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Der gestrandete Wal

43 Jahre nach seinem Studiumsantritt und 12 Jahre nach seiner Zeit in Davos wäre Roland Augstburger eigentlich bereit gewesen für die Pensionierung. Doch im letzten Moment kam im Leben des Psychologen vieles anders als geplant.

Andri
Dürst
16.04.23 - 12:00 Uhr
Leben & Freizeit
Roland Augstburger kommt nicht los von Davos – obschon er die Berge nicht gerne hat.
Roland Augstburger kommt nicht los von Davos – obschon er die Berge nicht gerne hat.
ad

Man schrieb das Jahr 2011, als der ge­bürtige Winterthurer Roland Augstburger seine erste Stelle in Davos antrat. «Ich war damals arbeitslos, meine Ehe ging in die Brüche, und zu allem dazu hatte ich noch einen Totalschaden mit meinem Auto», blickt er auf seine damalige Lebenssituation zurück. «Ich hatte aber einen Vorteil: Ich war nicht mehr an den Raum Zürich gebunden, sondern konnte schweizweit einen Job suchen.» Nach Vorstellungsgesprächen an verschiedenen Orten war es dann soweit, und in der Klinik Clavadel der Zürcher Reha-Zentren fand er eine Stelle mit leitender Position. «Wenn man mit 54 noch eine solche Stelle findet, ist das wie ein Sechser im Lotto», betont Augstburger. So packte er seine Koffer und zog in die Berge, genauer gesagt nach Schmitten, von wo aus er täglich nach Clavadel pendelte. Es zeigte sich aber, dass die Berge ihm nicht wirklich gefallen. «Ich fühlte mich wie ein ­gestrandeter Wal und hoffte, dass mich Greenpeace zurückzieht», erzählt er mit einem Augenzwinkern.

Das «passende» Amt gefunden

An seine Zeit in Schmitten hat er spezielle Erinnerungen: «Wie es so ist in kleinen Gemeinden, landet man nach einiger Zeit im Gemeindevorstand». Dort habe er das Ressort «Alp und Landwirtschaft» übernommen. «Ausgerechnet ich – der die Berge nicht gerne hat und nicht einmal eine Kuh von einer Geiss unterscheiden kann», fügt er mit seiner gewohnt humoristischen Art an. Nach zweieinhalb Jahren in der Davoser Nachbargemeinde aber entschloss er sich, auf das Pendeln zu verzichten und nach Clavadel zu ­ziehen. Wenig später ging es mit Augstburgers politischer Laufbahn in eine neue Phase: 2016 stellte ihn die sozial­demokratische Partei als Kandidat für den Grossen Landrat auf, «mit dem Versprechen, dass ich wohl eh nicht gewählt werde». Bekanntlich kam es anders, und er nahm neben dem heutigen Land­ammann Philipp Wilhelm Einsitz im Ortsparlament. 2020 wurde er gefragt, ob er denn wieder antreten wolle. «Da ich aber 2022 pensioniert werden sollte und danach von Davos wegzuziehen beabsichtigte, entschied ich mich dagegen.»

Überredet zum Bleiben

Doch dieser Plan ging noch nicht auf: Mittlerweile bei der Hochgebirgsklinik (HGK) am Wolfgang angestellt, arbeitet er noch immer. «Eigentlich wäre letztes Jahr der Moment gekommen, auf den ich seit meinem 60. Geburtstag gewartet ­habe – meine Pensionierung», sagt der «Wal»-Davoser. Doch da in der HGK eine neue Abteilung für Familienpsychologie aufgebaut wird, überredete man ihn, noch ein wenig zu bleiben. «Ich war eigentlich ursprünglich bereits Kinder- und Familienpsychologe, habe aber die meiste Zeit mit Erwachsenen gearbeitet. Nun schliesst sich der Kreis wieder.» Doch nicht nur dieser Kreis schliesst sich für Augstburger: «Als ich mich 1980 an der Universität einschrieb, riet man mir, klinische Psychologie und Psychopathologie zu belegen, da diese Behandlungen bald von der Krankenkasse übernommen werden sollten». Nun habe er «nur» 43 Jahre warten müssen, bis die dafür notwendige Gesetzesänderung beschlossen wurde. Da dies nun seit dem 1. Januar möglich sei, habe er sich bei der Praxis für Psychotherapie von Sandy Krammer – sie schreibt regelmässig für die DZ – eingemietet. «Sie hatte auch die Idee für eine Vortragsserie, die in Bälde startet», erklärt Augstburger. Er habe dann den passenden Namen dazu entworfen: «Tiefe in der Höhe». Den Serienauftakt macht Augstburger gleich selber (siehe Box).

Pension am anderen Ende der Welt geniessen

Doch auch wenn der «gestrandete Wal» noch immer in seinen ungeliebten Bergen sitzt: Langsam scheint ein Ende in Sicht zu sein. «Im Spätsommer – vielleicht auch ein paar Wochen später – werde ich für ein Jahr lang auf Reisen gehen.» Er plant, rund um den Globus diverse Inseln mit Palmen und Stränden zu besuchen. «Einzige Bedingung dabei: Es darf keine Berge haben!»

Auch wenn er bis heute keinen Gefallen am Gebirge gefunden hat: Augstburger kann sich gut vorstellen, ab und an als Feriengast in Davos aufzukreuzen. «Ich habe den Ort mittlerweile schätzen gelernt. Insbesondere die Freundlichkeit und die Unkompliziertheit der Leute ­gefielen mir sehr.»

Vortrag
Unter dem Titel «Märchen in der Psychologie – Oder warum man Frösche nicht küssen sollte» wird Roland Augstburger am Freitag, 21. April, um 19 Uhr im evangelischen Kirchgemeindehaus, Obere Strasse 12, den ersten Vortrag der Reihe «Tiefe in der Höhe» abhalten. Nicht ganz frei von Humor, zeigt er auf, wie Märchendeutung dabei unterstützt, eine Paarbeziehung neu zu sehen und zu verstehen. Oder warum man Frösche nicht küssen sollte …
Anmeldungen via www.psychologie-davos.com

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