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Ernst Nigg ist gestorben

Der Landquarter Gemeindepräsident Ernst Nigg ist am Sonntagmorgen infolge einer weiteren Hirnverletzung gestorben.

Südostschweiz
02.02.15 - 06:00 Uhr

Landquart. – Ernst Nigg war seit 23 Jahren Landquarter Gemeindepräsident und wollte sich aus gesundheitlichen Gründen Ende Februar aus der Politik zurückziehen. In einem am Samstag erschienenen Interview zog Nigg eine politische wie persönliche Bilanz. Nachfolgend publizieren wir das Interview nochmals in voller Länge. (so)

«Wehmut gehört nach 20 Jahren auch dazu»

Mit Ernst Nigg sprach Gion-Mattias Durband

Herr Nigg, vor 23 Jahren haben Sie das Amt des Landquarter Gemeindepräsidenten übernommen. Was für ein Ernst Nigg ist damals angetreten?

Ernst Nigg: Ein Unerfahrener (lacht)! Aber ich bin, soweit ich das beurteilen kann, genau derselbe geblieben.

Sie haben in diesen Jahren eine Menge in Landquart bewegt. Was sticht in Ihrer persönlichen Bilanz hervor?

Die Erschliessung des Gebiets Tardis war für die Gemeinde sehr wichtig. Hier spielte auch die Gründung der Tardisland-Gesellschaft durch die Gemeinde Zizers, die Bürgergemeinde und die Politische Gemeinde Landquart eine wichtige Rolle. Diese Gesellschaft übernahm den Verkauf des Bodens. Das vereinfachte die Weiterentwicklung sehr. Zentral war auch der Umbau der Wirtschaft: Bevor ich mein Amt antrat, waren bei der RhB und der Papierfabrik viele Arbeitsplätze verloren gegangen, auch gingen Handelsbetriebe wie die Usego ein. Es ist uns gelungen, neue Unternehmen und Forschungsinstitutionen im Bereich moderner Technologien anzusiedeln. Alleine in der Forschung arbeiten heute in Landquart – CSEM nicht mitgerechnet – gut 50 Personen. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage stand Landquart kurz vor dem Bankrott, der nur mit rigorosen Sparmassnahmen abgewendet werden konnte. Heute geht es uns finanziell gut. Wesentlich für den wirtschaftlichen Aufschwung war, unseren Betrieben die Chance zu geben, nicht erfolgreich zu sein.

Wie meinen Sie das?

Gerade für junge Forschungsbetriebe ist es wichtig, nicht auf den raschen Erfolg angewiesen zu sein. Zu deren Unterstützung haben wir einen Start-up-Fonds eingerichtet. Man muss als Standortgemeinde bereit sein, ein Risiko einzugehen. Das ist ein Teil des Erfolgsrezepts von Silicon Valley und es beginnt, sich auch bei uns auszuzahlen.

Landquart als Bündner Silicon Valley – ist es das, was Ihnen als Gemeindepräsident vorschwebte?

Vielleicht, ja. Der Umbau der Wirtschaft hin zu modernen Technologien ist zu guten Teilen gelungen. Viele moderne Betriebe konnten wir bereits gewinnen, und es werden noch weitere folgen. Den Weg, den wir eingeschlagen haben, scheint richtig zu sein. Jedoch sind die hiesigen Rahmenbedingungen noch nicht so gut, dass sich junge Betriebe einfach so hier niederlassen und loslegen können.

Woran liegt das?

Es fehlt an Fachpersonal, an jungen Technikern, Mathematikern, Physikern. Aus diesem Grund haben wir in Landquart ein Kinderlabor gegründet. Wir wollen junge Leute früh an naturwissenschaftliche Berufe heranführen.

Müsste hier auch der Kanton mehr tun? Wenn ja, was?

Die HTW muss gestärkt und noch mehr unterstützt werden, damit ein richtiger Campus entstehen kann, wie etwa beim CSEM in Landquart. Wichtig wäre es dabei, sich auf Forschungsgebiete zu konzentrieren, die nicht bereits in anderen Kantonen im Zentrum stehen, wie etwa die Fotosensorik, die neu an der HTW aufgebaut wird.

Welche Rolle spielen dabei Plattformen für die Vernetzung und den Wissenstransfer?

Der Austausch unter den Betrieben ist elementar. Diese Erfahrung haben wir auch hier auf Gemeindeebene gemacht, etwa mit dem Neujahresapéro, bei dem die Vernetzung der Akteure im Zentrum steht. Punkto Netzwerkbildung könnte im Kanton noch mehr gemacht werden.

Nun bietet das CSEM eine Möglichkeit für regionale KMU, sich zu vernetzen. Aber der Wille zur Kooperation scheint den Bündnern nicht in die Wiege gelegt zu sein.

Das sehe ich auch so. Das ist vor allem ein Problem, das wir Walser haben – ich bin selbst auch einer (lacht). Weite Teile des Kantons wurden bekanntlich in einer späten Völkerwanderung von einem Volksstamm der Walser besiedelt. Ihre Art der Ansiedlung ist vorab durch einen ausserordentlich grossen Freiheitsdrang und Individualismus gekennzeichnet. Diese Mentalität hat aber auch Vorteile: Man mischt sich nicht in andere Angelegenheiten ein und lässt sich auch nicht gerne einmischen.

