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RhB auf Rekordjagd

Bei der Rhätischen Bahn (RhB) scheint derzeit Aufbruchstimmung zu herrschen. Nicht nur wird am 29. Oktober versucht, mit 21 Kompositionen den längsten Personenzug der Welt zu bilden, nein: Am letzten Freitag ging ein wohl ebenso historischer Moment über die Bühne, respektive über die Geleise. Denn im Vereinatunnel fuhr erstmals in Europa ein Schmalspur-Zug mit über 150 Stundenkilometern.

Andri
Dürst
16.07.22 - 12:41 Uhr
Ereignisse
Diverse Kabel verbinden die verschiedenen Messgeräte miteinander.
Diverse Kabel verbinden die verschiedenen Messgeräte miteinander.
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Klosters Platz, Freitagabend, 20.45 Uhr. Eine nicht gerade gewöhnliche Zeit für einen Medienanlass. So erstaunt es nicht, dass diese Zeitung als einziges Medium vor Ort war. Doch alleine war man dennoch nicht: Nebst RhB-Direktor Renato Fasciati waren auch Vertretende der Industriepartner ABB, von Stadler Rail und von Märklin zugegen. Man verschob gemeinsam nach Selfranga, wo weitere RhB-Mitarbeiter auf die Gäste warteten. Dort informierte Fasciati, was an diesem Abend geplant sei: Im Rahmen von Testfahrten mit den Capricorn-Zügen im Vereina-Tunnel werde man erstmals mit über 150 km/h auf dem RhB-Netz verkehren. «Ein spezieller Moment, den wir hier erleben dürfen», versprach der RhB-Direktor. Er gab auch sogleich Entwarnung, dass man keinesfalls unnötige Risiken eingehen werde und die Sicherheit stets an erster Stelle stehe. Die Anwesenden – inklusive eines Hundes – stiegen deshalb auch mit einem guten Gefühl in die Komposition Nummer 3113. Ein Zug, der mit zahlreichen Kabel und Messgeräten in den Wagenkästen, aber auch auf den Drehgestellen ausgerüstet war. Um diese sensiblen Installationen nicht zu beeinträchtigen, war der Bewegungsraum der Gäste auf wenige Meter beschränkt. Der Wechsel von einer Zugspitze zur anderen erfolgte an den «Endstationen» – die jeweils mitten im Tunnel lagen – über das Schotterbett. So konnte man nebenbei auch mal die Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, zu Fuss durch den Vereina zu spazieren.

Peter Klima durfte als Projektleiter auch gleich den Zug steuern.
Peter Klima durfte als Projektleiter auch gleich den Zug steuern.
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Auf Herz und Nieren prüfen

Kurz vor dem Südportal also wechselten alle Passagiere ins Abteil, das sich beim Führerstand befand. RhB-Projektleiter Peter Klima erklärte nun, was er genau vorhabe. Er werde unterschiedliche Geschwindigkeiten fahren, unter anderem mit Übergeschwindigkeit. Dies bedeute, dass statt mit den für Capricorns vorgesehenen 120 km/h schneller gefahren wird, um zu prüfen, ob die Infrastruktur dies auch aushalte. Das Ganze habe allerdings einige Auswirkungen, meinte Klima. «Wegen des hohen Tempos wird viel Staub aufgewirbelt, sodass meine Sicht auf die Signale eingeschränkt ist. Höhere Geschwindigkeit bedeutet zudem auch einen längeren Bremsweg». Was hinzukomme, seien Eigenschwingungen der Fahrleitungen, sodass sich oberhalb des Stromabnehmers Lichtbögen und Feuerbälle bilden würden. Das Ganze beruhige sich aber unter 130 km/h wieder. Im Fahrgastraum wartete man nun also gespannt, bis es losging. Und tatsächlich: Der Lokführer konnte den Capricorn im Laufe der Fahrt auf 154 km/h beschleunigen. Die Freude bei den Fahrgästen war gross. Doch zu Ende waren die Testfahrten noch nicht. Es ging nochmals zurück Richtung Engadin, wenn auch nicht so schnell. «Richtung Sagliains überwindet der Tunnel eine Steigung von 15 Promille, nach Selfranga sind es nur 5 Promille, weshalb wir in diese Richtung schneller fahren können», erklärte der RhB-Projektleiter. An sich sei aber die Röhre ein optimaler Ort für solche Testfahren, meinte Roland Hofmann, ehemaliger Leiter Sicherheit bei der RhB. «Bereits die Weichen können mit hohen Geschwindigkeiten befahren werden, und auch das Geleise ist in einem guten Zustand.» Gemäss Fasciati solle deshalb der Vereina auch zu einer der Strecken werden, wo man mit den Capricorns künftig die möglichen 120 Stundenkilometer ausnutzen könne, nebst den Linien Landquart-Chur oder Chur-Ems. Dank solch hohen Tempi liesse sich Stabilität im Netz und im Fahrplan verbessern, hofft der RhB-Direktor.

163 km/h – diese historische Zahl erschien kurz nach Ankunft in Klosters auf dem Display des Zuges.
163 km/h – diese historische Zahl erschien kurz nach Ankunft in Klosters auf dem Display des Zuges.
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Mit solchen Sensoren werden die Auswirkungen der Übergeschwindigkeit gemessen.
Mit solchen Sensoren werden die Auswirkungen der Übergeschwindigkeit gemessen.
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Mission erfolgreich abgeschlossen

Doch zurück zur Testfahrt. Auf der letzten Runde des Tages gab Klima nochmals so richtig Gas. Und er übertrumpfte «seine» vorherige Höchstgeschwindigkeit nochmals um fast 10 km/h: Mit genau 163,02 km/h erlebte man mit der «kleinen Roten» an diesem Abend einen Hauch von TGV. «Ich bin beeindruckt, wie ruhig der Zug fuhr und werde sicherlich ein gutes Gefühl haben, wenn er mal mit 120 km/h durch Graubünden fährt», freute sich Fasciati am Schluss. Der Tag sei eine Folge einer sehr erfolgreichen Rollmaterialbestellung. Die 33. und die 34. Capricorn-Komposition würden derzeit in Altenrhein auf ihre AuslieferungRichtung Graubünden warten. Somit sei bereits mehr als die Hälfte aller 56 bestellten Kompositionen auf dem RhB-Netz unterwegs. «Es war und ist eine gefreute Sache», hielt ein bescheidener, aber doch etwas stolzer RhB-Direktor abschliessend fest.

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