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85 Jahre Selfrangalift

Keuchend und stolpernd pilgerte man zu Anfang des 20. Jahrhunderts hinauf auf Selfranga, um hernach in wenigen Minuten bergab zu gleiten, was den Strapazen vom Aufstieg gleich kam.

Conradin
Liesch
26.02.22 - 18:00 Uhr
Leben & Freizeit
Skispringen auf dem «Graggenegg».
Skispringen auf dem «Graggenegg».
ZVG

Noch vor dem 2. Weltkrieg wurde 1937 vom unteren «Töbel» im Doggiloch auf «Ober Selfranga» und weiter zu den Maiensässen ein Skilift mit T-Doppelbügeln gebaut. Auf der Höhe der heutigen Teehütte war eine Mittelstation. Winter mit wenig Schnee im unteren Teil erlaubten den Betrieb des Skiliftes im oberen Teil.

Erfunden wurde der Skilift vom Zürcher Ingenieur Ernst Gustav Constam. Der passionierte Skifahrer entwickelte in der Folge eine Schleppseil-Anlage mit Förderseil. 1930 meldete Constam seine Erfindung beim Patentamt an. Vier Jahre später fand er im einheimischen Davos Hotelier und Landwirt Leonhard (genannt Lieni) Fopp einen Förderer, der am Bau einer solchen Schleppseilbahn auf seinem Grundstück interessiert war. Am 24. Dezember 1934 wurde der Bolgenlift mit J-Bügeln, Einerbügel, in Davos Platz schliesslich in Betrieb genommen. Bald kam der Wunsch, treffender, der Drang und Druck der Feriengäste und einheimischen Skilehrer auf, die Förderleistung zu erhöhen. Der junge Skischulleiter Jack Ettinger hatte schon früh den Flirt-Faktor des Skiliftfahrens erkannt und war der Ideengeber: Er schlug vor, die Einerbügel durch T-förmige Doppelbügel zu ersetzen. Bei seinem Vater, einem Wagner in Davos Glaris, liess er einen Prototypen aus Holz herstellen. Constam, dem dieser Vorschlag sofort gefiel, liess den Bolgenlift auf Doppelbügel umrüsten. Jack Ettinger hatte es leider versäumt, seine Erfindung patentieren zu lassen, doch liess ihm Constam für jeden neuen Lift einige Hundert Franken überweisen. Nach dem Bolgen-Skilift war der Selfranga-Skilift der zweite derartige in der Schweiz. Bald darauf folgten Constam-Bügellifte in St. Moritz, Mürren und Frankreich. «Constam» wurde zum Skiliftsystem mit der grössten Verbreitung.

Für Klosters war der Skilift ein Segen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Skifahren in der Schweiz trendig. Der importierte Sport stammt vom norwegischen Telemark. Aus der norwegischen Sprache liefern die Worte «Ski, Slaläm und Løype» die Zukunft des alpinen Skilaufs.

Vor 114 Jahren auf dem Selfrangahügel

Im Jahre 1908 wurde das feine kleine Skigebiet Selfranga mit einem Sprunghügel auf dem Graggenegg eröffnet. Der Hügel liess Sprungweiten von 17 Meter zu. Die Gelüste verlangten weitere Meter. So wurde auf Oberselfranga, genauer oberhalb des «Chneubüels», mit dem Bau der Selfrangaschanze samt Tribüne begonnen und im Jahre 1913 fertiggestellt, bei einer Endabrechnung der Baukosten von 1634 Franken für Fremdleistungen.

Diese Sprungschanze liess Weiten von 50 Metern zu, was Grosses versprach. Bereits beim ersten Wettkampf im Folgejahr hüpfte ein Herr Parodi 43 Meter weit. Bereits 1920 sprang der norwegische Harald Smith stehend 50 Meter weit (Schweizer Illustrierte SI_211_39) und 1922 wurde der erste Wettkampf mit internationaler Beteiligung ausgetragen.

Der Norweger Thomsen und zwischenzeitlich der Tscheche Josef Bim schraubten am Schanzenrekord. Im Jahre 1927 dominierte der Norweger Dagfin Karlsen die Weiten, neu mit 47 Metern. Dieser Schanzenrekord hielt sage und schreibe 23 Jahre. Nicht verwunderlich, denn der Zweite Weltkrieg verhinderte eine internationale Konkurrenz.

1950 wurde der Selfrangaschanze nochmals mit besserem Material und Technik der Skispringer aufgewartet. Der deutsche Sepp Weiler pulverisierte den Schanzenrekord mit der Weite von 57 Metern förmlich.

