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Der Schlosser, der um Mitternacht kam

Josef Wessely knackte Tresore und Gefängnistüren wie kein Zweiter – wer war dieser Mann?

Bündner Woche
10.02.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Sass auch im Sennhof: Josef Wessely
Sass auch im Sennhof: Josef Wessely
Archiv

von Laura Kessler

Ein Gentleman-Verbrecher soll er gewesen sein. Einer, der seine Schaffensorte sauberer zurückliess, als er sie vorgefunden hatte. Ein Mitternachtsschlosser, wie er sich selber nannte, damals, 2002, als der Journalist Guido Mingels den berühmten Panzerknacker Josef Wessely besuchte. 73-jährig, rundlich, fast blind. Ein alter Mann in einem Berner Altersheim. Ein Mann wie kein Zweiter verübte er in seinem Leben doch über 1000 Einbrüche – und dazu einige Ausbrüche. Der Weltenbummler Wessely. Der Handwerker. Der Künstler. Der Alleskönner. Der Ein- und Ausbrecherkönig.

Er machte sich einen Namen, obwohl er viele Namen trug

Seine Spezialität: Das Öffnen von Tresoren, bevorzugt in Hotels in den Bergen. Auch in Graubünden war er einige Male zu Gast. 74 Fälle beging er alleine in den Jahren 1995 bis 2001 in den Kantonen Bern, Wallis, Graubünden, Schwyz und Luzern. Er machte sich einen Namen, dieser Wessely, obwohl er in seinem Leben viele Namen trug. Josef Wessely alias Josef Weber, alias Heinrich Felten, alias Heinz Lössel. Nicht seine Namen waren charakteristisch, er hätte noch Hunderte andere tragen können, sein handwerkliches Können war es, die Art und Weise, wie er einbrach, zeichnete ihn aus. Ein Wessely tat das nicht mit Rums und Klimbim. Er tat es leise, sachte, rücksichtsvoll. Nie kam ein Mensch physisch zu Schaden. Nie hinterliess der Meisterdieb Chaos. 2001, mit 72 Jahren, stieg er in eine Scheune ein. Feinsäuberlich entfernte er dort einige Bretter und setzte diese kurze Zeit später wieder ein. Auch damals schon fast blind. So blind, dass er die offene Scheunentür wohl übersah. Seine Hände funktionierten eben auch ohne die Augen.

Von Deutschland, über Belgien und Frankreich in die Schweiz

Es hat seinen Grund, das mit dem Einbrechen. Auch das mit den Hotels. Josef Wessely kam am 3. August 1929 in Rumänien zur Welt. Die Eltern Deutsche, Donauschwaben nannte man sie, waren unverheiratet. Josef, der uneheliche und deshalb vielleicht auch ungewollte Sohn. Er interessierte sich für Kunst, machte aber eine Lehre als Schreiner und war Teil der Hitlerjugend. Der Vater fiel 1945, die Mutter wurde im selben Jahr nach Russland deportiert – und Josef war alleine. Schon bald wurde er zur militärischen Früherziehung eingezogen, doch er hatte genug. Er wollte weg. Mit 19 begann seine lange Reise. 1948 wollte er heim, heim nach Deutschland. Nur war das Daheim eben keines mehr. Josef war illegal. Sie, die Illegalität, sollte ihn das ganze Leben begleiten. Das erste Mal wurde er in Ungarn festgenommen wegen illegalem Grenzübertritt und dem Diebstahl von Äpfeln. Josef büxte aus. An der österreichischen Grenze schnappten ihn die Russen, er floh. Die Dokumente blieben zurück. Der junge Wessely wurde zum Sans-Papiers. Er kam nach Köln, versuchte sich als Porträtzeichner und als Schreiner. Vergeblich. Die Reise ging weiter nach Belgien, illegal, er landete erneut im Gefängnis. Ausbruch, Reise nach Frankreich, Gefängnis, Ausbruch. Nun folgte die Reise in die Schweiz. Es soll gut sein dort, sagte man ihm und erzählte er als gesetzter Herr dem Reporter Mingels. Na ja, gut meinte es die Schweiz nicht mit ihm. Auch hier war der mittlerweile 23-Jährige ein Illegaler und wurde im Berner Oberland in einem Hotel schwarz beschäftigt. Zwei Franken bekam er jeden Samstag, mehr nicht. Josef ging aus Frust und nahm das Fahrrad des Chefs mit.

