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Skifahren und Staunen

Skifahren ist nicht bloss winterliches Vergnügen, sondern eine kulturelle Errungenschaft. Die reichhaltigen Zeugnisse der letzten hundert Jahren konnten die Teilnehmer der «Forum Bau und Kultur»-Führung zum «Gipfel der Moderne» kürzlich auf der Parsenn bestaunen.

Davoser
Zeitung
20.02.24 - 17:00 Uhr
Schneesport

Ausgangspunkt für die Entdeckungsreise durch das Altbekannte war der Skisturzbrunnen, auf dem der Skifahrer im Relief über die sechs Seiten purzelt. Er mahnt die Skifahrer zur Demut, nicht ­jeder, der hochfährt, kommt auch heil wieder runter. Die aussergewöhnliche Zusammenarbeit von Bildhauer Wilhelm Schwerzmann und Architekt Rudolf ­Gaberel, die zu dieser wundervollen Architektur-Skulptur führte, nahm schon 1922 mit dem Bubenbrunnen am Postplatz ihren Anfang. Mit dem Skisturz-Brunnen im Dorf setzten sie dem Skifahren ein Denkmal, lange bevor der erste Lift gebaut war. Die Parsenn wurde damals als «Olympia des Skifahrens» gepriesen: 800 Meter Aufstieg werden hier mit bis zu 1600 Metern Abfahrt belohnt.

Ab 1932 war dieses Vergnügen sogar ohne das Vergiessen von Schweisstropfen zu haben. Die Davoser bauten mit der Parsennbahn eine Anlage ins Nichts. Oben steht kein grosses Grandhotel, wie es bei Standseilbahnen damals noch üblich war. Man fährt bloss rauf zum runterfahren. Das Entgelt für die zwei Stunden ersparten Aufstieg: ein Fünflieber. Heute wissen wir: Es hat sich ausgezahlt!

Architekt Gian Gross überspannte 1971 die ursprüngliche Parsenn-Talstation von 1931 mit einem kraftvollen Betonbau mit hölzernem Interieur. 1990 tünchten die Werbefachleute von damals das charakterstarke Haus in die knallbunten Farben der neusten Marketing-Kampagne. Heute versucht man, dieses gestalterische ­Desaster möglichst hinter riesigen Werbebannern zu verbergen: elektrische ­Nobelkarrossen und Dubai-Ferien. «Alles fährt Ski» war gestern, heute fährt Ski, wer es sich leisten kann.

Grenzüberschreitendes Bahnerlebnis

An der Mittelstation am Höhenweg befindet sich die eindrücklichste Treppe der Stadt, schwärmte Jürg Grassl. Mit viel Raffinesse überbrückte Architekt Ernst Wälchli da die Neigungs- und Höhenunterschiede der beiden Bahn-Sektionen mit einer regelrechten Treppen-Landschaft. In den Anfangsjahren tänzelten die Skifahrer noch bequem in ihren ­Lederschuhen über die Stufen, in den ­klobigen Plastikklötzen von heute ist insbesondere das Absteigen jedes Mal ein sehenswerter Affentanz.

Erstaunlicherweise landet man oben auf dem Weissfluhjoch angekommen nicht an einer aussichtsreichen Bergstation, sondern in einem unterirdischen Tunnellabyrinth, dass weiter Richtung Gipfelbahn führt. Die Anlage auf den Weiss­fluhgipfel wurde 1955 gebaut. Ursprünglich habe es sich um eine einspurige Bahn mit nur einer Kabine gehandelt; erst 1962 sei eine zweite Spur dazu gebaut worden, wusste der passionierte Seilbahnkenner Andri Dürst zu ­erklären. Da der Wartebereich bei der Talstation zwischen den beiden Bahnbuchten liegt, spannen sich die Tragseile nicht parallel, sondern zu einem «V» auf. Dank diesem aussergewöhnlichen Kniff erhält man hier beim Warten den tollsten Bergblick.

Die Gondel trug das «Forum Bau und Kultur» erstmals über die Grenzen der Gemeinde Davos: Die Wasserscheide liegt auf Klosterser Boden, der Weissfluhgipfel auf dem Gebiet der Gemeinde ­Arosa. Alte Fotos zeugten vom lebhaften Betrieb, den John Lemms Gipfelrestaurant 1932 hier hochbrachte. Riesengrosse Buchstaben am klitzekleinen Flachdach-Bau zeigten den Ankommenden unten auf dem Joch, dort oben gibts sogar eine Beiz. Getränke raufbuckeln, um sie ganz oben die Kehle runterzukippen: Eine ­verrückte Geschäftsidee des vormals «stärksten Mannes der Welt». Heute fristet der Bau ein unscheinbares Schattendasein als Geisterhaus am Pistenrand.

