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«Funktion der Bestandesregulation nicht mehr erfüllbar»

Es ist ein emotionaler Abstimmungskampf, der in Sachen Jagdinitiative derzeit geführt wird. An vorderster Front der Gegnerschaft steht Tarzisius Caviezel.

Andri
Dürst
03.06.21 - 12:00 Uhr
Politik
Tarzisius Caviezel setzt sich für ein Nein zur Jagdinitiative ein.
Tarzisius Caviezel setzt sich für ein Nein zur Jagdinitiative ein.
SO (Olivia Aebli-Item)

Nach seiner Zeit als Landammann ist er nun als Präsident des Bündner Kantonalen Patentjägerverbands (BKPJV) tätig.

Die kantonale Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd» erhitzt die Gemüter. Ziel der Initianten ist, die Jagd ethischer zu machen. Was die Gegnerschaft dazu sagt, erklärt der BKPJV-Präsident im Interview.

DZ: Im Initiativtext heisst es: «Trächtige, führende Hirschkühe sowie Rehgeissen und ihre Jungen sind generell zu schützen». Was ist dagegen einzuwenden?

T. Caviezel: Reh und Rothirsch haben sehr hohe Nachwuchsraten und können nur über den Abschuss von weiblichen Tieren reguliert werden. Mit dem Initiativbegehren müssten die nicht führenden Hirschkühe vor dem Monat September erlegt werden, die nicht führenden Rehgeissen vor Mitte Juli. Dabei ist nur ein kleiner Teil des weiblichen Wildes jagdbar. Zum Teil sind die Hirsche während dieser Zeit gar nicht im Kanton Graubünden. Ein Vorverlegen der Hirsch- und Rehjagd in den August oder noch früher ist aus wildbiologischer und tierschützerischer Sicht in einem Patentjagdsystem nicht vertretbar. Es führt zu einem zu hohen Jagddruck und zu hohen Störungen in einer Zeit, in der die Tiere viel Energie für die Milchproduktion und den Aufbau der für die Überwinterung notwendigen Fettreserven brauchen. Es handelt sich hier um einen sensiblen Eingriff, der für den Erhalt eines natürlichen und gut strukturierten Bestand notwendig ist. Dies geschieht mit allergrösster Sorgfalt.

Die Initiative fordert, dass Kinder bis 12 Jahre nicht mehr auf die Jagd mitgenommen werden dürfen. Bei Filmen mit Gewaltszenen kennen wir ähnliche Altersbeschränkungen. Wieso sollten diese nicht auch für die Jagd gelten?

Dies wäre eine unnötige staatliche Beschneidung der Rechte und Pflichten der Erziehungsberechtigten. Bei der Jagd geht es zu einem grossen Teil um die Weitergabe von Naturverständnis und Wissen über jagdbare und nicht jagdbare Wildarten sowie von Pflanzenarten. Dieses Wissen wird von den Jägerinnen und Jägern ihren Kindern, Göttikindern oder Enkeln weitergegeben. Das Töten von Tieren findet heute anonymisiert und unsichtbar im Schlachthaus statt. Bei guter Begleitung ist die Mitnahme von Kindern bei der Jagd sinnvoll, um der zunehmenden Entfremdung von der Natur und der Jagd entgegenzuwirken und um den Prozess vom lebendenden Tier zum Produkt Fleisch mitzuerleben. Bei der Jagd geht es in erster Linie um das Naturerlebnis und um die Beschaffung von einem nachhaltigen Nahrungsmittel. Es macht Sinn, Kinder an diesem Erlebnis teilhaben zu lassen, um so den Respekt und die Ehrfurcht gegenüber dem getöteten Tier und Fleisch als Nahrungsmittel zu vermitteln.

Weiter heisst es: «Fallen zum Töten und das Anfüttern von Tieren sind zu verbieten». Solche Methoden sind doch unethisch, oder etwa nicht?

Die Fallenjagd wurde mit der Teilrevision des kantonalen Jagdgesetzes als Jagdart abgeschafft. Das Anfüttern von Tieren zu jagdlichen Zwecken wird zur gezielten Bejagung von Fuchs, Dachs und Marder praktiziert. Dies ermöglicht eine effektive Bejagung dieser Arten. Die Regulierung dieser Arten ist insbesondere in der Nähe von Siedlungen wichtig, da sie dort wegen erleichterter Lebensbedingungen massiv höhere Dichten erreichen als in von Menschen nicht beeinflussten Gebieten. Dank der gezielten Bejagung dieser Arten können Konflikte wie Wildschäden (Automarder oder an Geflügel) sowie die Übertragung von Krankheiten (Tollwut und Staupe) und Parasiten (Fuchsbandwurm) vermindert werden. Die Bejagung von Fuchs und Marder ist gebietsspezifisch eine sinnvolle Massnahme zugunsten bedrohter Bodenbrütern.

Auch eine Alkohol-Promille-Grenze wird gefordert. Betrunkene Jäger, die daneben schiessen, sind doch nicht tolerierbar?

Das ist absolut richtig. Die Initianten stellen jedoch mit diesem Initiativpunkt die ganze Jägerschaft unter Generalverdacht und suggerieren ein Alkoholproblem, das gar nicht vorhanden ist.Hierzu möchte ich eine Aussage von «wildbeimwild» zitieren, welche dieses Begehren der Initiative folgendermassen erklärt: «Alkohol- und Beziehungsprobleme sowie Gewaltfantasien sind ein altbekanntes Problem innerhalb der Jägerschaft. Dies ist kein Geheimnis.» Sind 6000 Bündner Jägerinnen und Jäger charakterschwach? Hat Graubünden, als Land der Jäger und Fischer, verglichen mit der nicht jagenden und städtischen Bevölkerung in der Schweiz, ein grösseres Alkohol-, Beziehungs- oder gar Gewaltproblem? Sicher nicht! Stand heute ist: Wenn ein Jäger bei der Jagdausübung die öffentliche Sicherheit gefährdet, können ihm die Kantonspolizei und die Wildhut bei der Feststellung des Sachverhalts das Jagdpatent entziehen.

Die Gegner der Initiative sprechen die ganze Zeit von einer drohenden Regiejagd. Was hat es damit auf sich?

Wird die Initiative angenommen, kann die Jagd die Funktion der Regulation der Bestände, vor allem bei Reh und Hirsch, nicht mehr erfüllen. Dafür muss auch in den Monaten November und Dezember gejagt werden. Dies geschieht sehr sorgfältig und unter Aufsicht und an ausgewählten Tagen, um die Störungen möglichst gering zu halten. Können die Jäger diese Aufgabe nicht mehr erfüllen, muss sie von Angestellten des Kantons übernommen werden, dies nennt man Regiejagd. Die Kosten dafür müssten vom Steuerzahler übernommen werden. In einem weitläufigen Gebiet wie dem Kanton Graubünden können diese Kosten sehr hoch ausfallen.

Leserbriefe zum Thema in der Davoser Zeitung vom Dienstag, 1. Juni, auf Seite 14.

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