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Die Geschlechterfrage aus Sicht einer Beinwurst

Beim 139. Beinwurstabend drehte sich nebst der satirischen Verdauung des vergangenen Jahres in Politik und Gesellschaft fast alles um die grosse Abwesende: die Frau. Und eben um eine schwer verdauliche Wurst.

Gion-Mattias
Durband
29.01.18 - 10:01 Uhr
Leben & Freizeit
Erschöpfungstrunken, aber umso beschwingter sorgt der Männerchor Chur für insbrünstige Töne.
Erschöpfungstrunken, aber umso beschwingter sorgt der Männerchor Chur für insbrünstige Töne.
OLIVIA ITEM

Ich bin da Paul» – «Silvio, moin» – «Hansruedi» – «Nimmsch au a Schluck Rootwii?» Formalitäten bleiben aussen vor, wenn der Männerchor Chur (MCC) zum alljährlichen Beinwurstabend lädt. Vielleicht 400 Mitglieder und Gönner sind es an diesem Samstag im «Marsöl», meist gestandenere Semester. Und es werden laufend mehr, erzählt man mir. Aus Platzgründen musste auch die Galerie bestuhlt werden – «der Kindertisch», wird mir erklärt, «U-50 und no nid so lang dabi». Es ist ein bisschen wie beim Steffaliball: einer jener Anlässe, bei denen man mal wieder alle zu sehen bekommt. Nur eben eher für Best Ager. Und an langen Bänken. Und – vom Servicepersonal abgesehen – unter Ausschluss des weiblichen Geschlechts. Mann sitzt unter sich.

Seit die Schweiz eine Verfassung hat, vereint der MCC die singfreudigen Kehlen der Kantonshauptstadt. Fast ebenso lange trifft Mann sich Ende Januar zum Beinwurstabend – heuer wurde zur 139. Ausgabe geladen: Geselligkeit, Gesang, Trank, währschafter Humor. Und eben die Beinwurst.

Was die Sau sonst noch alles hergibt

«Wer Bier und Würste mag, sollte nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden», wird dem einstigen deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck in den Mund gelegt. Doch die Neugier ist stärker. Und mit Hansruedi sitzt die Fachkunde mit am Tisch. Der einstige Metzger klärt den Beinwurstneuling von der Zeitung auf: Man nehme einen Bodendarm – meist Kalb – und befülle ihn mit allem, was von der geschlachteten Sau am Tresen wenig Gattung macht: «Schnörrli, Öhrli, Schwänzli», viel Fett, viel Knorpel, auch Knochenstücke – daher auch «Bein»-Wurst. Das mit den Schweineschwänzchen habe aber schon sein Vater aufgegeben, erinnert sich Metzger Hansruedi, «das essend d’Lüt hüt nüma». Obwohl viele Ältere das Schwänzchen schätzten, «weg am bsundara Guu». Das ursprüngliche Arme-Leute-Essen wurde traditionell passenderweise am Abend des St.-Crispins-Tags gegessen – dem Tag, an dem früher die fälligen Zinsen zu begleichen waren. In manchem Fall wohl eine frustträchtige Angelegenheit, der sinnigerweise mit währschafter Kost und vollen Gläsern beigekommen wurde.

Auf der Galerie des «Marsöl» ist der Kindertisch: «U-50 und no nid so lang dabi.»

Kaum ist die Wurstfrage geklärt, geben die Hauptprotagonisten ihren Einstand: Der Männerchor besteigt die Bühne, gewissermassen das Fleisch gewordene Motto des Abends, «Laischtigsdrugg». Sichtlich gezeichnet von den Strapazen stundenlanger Proben, setzen die Mannen zu inbrünstigem Gesang an, am Klavier stilsicher begleitet vom musikalischen Leiter des Abends, Ruedi Reinhardt. Die bereits beim ersten Auftritt arg gelockerten Krawatten und sonstigen Tenüfreiheiten werden den offenbar erschöpfungstrunkenen, dafür um so beschwingteren Sängern nachgesehen. Ein stimmiger Einstieg.

Politik, Wein ... und die Frauen

Andere zitieren den genannten alt Reichskanzler in leicht abgewandelter Form: «Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.» Auch dies nicht minder passend für den Abend. Ob nun Stadtpräsident Urs Marti, dessen Gehalt angeblich davon abhängt, wie oft sein Konterfei in der Zeitung erscheint, oder Regierungsrat Martin Jäger für dessen Plan, einen dritten Museumsdirektor einzustellen, eine Kollekte angekündigt wurde: Nebst Wurst und Liedgut bekommt auch die Politik an diesem Abend ordentlich ihr Fett weg. Und dies in mannigfaltiger Weise: Unter der Gesamtleitung von Haempa Maissen hat die Vergnügungskommission ein rund vierstündiges und äusserst buntes Programm mit Chor und diversen weiteren musikalischen Einlagen, Sketches und Videoeinspielern organisiert.

«Schnörrli, Öhrli, Schwänzli», viel Fett, viel Knorpel, Knochenstücke und ein Bodendarm – so geht Beinwurst.

Nebst Wurst, Wein, Liedgut und bissiger Satire dreht sich an diesem Abend aber doch – fast – alles um die grosse Abwesende: die Frau. Der Wurst entsprechend je nach Geschmack gern auch mal etwas derb und bisweilen auch es bitzeli zotig. Im Zweifelsfall: währschaft. Das gilt nebst den Gesangsstücken auch für Schnitzelbänke wie etwa jene, mit der sich Conférencier Reto Annen der Geschlechterfrage annähert. In diesem Fall sollte eine Länderanalogie zur Klärung beitragen. Frauen zwischen 13 und 17 Jahren, klärt Annen auf, seien wie die Türkei, «hinkad in allna Belang hinterher und haltend sich trotzdem für die Gröschta». Einige zotig karikierte Alterskategorien später schliesslich, ab 70 Jahren, sei die Frau wie Albanien und Afghanistan, «jeda weiss, wos isch, aber kaina will döt hera». Und was ist mit den Männern? Da sei die Lage weniger kompliziert: Zwischen 14 und 70 Jahren seien sie wie die USA, «regiart vuma klina Trottel». Auch hier fehlt es nicht am nötigen Quäntchen Selbstironie.

Apropos Vereinigte Staaten: Es wurde auch Donald Trump die gebührende Ehre erwiesen, standesgemäss durch den Finanz- und Organisationsverantwortlichen Hans Senti, jene liebevoll «Lumpasüder» kosebenamste städtische Ikone der chemischen Reinigung. Ihm sei an dieser Stelle noch herzlichst für das Autogramm auf der Pressemappe gedankt.

Die Männer zu Tische, die Frauen nur zu Diensten? Stimmt nicht ganz. Auch eine Frau in der Burka hat an diesem Samstag ihren Auftritt – entpuppt sich aber als SVP-alt-Ständerat Christoffel Brändli. Ähnlich ergeht es auch Magdalena Martullo, Silva Semadeni und Theresa May.

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