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Was wäre, wenn der Wald brennen würde?

1943 brannte der Calanda – im Gespräch darüber mit Stefan Becker vom Grün- und Werkbetrieb Chur.

Bündner Woche
21.04.23 - 09:58 Uhr
Leben & Freizeit
Calanda im Hitzesommer 1943: Der Wald brennt.
Calanda im Hitzesommer 1943: Der Wald brennt.
Archiv Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden

von Karin Hobi

Bald 80 Jahre ist es her, als der Wald am Calanda lichterloh brannte. Ein unvergessenes und schlimmes Naturschauspiel. In grossen Teilen der Ostschweiz herrschte ein Hitzesommer und es gab kaum Niederschlag. Das Gras begann zu welken und zu verdorren und die Erde war bis in grosse Tiefen vollständig ausgetrocknet.

Es war Freitag, der 20. August 1943. Ein besonders schwüler Tag. Die Rekruten der Rekrutenschule für schwere Infanteriewaffen führten auf dem Rossboden Schiessübungen durch. Mit Leuchtspurmunition schossen sie auf die Ziele an den unteren Hängen des Calanda. Bereits um neun Uhr morgens fingen das dürre Unterholz und das ausgedörrte Gras Feuer. Was erst mal schnell gelöscht werden konnte. Die Übung wurde fortgesetzt. Zwei Stunden später: Ein Geschoss, das am Fusse der Felswand von Malabiel auf einen Stein oder Fels aufschlug, wurde seitlich abgewiesen. Beim Aufprall löste sich der Leuchtspursatz, flog mit verminderter Geschwindigkeit einige Meter weiter und brannte am Boden aus. Das Gras entzündete sich sofort. Den ersten Kräften zur Brandbekämpfung war es nicht möglich, das Feuer zu löschen. Es breitete sich viel zu schnell aus. Am Nachmittag läuteten Sturmglocken von Felsberg bis Maienfeld Alarm. Vom Föhn genährt, schossen die Feuergarben haushoch in den Himmel. Haldenstein war bedroht. Auf dem Höhepunkt der Katastrophe standen gemäss einem Bericht im «Bündner Tagblatt» über 3600 Mann mit 100 Pferden und 16 Motorfahrzeugen im Löscheinsatz.

Die Löscharbeiten gingen nur mühsam voran

Währenddessen wütete in ganz Europa der Zweite Weltkrieg und viele Männer waren in den Grenzgebieten stationiert. Helfende Hände fehlten. Und am steilen Gelände gingen die Löscharbeiten nur mühsam voran. Mit allen möglichen Mitteln versuchte man, das Feuer zu löschen. Zum Helden dieser Aktion erklärte man später einen jungen Mann in Zivil, der mit seiner Milchtanse auf dem Rücken mehrere Male Wasser zu den Flammen hochgetragen hat.

Der Wald brannte weiter. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln wurde gesägt und geschlagen und eine vier Meter breite Schneise erstellt. Dann musste man zusehen, wie das Feuer die letzten Bäume in der Brandzone vernichtete. Bei der Schneise kam der Brand zum Stillstand und das Feuer konnte sich nicht weiter ausbreiten. Eine Gesamtfläche von rund fünf Quadratkilometern wurde vom Feuer erfasst. Ein Maiensässhäuschen und drei Ställe wurden dabei vernichtet. Entspannung trat erst ein, als der Wind am 25. August nachliess und Regen einsetzte. Bis der letzte Brandherd erstickt war, dauerte es ganze dreieinhalb Wochen. Die Bilanz war dementsprechend verheerend: Allein auf dem Gebiet der Gemeinde Haldenstein waren 400 Hektaren Wald in Mitleidenschaft gezogen worden, wie das «Bündner Tagblatt» damals berichtete.

Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten Angst: Das Feuer war fast nicht zu bändigen.
Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten Angst: Das Feuer war fast nicht zu bändigen.
Bild Archiv Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden

«Der Brand dauerte aber noch viel länger. Stock- und Bodenfeuer mussten noch bis November gelöscht werden», erzählt Stefan Becker vom Grün- und Werkbetrieb Chur. Auch darüber, dass die Haldensteinerinnen und Haldensteiner während dem Grossbrand ihren sieben Sachen packen mussten, um für eine allfällige Evakuierung bereit zu sein. Glücklicherweise kam es nicht dazu.

