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Wie Graubünden entstand

Die Geschichte der Drei Bünde wurde schon oft erzählt. Aber stimmt sie wirklich? Oder was das etwa ganz anders?

Conradin
Liesch
25.06.22 - 12:00 Uhr
Stars & Sternli
Die Geschichte der Drei Bünde - völlig neu erzählt.
Die Geschichte der Drei Bünde - völlig neu erzählt.
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Graubünden – Land der 150 Täler, der Seen, Berge, Alpenbarttreffen, unzähligen Dialekte und Idiome; kein Wunder, verstehen sich die Leute nicht. Wer will denn schon einen Bündner Oberländer wirklich begreifen? Wie kann man stolz darauf sein, aus Chur zu kommen? Tragen alle Prättigauer Helly Hansen?

Solche Fragen, hervorgerufen durch prägnante Unterschiede, führen zu einer uneinheitlichen Denkweise, und dann überflutet alles noch der unbarmherzige Tourismus. Statt multikulti präsentiert sich die Ferienecke der Schweiz manchmal wirklich so, als stünde sie im Eck, die Eselsmütze auf und den Blick starr gegen die Wand gerichtet.

Beinahe oder gänzlich unbekannt ist die Tatsache, dass ohne den tapferen Zusammenschluss nur gerade dreier Männer Graubünden nicht in der heutigen Form existierte oder sogar einem anderen Land, manche vermuten sogar, einem anderen Kontinent angehörte.

Okay, letztere Behauptung stammt aus der Feder von Ferdinand «Schranzl» Wegmacher, einem schriftstellerisch tätigen Gynäkologen, dem keine Bemerkung zu blöde ist, um sie nicht als Anekdote in seine billig gedruckten, vor allem in Militärkasernen zirkulierenden Witzbüechli aufzunehmen.

Die grossen Verdienste des Bündner Triumvirats sind in Historikerkreisen jedoch unumstritten. Die Lehrmittel berichten dennoch nur ungern darüber: In den muffigen Gängen und Kellern des Kantonsarchives gingen die alten Verträge und Berichte in den Kantonsarchivwirren von 1804 verloren, lediglich die Verwünschungen und Flüche hat man konservieren können, sie sind sogar in der Verfassung berücksichtigt, wenn auch stark verfremdet.

Wie kam es denn aber zu diesem selt­samen Zusammenschluss? Hans Alp, ein absolut unfähiger Hühnerzüchter, soff, stank und verbrachte die Sonntage dösend auf dem Sofa, sonor seltsame Sonette und Gedichte niederkritzelnd. Er gründete in einer aufgeweckten Phase den Zehngedichtebund, eine lose Vereinigung von Bergbauern, welche in ihrer Freizeit Gedichte schrieben1.

Parallel dazu agierte Joseph Saphran, ein kollektiver Gemüsebauer der alten Schule, dazu leidenschaftlicher Verfechter der schmalzlosen Küche, der seine wenigen kulinarischen Jünger in einer Vereinigung, die er den Gelben Bund nannte, um sich scharte. Aufgrund der Vielfarbigkeit ihres Schaffens änderten die Mitglieder den Namen der Gruppe in Bunten Hund. Später, als das Fleisch knapp wurde2, hiessen sie Hundebund. Doch der Verein musste in zwei Sektionen unterteilt werden: Die einen fütterten Hunde, die anderen futterten sie. Kein Wunder, kriegte man sich in die Haare. Der Hundebund fusionierte mit dem Zehngedichtebund; – fortan wurden einander nur noch Gedichte über Hunde geschrieben und vorgelesen, -geknurrt oder -gejault.

Friedl Bergfriedl hingegen, ein brachialer, bärtiger, bärbeissiger Bergbauer, hatte sich mit der Obrigkeit angelegt, die auf seinem Grund und Boden ein Schloss bauen wollte. «Wozu ein Schloss?», rief er immer wieder, «hier gibt es doch keine Diebe!» Nach zähen Verhandlungen und wüsten Beschimpfungen lautete das letzte Angebot der Grafschaftshöchsten, dann eben eine Kathedrale hinzuklotzen. «Wir wollen keine Kathedrale!», skandierte der empörte Büttel, «wenn schon, dann wollen wir einen See!»

