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Der finnische Weltenbummler Perttu Lindgren wird in Davos endlich sesshaft

Vor ein paar Monaten lebte und spielte Perttu Lindgren an der chinesischen Grenze im Südosten Russlands. «Eine schlimme Saison», wie der Finne rückblickend erzählt. Nun hofft er in Davos, Konstanz in sein Sportlerleben zu bringen.

Südostschweiz
22.11.13 - 01:00 Uhr

Kristian Kapp

Schnee und Kälte haben Davos in Beschlag genommen, der Winter hat das Landwassertal erreicht. Doch Perttu Lindgren hat für die knappen Minustemperaturen nur ein Lächeln übrig. Schliesslich spielte er den Grossteil der letzten Saison für das russische KHL-Team Amur. Und wenn Spieler jener Liga dokumentieren können, dass KHL nicht gleich KHL ist, dann jene des in Chabarowsk beheimateten Klubs. Mitten im Nirgendwo an der chinesischen Grenze im Südosten Russlands und – zumindest was die Luftlinie angeht – unweit von Nordkorea und Japan waren minus 20 bis 30 Grad für Lindgren und seine Familie mit Ehefrau und drei kleinen Kindern Alltag.

«Es war sehr kalt, wir konnten fast nie nach draussen, um zum Beispiel in einem Park mit den Kindern spielen zu gehen», erzählt Lindgren. Ein spontanes Leben war grundsätzlich nicht möglich: «Wenn wir das Haus verlassen wollten, durften wir das nur mit unserem Chauffeur tun. Und der wollte wegen des verrückten Verkehrs in der Stadt zwei Stunden im Voraus benachrichtigt sein …»

Eine Frage der Sprache

Sportlich blieb der Erfolg ebenfalls aus. Amur war das zweitschlechteste der 26 KHL-Teams, die Play-offs wurden um stolze 33 Punkte verpasst. Teambuilding wurde in Chabarowsk klein geschrieben. Lindgren: «Es gab zwei Gruppen: Die eine mit den Imports mit vier Finnen und einem Tschechen sowie die andere mit den Russen.» Vieles scheiterte an der simplen Kommunikation – man verstand sich nicht. «Es kam vor, dass wir Termine verpassten oder zu spät erschienen, weil diese nur auf Russisch mitgeteilt worden waren», erzählt Lindgren und gibt Einblick in ein halbes Jahr seines Lebens, das er dennoch nicht missen möchte. «Natürlich hatte ich dort ein anderes Leben erwartet. Doch erst nach dieser Erfahrung schätze ich, wie gut es uns hier geht.» Im Sommer wechselte Lindgren nach Davos. Und auch hier hat er mit Ville Koistinen und Mika Noronen zwei Teamkollegen, die nicht nur aus Finnland, sondern wie Lindgren aus Tampere stammen. «Wir kennen uns schon lange», sagt Lindgren, schiebt aber sofort nach, dass das für sein Wohlbefinden in Davos egal sei: «Hier ist das Sozialisieren im Team kein Problem, da alle gut Englisch sprechen.» Auch seinen Liebsten gehe es in der Schweiz gut, sagt Lindgren, betont aber, dass sie sich auch in Chabarowsk nie beklagt hätten: «Zum Glück konnten sie die Zeit mit den anderen finnischen Familien verbringen, wenn wir mit Amur wieder mal auf zehntägigen Roadtrips waren.»

«Das Selbstvertrauen ist zurück»

An das Leben in der Schweiz hat sich Lindgren schnell gewöhnen können. Sportlich benötigte das schon eine Anlaufzeit. Das habe seinen Grund: «Stil- und Tempounterschied sind gross. Du musst hier sehr schnell zwischen den defensiven und offensiven Zonen hin- und herwechseln können und viel mehr Schlittschuh laufen. In Finnland und in der KHL war ich gewohnt, als Center der letzte Spieler zu sein, der im Spielaufbau die Defensivzone verlässt.» Mit Topskorer Marcus Paulsson und Peter Guggisberg bildete Lindgren eine spektakuläre offensive Linie, in der der Schwede Tor um Tor schoss.

«Paulsson ist der Skorer, ‘Guggi’ und ich sind die Spielmacher», erklärt Lindgren die Rollen stark vereinfacht. Die Kritik, die Passeur-Rolle oft zu übertreiben, kann er nicht wiederlegen: «Es ist tief in uns drin. Natürlich sollten auch wir mehr schiessen …» Lindgren bittet auch hier um Geduld: «Mit jedem Spiel wurde es bislang besser für mich. Das Selbstvertrauen ist zurück. Es wird darum weiterhin immer besser laufen.»

Es ist noch nicht offiziell, doch Lindgren plant längerfristig in Davos. «Ich habe mich mit dem Klub auf drei weitere Jahre geeinigt», sagt Lindgren. Er erhofft sich nicht nur sportliche Erfolge. Nach Stationen in Finnland, Texas und Chabarowsk wird er endlich sesshaft, wenn auch nur temporär: «Ich freue mich, gerade wegen den Kindern, endlich zu wissen, dass ich erstmals länger am selben Ort spielen werde.»

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