Damalige Möglichkeiten für die Brandbekämpfung? «Wenige bis keine», so Stefan Becker. Fehlendes Wasser. Fehlendes Werkzeug. Keine befahrbaren Strassen. Die Menschen waren zu Fuss oder auf Pferden unterwegs. Die Mittel für Waldbrandbekämpfungen haben sich nach 80 Jahren natürlich stark verändert, mit Löschfahrzeugen, Helikoptern und sehr kurzen Interventionszeiten. Denn mit rund 40 000 Einwohnerinnen und Einwohnern – quasi 80 000 Augen – funktioniert das Frühwarnsystem sehr gut. «Wenn irgendwo Rauch entsteht, klingelt das Telefon sofort», sagt Stefan Becker.

Löschbecken Arella: Dient bei einem Brand vor allem für den Ersteinsatz für Helikopter und Feuerwehr. Bild Archiv Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden
Löschbecken Arella: Dient bei einem Brand vor allem für den Ersteinsatz für Helikopter und Feuerwehr. Bild Archiv Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden
Bild Archiv Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden

Das Gebiet oberhalb des Waffenplatzes war früher beweidet. Heute gehört es dem Bund. Am 24.10.1983 ereignete sich der letzte grössere Brand. Der Wald ist heute zum Teil anders als damals. Ja. Vorher hatte es mehr Buschwälder. Nach dem Brand wurde auf dem Gebiet oberhalb des Waffenplatzes eine Brandschutzmauer gebaut und immer wieder ergänzt. Eine erste Vorsichtsmassnahme für zukünftige Waldbrände. Zudem wurden nach und nach Löschreservoirs gebaut. Aber die intensivste und langjährige Arbeit war die Wiederaufforstung. Alles war abgeholzt. In einem über 20 Jahre langen Projekt wurde daran gearbeitet. Damit der Wald so aussehen kann, wie er es heute tut. Bodenproben und pflanzenkundige Abklärungen mussten dafür getätigt werden, um darüber zu bestimmen, welche Baum- und Pflanzensorten auf den Flächen wieder aufgeforstet werden können. «Eine bodenkundliche Pionierarbeit», wie Stefan Becker es nennt. Terrassen zur Bepflanzung wurden bis zu den Felswänden angelegt und mit rund 1,6 Millionen Pflanzen aufgeforstet, wobei auch er bei der Pflege 26 Jahre mitgeholfen hat. «Die Hausgeissen aus dem Dorf mussten weggebracht werden, damit sie die Pflanzen nicht abfrassen», erzählt Stefan Becker. «Eine Stabilität wurde angestrebt. Eine so grosse künstliche angelegte Aufforstung kann nur funktionieren, wenn jede Pflanzen- und Baumart den Standort hat, an welchem passend Wasser und Licht vorhanden ist. Aber die Arbeit hat sich gelohnt. «Schön, wie der Wald nach all den Jahren wieder spriesst», findet er.

«Meistens sind wir Menschen die Verursachenden»

Stefan Becker

Wie Waldbrände entstehen können? «Meistens sind wir Menschen die Verursachenden», sagt Stefan Becker. «Durch brennende Zigarettenstummel, Feuer machen im Wald, ohne es richtig zu löschen beispielsweise.» Auch Blitzschläge können einen Brand verursachen. Das ist ihm hier aber nicht bekannt.

Bei einem Waldbrand geht es immer um Geschwindigkeit. Wenn der Brand oben in den Kronen ist, hat man verloren. Wenn das Feuer im Boden ist, muss es ausgegraben, bewässert, eingeschwemmt werden. Das ist auch heute noch so. Und was, wenn wieder ein Feuer ausbricht, hier bei uns rund um Chur? «Nach dem Alarm wird sofort die Feuerwehr aufgeboten», so Stefan Becker. Er und sein Team haben in einem solchen Fall die Befugnis, Helikopter aufzubieten, um innerhalb von kürzester Zeit Wasser auf dem Luftweg zu transportieren. Auch das Militär würde sofort unterstützend mithelfen. Die Polizei hätte – wie bei jeder Katastrophe – zuerst den Lead, der dann fliessend dem Katastrophenstab der Gemeinde übergeben würde. «Ein Grossbrand könnte immer wieder passieren», sagt Stefan Becker. «Da kann man noch so präventive Massnahmen treffen, mit Beschilderungen und Feuerstellen schliessen. Gewähr hat man nie.»

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