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Beim Gleitschnee bewegt sich was

Schon letztes Jahr sorgten die Rutsche oben an den «Sandacherä» für neugierige Blicke. Dieses Jahr sind die Verursacher bereit, das Geheimnis zu lüften: Es werden Gleitschneerutsche untersucht.

Barbara
Gassler
30.11.22 - 06:57 Uhr
Wirtschaft
Eine Rutschbahn für Schnee.
Eine Rutschbahn für Schnee.
bg

Gleitschneerutsche oder auch Bodenlawinen sind eigentlich ein Phänomen, das vor allem aus dem Spätwinter, respektive Frühling, bekannt ist. Dann öffnen sich an den schneebedeckten Hängen bis auf die Grasnarbe gehende Risse, die aussehen wie Mäuler von Fischen. Diese Fischmäuler, wie sie in der Fachsprache genannt werden, sind Warnsignale, dass die gesamte Schneeschicht instabil wird und abzugleiten droht. «Genau verstehen wir den dabei vorgehenden Mechanismus nicht», sagt James Glover, wissenschaftlicher Projektleiter am Institut für Bauen im alpinen Raum der Fachhochschule Graubünden. «Es wird jedoch vermutet, dass dabei Wasser zwischen dem Boden und dem Schnee eine grosse Rolle spielt.» Aus welchem Grund auch immer – Gleitschneerutsche werden zunehmend auch im Hochwinter und in den höheren Lagen zum Problem. «Sie entstehen schon bei einer geringeren Hangneigung als Lawinen und sind meistens kleinflächig.» Ausserdem sind solche Hänge oft stark durchnässt, und Sprengungen zeigen kaum Wirkung. So werden Gleitschneerutsche oberhalb von Verkehrswegen oder Pisten zu einer Gefahr. «Da kommt auf wenig Fläche schnell eine Lastwagenladung Schnee zusammen», erklärt Glover. Erschwerend sei ausserdem, dass sie kaum vorhergesagt werden könnten. Doch: «Niemand würde es verstehen, wenn unterhalb solcher Fischmäuler während Tagen oder Wochen alles gesperrt bliebe.» Also sucht man nach Mitteln und Wegen, um in der Praxis die ­Gefahr zu entschärfen.

Noch liegt Schnee unter der Blache.
Noch liegt Schnee unter der Blache.
bg

Keine Ansammlungen erlauben

Hier kommt die Rutsche ins Spiel. Aufgrund der Versuche im vergangenen Jahr wurde in Zusammenarbeit mit den Industriepartnern Wyssen Avalanche Control und Schöllkopf Geosynthetics eine Blache entwickelt, die dafür sorgen soll, dass es gar nicht zu gefährlichen Schneeansammlungen kommen kann. Eine solche ist nun im Hang neben der Sertigerstrasse angebracht und soll den Beweis für die Wirksamkeit der Idee erbringen. Weil sie eben erst ausgelegt wurde und auf Schnee liegt, wirkt sie beim Besuch der Berichterstatterin weiss. Tatsächlich ist sie jedoch transparent und soll damit das Absterben der Vegetation darunter verhindern. Teil der nun auf zwei Jahre angelegten Forschungskampagne ist denn auch eine Untersuchung der Bodenökologie. «Aus den ersten Pilotversuchen im Flüelatal wissen wir, dass das Gras darunter früher zu spriessen beginnt», erinnert sich Glover. «Das Wild putzte das junge Gras allerdings sofort wieder weg.» Vor allem interessiert den Wissenschaftler aber, wie sich die Blache auf den Schnee auswirkt. Ein Test mit einer Handvoll Schnee zeigt sofort, da bleibt nichts hängen. Soweit funktioniert die Idee also. Ausserdem zeigt die Erfahrung vom letzten Jahr, dass eine drei Meter breite Blache auf jeder Seite auf gleicher Breite eine stabilisierende Wirkung ausübt. «Das bedeutet, dass wir keine ganzen Hänge zupflastern müssen. Einige Streifen genügen.» Das wäre auch ganz im Sinne der Effizienz. «Bisher werden solche Hänge mit Dreibeinstützen aus Holz gesichert – wie etwa am Eingang nach Davos Wiesen – oder mit massiveren Verbauungen wie am Eingang zum Flüelatal gegenüber dem Färich», erklärt Glover. Doch diese sind aufwendig anzubringen und behindern die Bewirtschaftung der Grasflächen. «Unsere Blache ist in einer halben Stunde ausgebracht und am Boden fixiert.» Dennoch sind noch viele Fragen offen, die nun mithilfe der Versuchsanordnung beantwortet werden sollen. «Gleitschnee ist in der Lawinenprävention ein heiss diskutiertes Thema, da bewegt sich gerade viel. Darum sind wir glücklich, hier einen idealen Versuchshang gefunden zu haben.»

Dreibeinstützen in Wiesen.
Dreibeinstützen in Wiesen.
zVg

Ein anderes Versuchsfeld befindet sich auf Parsenn entlang des Trasses der 1. Sektion. «Gleitschnee ist unberechenbar», bestätigt der Sicherheitschef der Bergbahnen Davos Klosters, Vali Meier. «Irgendwann geht er ab, unabhängig von Tageszeit oder Temperatur.» An ihrem Sorgenhang gleitet der Schnee unterhalb des Bahntrasses ab ins Dorftälli und könnte sich von dort aus auf einen Teil der Parsenn-Talabfahrt entladen. Auf einer Fläche von etwa 50 auf 50 Metern werden dort nun Blachen ausgelegt. «Wir werden sehen, wie das funktioniert.», sagt Meier zu den Versuchen. 

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