Seine Lieblingsarbeitsorte: Hotels in den Bergen

So gings vorwärts. Wessely stieg zum ersten Mal in Grindelwald in ein Hotel ein. Im Altersheim in Bern sagte er dem Journalisten, er sei immer in der Schweiz in Hotels eingebrochen, weil er sich wegen damals ungerecht behandelt gefühlt hätte. Und weil er in der Schweiz bestimmt niemandem schade, wenn es um Geld gehe. Die Hotels bekämen ja alles von den Versicherungen zurück. Er wurde geschnappt, damals in Grindelwald. Es folgte eine Odyssee aus Haft und Flucht. Seine Gabe fürs Panzerknacken entdeckte er aber erst später, bei einem Einbruch in Zug. Ganz einfach, wie er fand. So fing er an, Geld zu verdienen. Es lohnte sich, das Einbrechen. Er erlegte sich selber Regeln auf: Immer diskret und angepasst vorgehen. Mit Wanderkleidung stieg er in die Hotels ein, holte, was es zu holen gab, und verliess das Hotel nicht, bevor der Tresor und das Fenster wieder geschlossen waren und das Bohrloch zuweilen gar mit Weissbrot gestopft wurde. Es musste schliesslich alles seine Ordnung haben.

Im Polizeimuseum der Kantonspolizei Graubünden in Chur ist zu sehen, mit was Wessely arbeitete. Filigranes Werkzeug, fast wie beim Zahnarzt, weit weg von Sprengstoff und Brecheisen. Seine Handschrift war unverkennbar, wie ein Polizist der Kantonspolizei sagt. «Wenn wir wieder vor einem Fall standen, genügte ein Telefon in den Sennhof, um zu erfahren, ob Wessely sass oder auf freiem Fuss war. War er draussen, wussten wir, nach wem wir suchen mussten.»

Keiner brach soviel aus wie er

Es überrascht nicht, dass einer wie Wessely, der jeden Kassenschrank knacken konnte, auch regelmässig ausbrach. Keiner ist so viel ausgebüxt wie er. Entkommen ist er trotzdem nie, nie entkam er dem Fahrwasser der Illegalität. Egal, wohin er ging. 1973 wanderte er nach Brasilien aus. Er heiratete sogar, baute eine Villa. Schon vor der Auswanderung machte er einen Fernkurs als Hochbauzeichner. Er interessierte sich für Architektur. Vier Jahre lebte er so, dann wurde er ausgewiesen. Sein Ruf folgte ihm nach Brasilien. In Frankfurt meinte er, verhaftet zu werden. Doch die Verhaftung blieb aus. Niemand wollte Josef Wessely.

Der ewige Trott ging weiter. Im Winter lebte Wessely in Brasilien, im Sommer in der Schweiz. Hier ging er seiner «Arbeit» nach. Dann immer wieder: Haft, Flucht, Haft, Flucht. Im Juni 1979, genau zwei Monate nach seinem Ausbruch aus der bernischen Justizvollzugsanstalt Thorberg, stellte man ihn in einer Migros in Chur. Wie die «Bündner Zeitung» damals in einer kurzen Meldung schrieb, wurde ein Polizeibeamter auf den Mann in Wanderkleidung aufmerksam. Seit 1971 habe er gekonnt Tresore in Hotels geknackt. War man sich damals über das Ausmass von Wesselys Taten bewusst?

Lange sass er nicht. Bereits im September 1980 wurden zwei Kondukteure der Rhätischen Bahn in Ilanz auf ihn aufmerksam. Er wurde der Polizei übergeben. 50'000 Franken hatte er bei sich, seine Beute von der letzten Nacht. Er sass, während seine zweite Frau in Brasilien seinen Sohn zur Welt brachte. Erst 1985 verliess Wessely das Gefängnis, zum ersten Mal durch die Türe. Sein zweiter Sohn erblickte 1986 das Licht der Welt. Nun, nach einer längeren Gefängnisstrafe und als Familienvater, könnte man meinen, Josef Wessely habe seinen Weg in die Legalität gefunden. Doch aufhören, nein, das war nicht im Sinne Wesselys. Über 1000 Einbrüche sollten es werden. Er knackte eben alles: Tresore und Rekorde.

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