Nach diesem Grossanlass wurde es ruhig auf der Selfrangaschanze. Der hölzerne Schanzentisch ächze unter den jährlich horrenden Wetterbedingungen. Daneben verdrängte der einträgliche alpine Skilauf das Skispringen vollends. Heute schlummert bei Vielen der Gedanke, auf Selfranga am gleichen Orte eine Sprunganlage für den Nachwuchs wieder aufzubauen.

Aufwärts: Nostalgiker lieben sie heute noch: die T-förmigen, Skilift-Bügel

Der Bügellift ermöglichte seit Jahrzehnten den Eintritt in das kleine feine Skiparadies Selfranga ob Klosters. Viele Bügellifte gibt es zwar noch, doch moderne Technik, extreme überrissene Komfortansprüche der Schneesportler und effizientere Raumpolitik dezimieren sie aber Jahr für Jahr mehr. Die Liftstützen des ersten Bügellifts wurden aus Rund- und Kantholz errichtet. Der Bügellift wies eine Länge von 748 Metern auf und überwindet eine Höhe von 169 Metern. Durch die Beanspruchung von Wetter und der stetig zunehmenden Menge Skitouristen musste die Holzkonstruktion bald einmal einer stählernen weichen. Die heutige Liftanlage wurde 1984 gebaut, im Tal und bei der Bergstation in der Länge angepasst. Romantische holzige T-Bügel wichen bald den Kunststoffbügeln.

Der erste Selfranga-Skilift mit T-Doppelbügel war bereits in den Jahren 1938 und 1939 ein voller Erfolg. Mit den raschen Vorbereitungen des 2. Weltkrieges fanden die Amerikaner im Skigebiet Selfranga ausgezeichnete Bedingungen, ihren Soldaten das Skifahren beizubringen, um sich im Winter besser fortbewegen zu können. Dies brachte dem kleinen Skigebiet enorme Auslastungen und weiteres mehr: Das Liebesglück, flirten auf dem Abschlepplift. Die damalige Werbung nannte die T-Doppelbügel «Sie+Er-Lifte». Dass die Skipiste der perfekte Ort für eine Winterromanze ist, wissen Schweizerinnen und Schweizer spätestens seit Ines Torellis Hit «Gigi vo Arosa». Moment mal, da war doch was, Ines Torelli spielte in Filmen lieber eine Hexe als eine Prinzessin! Diese altbekannte Geschichte wiederholt sich möglicherweise des Öfteren am Selfrangalift – gar eher bei dem legendären, zweimal wöchentlichen, Nachtskifahren mit einem helvetischen Einkehrschwung in der Teehütte.

Es muss im Februar 1962 gewesen sein, vermutlich am Skilift von Selfranga, als dem Schreibhandwerker das Glück widerfuhr, mit Jos Minsch, dem zukünftigen Klosterser Haudegen im weltweiten Skizirkus, den Bügel teilen zu dürfen. Die vermutlich vier Käse grössere Skikanone aus Klosters bereitete sich damals auf die Ski-Wettkämpfe in Wildhaus vor, die Schweizermeisterschaft, wie sich aus dem vertraulichen Gespräch am Skilift ergeben hat. Jos Minsch wurde 5-facher Schweizermeister. Noch heute trägt in Wengen am Lauberhorn die in höchster dramaturgischer Haltung gefahrene Gelände-Welle nach dem Sprung über den kolossalen Hundsschopf seinen Namen, die «Minsch-Kante».

Das Skigebiet Selfranga feierte Ende der 1980er-Jahre die Eröffnung der gemütlichen Teehütte für Speis und Trank. Anfang der 1990er-Jahre wurde die Skiarena mit einem Kinderlift erweitert. Diese Erweiterungen verwandelten das smarte Skigebiet in eine Drei-Generationen Ski-Arena. Mit den kleinen zukünftigen Skihasen gesellten sich weitere notwendige Anpassungen dazu. Vor rund 20 Jahren konnten dank harten Verhandlungen und viel Geschick in der Teehütte fehlende sanitäre Anlagen eingebaut werden.

Das Skigebiet ist leicht von den Bushaltestellen «Sportzentrum» im Doggiloch und «Ober Selfranga» aus erreichbar. Bei genügender Einsicht von Frau Holle bietet das Gelände der Skiarena alles, um die Künste des alpinen Skilaufs für klein und gross, Jung und Alt, vom Stemmbogen über den Parallelschwung, von akrobatischen Skikünsten bis zum Einkehrschwung, zu üben.

Was viele Feriengäste nicht wissen: Die Skiarena Selfranga bietet auch Winterwandern und Schlitteln auf Ober Selfranga, Ronenwald, Rüti und  Mälcheti–Aeuja, beste Bedingungen, derweil der Jubilar läuft und läuft, was das Zeug hält.

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