Auch der Walser Ernst Nigg geht gern eigene Wege. Sie sind politisch schwer zu schubladisieren. Zufall?

Zum Glück! Ich bin zwar Mitglied der SVP, fühle mich aber eher der Sache als der Partei verpflichtet. Oft habe ich durchaus Sympathien für Ideen der SP. Aber gute Ideen von kleinen Parteien lassen sich schwer durchsetzen. Als Mitglied der SVP war ich ja auch plötzlich in einer Kleinpartei. Das hat mein Verständnis für die SP-Exponenten noch verstärkt. Im Gemeindevorstand haben wir seit jeher SP-Vertreter. Wir konnten gemeinsam immer gute Sachpolitik betreiben, obwohl wir manchmal unterschiedlicher Meinung waren.

Das dürfte in einer Gemeinde auch einfacher sein als im Grossen Rat.

Das ist so. Es war sicher auch von Vorteil, dass wir in Landquart kein Parlament haben: Da kam kaum Parteipolitik auf. Im Grossen Rat dagegen wird deswegen vieles vom Parlament blockiert. Da braucht es eine hohe Frustrationstoleranz.

Hat sich das Klima diesbezüglich verändert? Ist es schwieriger geworden, Sachpolitik zu betreiben?

Ja. Vor allem auf Kantons- und verstärkt noch auf Bundesebene ist das Niveau der politischen Debatte gesunken: Sachpolitik weicht immer mehr der Parteipolitik. Ob ein Regierungsrat in einem Geschäft unterstützt oder bekämpft wird, verkommt mehr und mehr zur Parteifrage.

In diesem Licht betrachtet: Würden Sie den Weg in die Politik heute nochmals beschreiten?

Eine schwierige Frage. Ich glaube schon. Aber sicher nicht mehr so lange (lacht).

Dass Sie Ihr Amt per Ende Februar niederlegen, hat auch einen andern Grund. Genau vor zwei Jahren, am Tag des Neujahresapéros, haben Sie eine Hirnverletzung erlitten. Wie geht es Ihnen heute?

Es geht mir eigentlich recht gut, ich bin zufrieden. Es ist noch nicht alles in Ordnung. So ist die rechte Hand noch nicht voll funktionstüchtig. Und wenn ich müde bin, habe ich Mühe mit dem Sprechen. Aber ich habe grosse Fortschritte gemacht. Um dahin zu kommen, wo ich heute stehe, war es für mich sehr wichtig, dass ich den starken Willen hatte, ins Amt zurückzukehren. Dabei hatte ich das Glück, dass meine langjährige Partnerin, aber auch meine engsten Freunde und Mitarbeitenden, mich so grossartig unterstützt haben.

Wie geht man mit so einem Ereignis um?

Man ist sich erst gar nicht bewusst, wie es um einen steht. Das kommt erst nach und nach. Vor allem unterschätzt man die zeitliche Dimension der Genesung.

Ist es auch eine Frage des Charaktertyps, dass man die Hoffnung nicht aufgibt – oder darf man sich das in dieser Situation schlicht nicht erlauben?

Zum Teil ist es wohl auch eine Frage des Typs. Bei manchen Mitpatienten in der Reha-Klinik hatte ich den Eindruck, dass sie nicht weiterkommen würden, weil sie nicht den festen Willen aufbrachten. Nebst dem Willen hatte ich auch das Glück, dass ich nach dem Ereignis nie in ein Tief gefallen bin – eben auch dank der grossen Unterstützung. So kam beispielsweise der Gemeindeschreiber jede Woche ein- oder zweimal in die Reha-Klinik und hielt mich – wenn auch behutsam – über die Gemeindegeschäfte auf dem Laufenden. Wie es meinem Willen entsprach.

Sie werden nach dem Interview am Neujahresapéro eine kurze Ansprache halten. Kostet Sie das grosse Überwindung?

Mit der kleinen sprachlichen Behinderung, die ich noch habe, braucht es Mut, auch öffentlich zu reden. Und es braucht auch Mut, hier und da einen Fehler zu machen.

Was war für Sie die grösste Herausforderung?

Alles zusammen. Am Anfang sicher das Laufen. Heute ist es die Hand. Aber es geht schon recht gut, und es wird besser. Und wenn die kleine Last des ‘Gemeindemunis’ wegfällt, wird die Genesung hoffentlich noch ein bisschen schneller voranschreiten. 

Hat diese Erfahrung trotz der Einschränkungen auch neue Perspektiven, neue Türen eröffnet?

Das hab ich mich auch immer gefragt. Auf eine gewisse Art gibt es diese neuen Türen auch. Aber zurzeit bin ich noch zu sehr Gemeindepräsident, um dieses Thema zu bearbeiten. Aber ich werde mich ihm nach dem Rücktritt eingehend widmen.

Wäre eine weitere politische Karriere im Kanton oder gar in Bern ohne den Schlaganfall für Sie ein Thema gewesen?

Nein, nach der laufenden Amtsperiode hätte ich ohnehin aufgehört. Ich bin zufrieden, es ist gut so. Das ist abgeschlossen (lacht)!

Nun geben Sie ihr Amt Ende Februar ab. Eine Entlastung, wie Sie sagen. Schwingt da auch Wehmut mit?

Wehmut gibt es auch, das gehört nach über 20 Jahren dazu. Aber es ist unter den gegebenen Umständen vor allem auch eine Befreiung.

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