Die dritte Bahngeneration

Maultiere trugen auch die erste militärische Radaranlage auf die Weissfluh. Seit 1951 ist die Anlage auf dem niedrigeren Südgipfel und die Bunkeranlage darunter ein wichtiger Teil der militärischen Flugabwehr der Schweiz. Mit dem Bau der Gipfelbahn wurde 1956 auch ein neues Gipfelrestaurant eröffnet. Die Architekten Krähenbühl und Bühler gingen als Sieger aus dem Wettbewerb unter Davoser Architekten hervor. Die spektakuläre Aussichtsterrasse des neuen Restaurants ist heute leider hinter der knallroten «UFO-Verkleidung» verschwunden. «Der Wind vertreibt die Gäste nun nicht mehr vom Gipfel, dafür die unverschämt laute Musik» – dieser Gedanke geisterte in vielen Köpfen der Teilnehmenden herum. Seit die Gäste nicht mehr aus eigener Kraft zum Gipfel hochsteigen, hat der eigentliche Gipfel stark an Bedeutung verloren. Seit 2016 liegt er versteckt hinter dem neuen Niederschlagsradar-Turm und wird nur noch höchst selten bestiegen.

Endlich durften die Teilnehmenden die Skis anschnallem: Abfahrt! Gelegentliche Stopps boten immer wieder spannende Ein- und Ausblicke. Am Kreuzweg kehrte die Gruppe in der 1946 eröffneten Schutzhütte – einer wahrlich liebevollen Kleinarchitektur – ein, um mehr über die Davoser Pionierleistungen im Rettungs-wesen zu erfahren. Über die legendäre Derby-Abfahrt ging es weiter zu den alten Skihütten in der Conterser Schwendi. Am Schopf neben dem gähnend leer stehend Skihaus prangt ein «Ski Heil». Wie nötig solch fromme Wünsche waren, bezeugen die Schindeln am Giebeldreieck, welche sich bei genauem Hinschauen als hunderte abgebrochene Skispitzen entpuppen.

Mit der 1987 gebauten Schieferbahn gings für die Gruppe wieder hoch zum Joch. Die innovative kuppelbare Von-Roll-Gondelbahn bewältigt die Strecke in zwei Sektionen. Der Wunsch, diese «Nordbahn» als Zubringerbahn mit einer dritten Sektion weiter bis ins Tal runterzuführen, lässt sich noch heute an der «provisorischen» talseitigen Holzverschalung der Talstation ablesen. Er liess sich leider nie verwirklichen. Zum Glück muss man hier immer anstehen, so hat man genug Zeit, die faszinierende Mechanik der Laufräder, Kurbelwellen, Kettenförderer und das rhythmische Knattern der Gondel-Mitnehmer zu bestaunen, freute sich Andri Dürst. Er werde diese «Musik» vermissen, wenn die Bahn demnächst durch eine neue 10er-Gondelbahn ersetzt werde. Auf absurd hohen Fachwerkstützen gondelt die Schieferbahn übers Gelände. Das System der Wechsellast-Rollenbatterien, welche je nach Last das Förderseil tragen oder nach unten drücken, kannte man damals noch nicht.

Gipfel der Moderne

Auf der anderen Bergseite schlängelt sich die obere Sektion der Parsenn-Standseilbahn mit möglichst gleichmässiger Steigung durchs Dorftälli. Für die Stationsbauten wurde unter den einheimischen Architekten ein Wettbewerb ausgelobt. Die Gewinner Ernst Wälchli (Tal- und Mittelstation) und Hanns Engi (Bergstation) waren beide selbst ambitionierte Skitourenläufer – aber auch radikal moderne Architekten. Am Joch machen riesige Panoramafenster und ein flaches Dach deutlich: Mit der Bahnerschliessung bricht im Skihütten-Bau ein ganz neues Zeitalter an. Der Davoser Über-Architket Rudolf Gaberel ging im Wettbewerb leer aus, doch mit der kühnen Erker-Erweiterung des Bergrestaurants und dem Bau des Forschungsgebäudes des SLF nebenan kam er wenig später doch noch am Weissfluhjoch zum Einsatz. Gebaut werden musste hier oben mit dem, was schon da war. Steine wurden vor Ort gewonnen und verbaut.

Dass sogar bei den banalsten Bau-Aufgaben nach der besten Gestaltung gesucht, wurde, zeigte sich auf dem Weg ins Tal bei der SOS-Telefonsäule an der Waldgrenze, die ab 1946 für zusätzliche ­Sicherheit auf den Abfahrten sorgten. Zwar hat sie ihre Funktion längst ans Handy abgegeben, doch wie ein Bildstock oder Wegkreuz am Pistenrand erinnert sie die vorbeirasenden Skifahrer weiterhin an ihre «Schutzheiligen» vom Parsenn-Rettungsdienst.

Trotz wildem Ritt über die bucklige Piste talwärts kamen alle heil an und be­schlossen den Hammer-Tag an Ruedis Hammer-Bar.

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