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Proporzwahl – was heisst das für Davos?

Mit fast 80 Prozent Ja-Stimmen gab das Bündner Stimmvolk im vergangenen Jahr dem neuen Wahlsystem für den Grossen Rat seinen Segen. Was bislang Theorie war, wird am 15. Mai in die Praxis umgesetzt. Für Davos könnte dies einige tiefgreifende Verschiebungen bedeuten.

Andri
Dürst
06.04.22 - 09:19 Uhr
Politik
Die Februarsession des Grossen Rates findet vom 14.02. bis 16.02.22 wieder im Grossratsgebäude in Chur statt. Blick in den Grossratssaal. Fotografiert am 16.02.22.
Die Februarsession des Grossen Rates findet vom 14.02. bis 16.02.22 wieder im Grossratsgebäude in Chur statt. Blick in den Grossratssaal. Fotografiert am 16.02.22.
SO (Livia Mauerhofer)

Kantonsweit wollen 491 Personen in das 120-köpfige Parlament einziehen. Zu Zeiten des Majorzwahlrechts wäre das undenkbar gewesen, doch jetzt, da das Proporzwahlrecht eingeführt wird, macht diese Zahl durchaus Sinn. Denn neu präsentieren die Parteien in den verschiedenen Wahlkreisen sogenannte Listen. Im Wahlkreis Davos, der Anspruch auf sechs Sitze im Kantonsparlament hat, treten 28 Politikerinnen und Politiker an. Während die FDP, die Mitte, die SVP und die SP jeweils eine Liste mit sechs Namen ins Rennen schicken, treten bei der GLP vier Kandidierende an. Für das Stimmvolk bedeutet die Umstellung auf dieses Listensystem, dass entweder eine komplette Liste 1:1 in die Urne geworfen werden kann oder man Anpassungen vornimmt. Namen können gestrichen, doppelt aufgeschrieben (kumulieren) oder Personen von anderen Listen aufgeschrieben werden (panaschieren). Das Prozedere ist somit sehr ähnlich zu demjenigen der ­Nationalratswahlen.

Auslosung der Listennummern für die Grossratswahlen im Mai 2022 durch Daniel Spadin, Kanzleidirektor. Fotografiert am 8.3.22 im Regierungssaal im Regierungsgebäude in Chur. 
Auslosung der Listennummern für die Grossratswahlen im Mai 2022 durch Daniel Spadin, Kanzleidirektor. Fotografiert am 8.3.22 im Regierungssaal im Regierungsgebäude in Chur. 
SO (Olivia Aebli-Item)

Sitzverschiebungen fast vorprogrammiert

Bei den letzten Grossratswahlen 2018 wurden die sechs Davoser Sitze folgendermassen besetzt (Anordnung nach Anzahl Stimmen): Tarzisius Caviezel (FDP), Philipp Wilhelm (SP), Peter Engler (FDP), Simi Valär (FDP), Valérie Favre Accola (SVP) und Walter von Ballmoos (GLP). Nun wollen alle Genannten noch einmal antreten. Diese Ausgangslage ist insofern hochspannend, als dass mit dem neuen Wahlsystem Sitzverschiebungen fast vorprogrammiert sind. In einem Interview mit der «Südostschweiz» sagte Politikwissenschaftler Clau Dermont: «Was man sicher erwarten kann, ist, dass Parteien, die bisher nicht vom System profitiert haben, also eine SVP und eine SP, zulegen. Diese können nun fast überall oder gar überall [im Kanton] antreten und somit überall ihr Stimmenpotenzial ausschöpfen. Diese Stimmen können Einfluss haben auf die Sitzverteilung». Für Davos bedeutet dies, dass Wilhelm und Favre Accola ziemlich sicher erneut nach Chur entsandt werden. Realistisch ist auch die Chance, dass einer der beiden oder gar beide ein «Partei-Gspänli» mit in die Bündner Hauptstadt nehmen dürfen. Dieser Sitzgewinn würde wohl hauptsächlich auf Kosten der FDP gehen. Diese stellt bisher mit drei von sechs Sitzen die Hälfte aller Davoser Vertreter. Doch der Kampf um die Sitze wird nicht nur von bisher Einsitz nehmenden Parteien ausgetragen. Mit der Mitte will auch eine Partei mitmischen, die 2018 ihren Davoser BDP-Sitz an die GLP verlor.

