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Sind Gebirgspflanzen zu wenig flexibel?

Hochgebirgspflanzen zeigen innerhalb ihrer Art relativ wenig Variabilität. Das könnte eine schlechte Ausgangslage im Klimawandel sein: Variablere Generalisten aus tieferen Lagen könnten schneller und besser auf das veränderte Klima reagieren und die Spezialisten verdrängen.

Davoser
Zeitung
23.03.22 - 16:31 Uhr
Leben & Freizeit
Feldarbeit in den australischen Alpen.
Feldarbeit in den australischen Alpen.
zVg/Christian Rixen, SLF

Der Klimawandel betrifft auch Pflanzen: Wenn es etwa wärmer oder im Sommer feuchter wird, können sie möglicherweise schneller wachsen und sich erfolgreicher fortpflanzen. Was auf den ersten Blick positiv scheint, ist in der Realität kompliziert und alles andere als eindeutig. Denn nicht alle Pflanzenarten sind gleich gut darin, solche Veränderungen ihrer Lebensbedingungen auszu-nutzen. Fachleute befürchten, dass vor allem Generalisten und Allerweltsarten profitieren und so seltene Arten und Spezialisten für harte Lebensräume verdrängen (siehe auch «Pflanzen erobern Europas Gipfel immer schneller»).

Pflanzenökologe Christian Rixen vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF hat dazu zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus China, Australien und Neuseeland eine Studie durchgeführt und jetzt im «Journal of Ecology» veröffentlicht. Sie haben sogenannte «Traits» von 66 Pflanzenarten unter die Lupe genommen. «Traits» sind Merkmale, die zwischen Individuen derselben Pflanzenart variieren können, zum Beispiel die Höhe der Pflanze. Zudem haben diese Merkmale wichtige Funktionen in der Natur. So profitieren höher gewachsene Exemplare von mehr Sonnenlicht und produzieren mehr Biomasse.

Die Forschenden vermuten, dass Pflanzenarten, bei denen solche Merkmale eine grosse Variabilität aufweisen, grundsätzlich besser in der Lage sind, auf Umweltveränderungen zu reagieren. Denn egal, wie die Veränderung ausfällt: Einige Exemplare dieser Arten sind bereits daran angepasst.

Rixen und seine Kolleginnen und Kollegen haben bei jeder Pflanzenart sieben ausgewählte «Traits» (nebst der Höhe zum Beispiel auch die Blattfläche oder ob die Pflanze Blüten trägt) sowie die Verbreitung der Art entlang von Höhengradienten untersucht – an Bergen in China, Australien, Neuseeland und der Schweiz. Die Analysen zeigen für alle untersuchten Regionen ein einheitliches Bild:

- Pflanzenarten, die bevorzugt in tieferen Lagen wachsen, zeigen eine grosse Variabilität in der Ausprägung der «Traits»

- Pflanzenarten, die in allen Höhenlagen verbreitet sind, zeigen ebenfalls eine grosse Variabilität in der Ausprägung der «Traits»

- Pflanzenarten, die bevorzugt in besonders hohen Lagen wachsen, zeigen eine kleine Variabilität in der Ausprägung der «Traits»

Neuseeländische Gebirgspflanze: «Golden Speargrass» (Aciphylla aurea).
Neuseeländische Gebirgspflanze: «Golden Speargrass» (Aciphylla aurea).
zVg/Christian Rixen, SLF

Falls also die Variabilität wirklich ein wichtiger Faktor für eine rasche und erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel ist, dann laufen die Hochgebirgsspezialisten Gefahr, ins Hintertreffen zu kommen und von Allerweltsarten und Generalisten ausgestochen zu werden.

Christian Rixen und seine Kolleginnen und Kollegen bleiben mit Langzeitbeobachtungen der Pflanzenwelt im Hochgebirge in der Schweiz und weltweit am Thema dran. Um herauszufinden, ob ihre Grundhypothese wirklich stimmt, braucht es nebst Beobachtungsstudien aber auch aufwändige Experimente. So wird sich in einigen Jahren zeigen, ob ­hohe Variabilität wirklich ein Erfolgs­faktor für die Anpassung an den Klimawandel ist.

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