eingangsreferat auf Wert und Bedeutung der älteren Generation für die heutige Gesellschaft ein. Die jetzigen älteren Generationen seien die ersten, die so gesund alt werden könnten. Doch das Alter könne auch Beschwerden und Leid mit sich bringen. Veränderungen, gesundheit­liche Probleme, Verlust von Partner und Freunden würden manchmal zu Vereinsamung oder Verzweiflung führen. Wenn dann ein Mensch sage, er wolle nicht mehr leben, heisse das nicht, dass er sterben wolle. Es heisst, dass er so, wie die Situation momentan ist, nicht weiterleben will. Hier brauche es ein mensch­liches Gegenüber, eine Pflegende, ein ­Familienmitglied, oft auch einen Arzt, die den Menschen in seiner Not verstünden. In einer Vertrauensbeziehung kann entwickelt werden, wie die persönliche Situation verbessert werden kann. Oft unterschätzt man die Bedeutung älterer Menschen mit ihrer reichen Lebenserfahrung für die Familie, Mitbewohner im Heim und die ganze Gesellschaft. Sie haben auch den Wohlstand, von welchem wir heute profitieren, geschaffen. Sie haben das Recht, wertgeschätzt und respektiert zu werden. Jedem Menschen steht eine unveräusserliche Würde zu. In den Heimen versuchen die Pflegenden, ein Daheim in einem lebensbejahenden Klima zu schaffen. Damit der Mensch die ihm zustehende Würde leben kann, braucht es auch die Familie, die Nachbarn und die ganze Gesellschaft. Assistierte Suizide in Heimen dagegen können schwerwiegende Auswirkungen auf die ganze Atmosphäre, die Pflegenden und auch die Mitbewohner haben. Der Referent plädierte dafür, dass in unserer Demokratie jedes Heim die Freiheit haben müsse, selbst über seine Kultur zu entscheiden.

Wünsche der Bewohnenden sind zentral

Andrietta Räss, Pflegedienstleiterin des Zentrums Guggerbach, berichtete, dass es für sie zentral sei, die Wünsche der Bewohnerinnen in den Mittelpunkt zu stellen, um ihre Würde sicherzustellen. Sie veranschaulichte dies anhand eines Beispiels einer blinden und immobilen Bewohnerin. Während das Pflegepersonal möglicherweise annimmt, dass es für die Bewohnerin wichtiger wäre, wieder sehen zu können, könnte für sie selbst die Möglichkeit, sich zu bewegen, von höherer Bedeutung sein, während das Sehvermögen sekundär ist. Daher ist es entscheidend, die persönlichen Präferenzen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen zu respektieren und zu unterstützen. Für viele Bewohnerinnen wird das Heim zu einem neuen Zuhause, in dem sie Freundschaften knüpfen und soziale Interaktionen mit dem Pflegepersonal pflegen können. Es ist wichtig, eine Umgebung zu schaffen, in der sich die Bewohnerinnen wohl und geborgen fühlen und ihre Lebensqualität bestmöglich erhalten bleibt. Die Selbst­bestimmung und Autonomie der Bewohnerschaft sollten stets respektiert und gewahrt werden.

Landrat Christian Thomann bedauerte, dass die schwindenden christlichen Werte wie die christliche Nächstenliebe auch dazu führten, dass immer mehr Menschen vereinsamen. Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe, sich um diese Menschen zu kümmern. Hingegen sei es nicht Aufgabe des Kantons, die Alters- und Pflegeheime zu zwingen, den assistierten Suizid in ihren Räumlichkeiten zuzulassen. Insbesondere dann nicht, wenn dieser nicht im Einklang mit dem Leitbild der Heim-Trägerschaft ist. Einerseits werden Pflegende in ihrer Religions- und Gewissensfreit eingeschränkt, andererseits stelle dies auch eine Einschränkung der Autonomie der Trägerschaft wie auch der Gemeinde dar, welche auch oft öffentliche Gelder für diese Institution sprechen.

Das Einzige, das gesichert sei, sei unsere Endlichkeit und das Sterben. Pfarrer ­Susak beantwortete die Frage, ob wir uns zu Lebzeiten zu wenig mit dem Tod, Sterben beschäftigen und uns daher so sehr davor fürchten, mit einerseits der höheren Lebenserwartung und natürlich der besseren Gesundheitsversorgung. Früher war es gerade in grösseren Familien normal, dass mehrere Kinder das Erwachsenenalter nicht erreichten, die Lebenserwartung lag bei 40 bis 50 Jahren. Das ist heute ganz anders, einerseits verspreche man in Werbebotschaften ewige Jugend, die Lebenserwartung sei viel höher, da sei es natürlich, dass man sich weniger mit der Endlichkeit beschäftige und auch die Bedeutung des Abschiednehmens, des Sterbeprozesses verkenne. Die Kirchen nehmen mit der Seelsorge in diesem wichtigen Prozess eine bedeutende Funktion wahr, aber natürlich auch dann, wenn es darum geht, als christliche Gemeinschaft die Vereinsamung zu bekämpfen.

Verweis auf die Polizeistatistik

Mit dem Verweis auf die Bündner Polizeistatistik, welche eine klare Zunahme der assistierten Suizide von in den Jahren 2021 und 2022 rund 38 auf neu im 47.16 Prozent (2023) ausweist, fragte Moderatorin Valérie Favre Accola die Diskussionsteilnehmenden, wie man auch im Anbetracht der steigenden Gesundheitskosten, der Belastung des Pflegedienstpersonals und von Wartelisten sicherstellen könne, dass Bewohnerinnen und Bewohner sich selbst nicht das Recht absprechen, zu existieren, sich selbst nicht auf einen «Kostenfaktor» reduzieren und daher auch vermehrt an assistierten Suizid denken. Die Diskussionsrunde war sich einig, dass man dies bedauerlicherweise kaum sicherstellen könne, insbesondere nicht, wenn die Zahl der assistierten Suizide zunehme und in der Folge davon eine Dynamik entstehe.

Das Publikum hatte ebenfalls die Möglichkeit, sich zu äussern und Fragen zu stellen. In der Schlussrunde dankten die Diskussionsteilnehmenden dem Zentrum Guggerbach für die hervorragende Führung und äusserten den Wunsch, dass die Gemeinschaft «Nächstenliebe» lebt, den Mitmenschen Zeit schenkt.

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