Die Opposition, von eben unserem Friedl angeführt, formierte sich im Saus-und-Braus-Bund, der die Vorzüge des reichen, unbeschwerten Landadellebens ebenfalls für sich beanspruchte. «Prassen für alle!» war das Schlagwort dieser Tage. Spezielle Wirtshäuser, sogenannte Prasserien, wurden von den Prasservativen – so nannten sich die Verschwendungswütigen – gefordert, wenn sie sich in Sepplis Tuschelbar3 trafen.

Die Prasserien gingen bald pleite, denn woher sollten sie auch Geld haben, all die armen, zerlumpten, unglücklichen Menschen, die grossspurig Hummer bestellten und sich dann erstaunt die harten Krusten um die Köpfe schallerten, weil sie keinen blassen Schimmer davon hatten, wie man Hummer isst. Alle wurden sie armengenössig und der Saus-und-Braus-Bund von Amtes wegen in Armenhaus-Bund umgetauft. Friedl Bergfriedl aber verbrachte den Rest seines Lebens mit Schneeschaufeln im Winter und Mistschaufeln im Sommer.

Eigentlich seien sie arme Hunde, befanden die Mitglieder des Armenhaus-Bundes, und so beschlossen sie, sich dem Hundebund und dem Zehngedichtebund anzuschliessen. Fortan nannte sich der Verein Die drei Bünde mit den zehn Gedichten und den Hunden und den armen Hünden. Natürlich war das viel zu kompliziert, den Leuten grauste es bald ob den Versammlungen, da diese immer so lange dauerten, weil alle Redner mit dem Namen des Bundes zu kämpfen hatten. Man änderte den Namen offiziell in Die Bünde, vor deren Namen es mir graut, der Volksmund machte daraus Bündengraut.

Ein Kräuterpfarrer, der eine Salbenmischung ähnlichen Namens feilbot, erhob jedoch Einspruch. So tauschte man die Silben aus, und fortan hiess es Graubünden. Die Salbenmischung aber ist dem Vergessen anheim gefallen4.

Graubünden hätte eine schöne Sache werden können, aber das Triumvirat funktionierte nicht. Dessen drei Vorsteher wurden ihren Namen allerdings voll gerecht: Hans Alp zügelte auf eine, Friedl Bergfriedl hatte den Frieden auf seinem Berg, Joseph Saphran wanderte ins Pfefferland aus.

Da sahen die Kredithaie, die Touristikfachleute, das Baugewerbe, die Strommafia und die Politiker, die Bergbahn-Verwaltungsräte, die Immobilien-Abzocker und die Juristen ihre Chance und rissen die Führung des Bundes an sich. Nur gerade noch der Name erinnert an die Anfangszeiten, als noch für wahre Werte, nicht ums Geld gekämpft wurde.

Diese Gedanken an die gewesene, unschuldige Schönheit unseres Kantons ­rufen in mir ein süsses, schmerzliches Gefühl hervor, und nur mein schwacher Wille hindert mich daran, etwas gegen den Verrat der Ideen des Triumvirats zu unternehmen.

 

1Zusammengefasst in den Bänden «Rhapsodische Wälder» und «Ennet dem Bergli» sowie «Alles, was in den Rhapsodischen Wäldern ennet dem Bergli keinen Platz ­gehabt hat oder zu schlecht war, um es daselbst aufzunehmen».

2 Dies wegen der kriegerischen Wirren, die grosse Teile des Bischofspalastes im fernen Churwalden in schwere Mitleidenschaft zogen, darunter den gigantischen Weinkeller, die exquisiten Hanfzigarren aus dem Eigenbau der bischöflichen Ordonnanz, dazu eine bestens ausgerüstete und prall gefüllte Küche; und wenn es dem Bischof nicht gut ging, hatte es dem Volk auch nicht gut zu gehen: man konfiszierte aus diesem Grund die ohnehin nicht opulenten Fleischvorräte des Volkes.

3Sepplis Tuschelbar notabene war eine der besten Anmachkneipen im gesamten Alpengebiet. Der Erfolgsquotient lag dermassen hoch, dass sich niemand länger als zehn Minuten in der Bar aufhalten musste, weshalb sie auch bald pleite machte. «Mit denen die tuscheln, ist gut kuscheln», Sepplis Motto, wurde auch zum Credo des Saus-und-Braus-Bundes.

4Sie war aber auch zu dämlich: Wegmachen sollte sie Pickel, stattdessen erzeugte sie welche. Die Teenies flippten aus, der Kräuterpfarrer zog sich aus dem Geschäft zurück; noch lange wurden die Pocken­narbigen mit den Worten «Des Pfarrers Opfer» benamst.

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