×

Wie Tourismusorte schleichend Wohnraum für Einheimische verlieren

Eine Untersuchung der Fachhochschule Graubünden zeigt am Beispiel Flims, auf welche Art und Weise Tourismusgemeinden Erstwohnraum verlieren. Das Zweitwohnungsgesetz hängt entscheidend damit zusammen.

Patrick
Kuoni
19.01.23 - 04:30 Uhr
Politik
Kaum freier Wohnraum: Die Gemeinde Flims sucht händeringend nach Lösungen.
Kaum freier Wohnraum: Die Gemeinde Flims sucht händeringend nach Lösungen.
Bild Olivia Aebli-Item

Diverse Tourismusorte im Kanton Graubünden haben zu wenig freie Wohnungen für Einheimische und Fachkräfte. Für die Wohnungsknappheit gibt es verschiedene Gründe. So nennt der Bündner Volkswirtschaftsdirektor Marcus Caduff die Zweitwohnungsinitiative, die Umsetzung des Raumplanungsgesetzes, aber auch die Coronapandemie und die daraus entstehenden Homeoffice-Möglichkeiten als Ursachen.

Wie sich das Zweitwohnungsgesetz auf eine Gemeinde auswirkt, zeigt ein Forschungsprojekt der Fachhochschule Graubünden (FHGR). Die Hochschule untersuchte im Auftrag des Kantons von 2017 bis 2021, wie viele Wohnungen zu Ferienobjekten umgenutzt werden. Denn eine der Problematiken des Zweitwohnungsgesetzes ist, dass zwar grundsätzlich der Bau neuer Zweitwohnungen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent verboten ist. Aber: Die Umwandlung von altrechtlichen (Erst-)Wohnungen in Zweitwohnungen wird durch das Gesetz nicht beschränkt. Dies führt dazu, dass nach Angaben des FHGR-Berichtes schweizweit rund 32’000 Erstwohnungen mit hohem Gewinn als Zweitwohnungen verkauft werden können. Dass von dieser Möglichkeit rege Gebrauch gemacht wird, zeigt die Untersuchung der FHGR nun am Beispiel Flims auf. Jährlich erfolgen in der Gemeinde der Studie zufolge 22 solcher Umwandlungen.

Aufwendige Untersuchung der Fachhochschule Graubünden

Insgesamt wurden für den Bericht knapp 1000 Handänderungsanzeigen der Gemeinde Flims ausgewertet. «Was auf den ersten Blick nach einem vernachlässigbaren Problem aussieht, darf auf keinen Fall unterschätzt werden», analysieren die Autorinnen und Autoren des Berichts. Denn: Diese Umwandlungen «summieren sich längerfristig und entziehen dem Wohnungsmarkt Erstwohnraum. Werden keine neuen Erstwohnungen errichtet, kann sich so das Unterangebot an verfügbarem Wohnraum drastisch zuspitzen.»

Was das im konkreten Beispiel für Auswirkungen hat, machte der Flimser Gemeindepräsident Martin Hug gegenüber dieser Zeitung bereits klar: «Es fehlen alleine in Flims über hundert Personalwohnungen.» Ohne diese Wohnungen würden die Dienstleister keine Arbeitskräfte bekommen, was sich negativ auf die gesamte Gemeindestruktur auswirke. Auch für einheimische Familien und Einzelpersonen gebe es zu wenig Wohnraum. Oder in Zahlen: In Flims standen statistisch bei einem Gesamtwohnungsbestand von knapp 5'200 Wohnungen im vergangenen Jahr nur gerade sieben Wohnungen leer. Andernorts ist die Situation nicht entscheidend besser. Die Gemeinden nehmen deshalb das Heft häufig selbst in die Hand und suchen aktiv nach bebaubarem Wohnraum oder schaffen Gesetze, die der Wohnungsnot entgegenwirken sollen. 

Fachstelle zu Wohnungsknappheit ist für Caduff kein Thema

Daneben kamen aber auch Forderungen oder Vorschläge an die Adresse des Kantons auf. So aus Vaz/Obervaz, wo Gemeindepräsident Maurin Malär zur Thematik den Vorschlag in den Raum warf, der Kanton könne eine Fachstelle aufbauen, die die Gemeinden in Sachen Wohnungsknappheit berate. Volkswirtschaftsdirektor Caduff meint dazu: «Die Instrumente, um diesem Problem zu begegnen, sind vorhanden, eine weitere Fachstelle bringt kaum neue Erkenntnisse.» Er verweist auf verschiedene hilfreiche Leitfäden auf der Website des Bundes. Seitens des Kantons sei man auf Wunsch der Gemeinden jedoch bereit, «uns zum Thema fachlich einzubringen», so Caduff. 

Regierungsrat verspricht: Spielraum soll voll ausgenutzt werden

Und der Regierungsrat hält allgemein fest: «Unüberbautes Bauland gibt es in Graubünden nach wie vor genug. Die Mobilisierung ist nun wichtig. Das hat der Kanton den Gemeinden schon vor zehn Jahren mitgeteilt.» Verschiedene Gemeinden hatten zudem darum gebeten, bei der Ortsplanung, die dem Kanton eingereicht werden muss, möglichst wenig zu opponieren. Dazu sagt Caduff, man werde den vom Raumplanungsgesetz gebotenen Spielraum stets zugunsten der Gemeinden nutzen.

Patrick Kuoni ist Redaktor und Produzent bei Südostschweiz Print/Online. Er berichtet über Geschehnisse aus dem Kanton Graubünden. Der Schwerpunkt seiner Berichterstattung liegt auf den Themenbereichen Politik, Wirtschaft und Tourismus. Wenn er nicht an einer Geschichte schreibt, ist er als einer der Tagesverantwortlichen für die Zeitung «Südostschweiz» tätig. Patrick Kuoni ist in Igis (heutige Gemeinde Landquart) aufgewachsen und seit April 2018 fester Teil der Medienfamilie Südostschweiz.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

Gerne geht aber auch vergessen, dass oft Einheimische ihr Land oder Haus zu überrissenen Preisen verkaufen. Ohne Gedanken an die beschriebene Problematik und ohne jegliche soziale Verantwortung geblendet durch die astronomischen Summen die bezahlt werden. Gerade kürzlich in meiner Nachbarschaft passiert. Günstiger Wohnraum für 5 ! Saisonniers oder gar für eine einheimische Familie wurde durch den Verkauf zerstört. Der Käufer… ? Ein Deutscher der nun für sich den gesamten Wohnraum zu Ferienzwecken nutzt……

Jetzt für den «zMorga»-Newsletter anmelden

Mit unserem Morgenbriefing von Montag bis Freitag top informiert in den Tag starten.

Mehr zu Politik MEHR