Systemwechsel dank doppeltem Pukelsheim

Wie genau werden also die Davoser Sitze besetzt? Auf der Internetseite des Kantons wurde eigens für die nächsten Wahlen ein FAQ erstellt. Darin wird zum Wahlsystem Folgendes festgehalten: «Die Sitze werden nach der Methode ‹Doppelter Pukelsheim› (doppelproportionales Sitzzuteilungsverfahren) verteilt. Mit diesem Verfahren werden die 120 Sitze zunächst gesamtkantonal auf die Parteien (Listengruppen) verteilt – proportional zu ihren gesamtkantonal ermittelten Wähleranteilen (Oberzuteilung). In einem nächsten Schritt werden die Sitze der Parteien auf die einzelnen Listen in den Wahlkreisen verteilt (Unterzuteilung). Schliesslich erfolgt die Sitzverteilung innerhalb der Listen auf die Kandidierenden mit den meisten Stimmen nach Massgabe der erreichten Sitze».

Will die FDP die Hälfte, also drei der sechs Davoser Sitze behalten, müsste sie gut 50 Prozent der Stimmen in Davos erreichen. Würde sie beispielsweise keinen dritten Sitz erhalten, verfallen die Reststimmen der FDP aber nicht. Zusammen mit Reststimmen der FDP aus anderen Wahlkreisen kann sich so ein zusätzlicher FDP-Sitz in einem anderen Wahlkreis ergeben, solange der FDP aus der Oberzuteilung noch Sitze zustehen.

Doch es kann gut sein, dass die «Rangliste» mit den bestgewählten Davoser Grossräten ähnlich aussieht wie vor vier Jahren und entsprechend auch ihre Listen zumindest hier im Ort gut gewählt werden. Es mag darum erstaunen, dass dann FDP-Vertreter ein Mandat verlieren könnten. Dieses «Phänomen» wird als «gegenläufige Sitzverteilung» bezeichnet. Dazu heisst es im Kantons-FAQ: «Beim doppelten Pukelsheim ist es möglich, dass eine Liste in einem Wahlkreis weniger Sitze erhält als eine andere Liste, obwohl sie gleich viele oder sogar mehr Stimmen als diese im entsprechenden Wahlkreis erhalten hat. Die Proportionalität kann also auf Ebene der Wahlkreise nicht immer ganz genau abgebildet werden. Gesamtkantonal wird dieses Defizit allerdings wieder aufgehoben, und jede Liste erhält eine ihrem gesamtkantonalen Stimmanteil entsprechende Anzahl an Sitzen».

Die Hälfte der Davoser Grossratssitze ist derzeit in FDP-Hand.
Die Hälfte der Davoser Grossratssitze ist derzeit in FDP-Hand.
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Im Prättigau Wohnhafte in Davos

Eine weitere interessante Entwicklung ist ebenfalls zu beobachten: Für die Mitte Davos kandidiert der ehemalige Klosterser Gemeindevorstand Stefan Darnuzer. Auch die in Küblis wohnhafte Stephanie Tinner tritt nicht etwa für ihren Wohnort an, sondern für die Davoser SVP. Wie ist das möglich? Auf die Frage «Ist der Wohnsitz im Wahlkreis eine Bedingung, um [dort] für den Grossen Rat zu kandidieren?» findet sich im FAQ folgende Antwort: «Nein. Gefordert ist für die ­Kandidatur ‹nur› der politische Wohnsitz im Kanton. Für jede kandidierende ­Person ist darum ein von deren Wohnsitzgemeinde (politischer Wohnsitz) ­ausgestelltes Wahlfähigkeitszeugnis einzureichen, falls die Person nicht bereits Mitglied des Grossen Rats ist.»

Wahlzeitungen
In den nächsten drei Wochen wird die DZ jeweils ihre Dienstagsausgabe als «Wahlzeitung» positionieren. Wöchentlich werden so alle Grossrats-Kandidierenden vorgestellt.

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