×

CVP-Crameri: «Demokratiepolitisch ist das sehr fragwürdig»

Ein weiteres Mal werden die Bündner Stimmberechtigten über das Wahlsystem des Kantonparlaments abstimmen. Verloren hat die CVP. Wir haben mit Fraktionspräsident Reto Crameri gesprochen.

Südostschweiz
16.02.21 - 17:05 Uhr
Politik
Reto Crameri
CVP-Fraktionspräsident Reto Crameri ist über das Abstimmungsergebnis sehr enttäuscht.
PHILIPP BAER

Zum neunten Mal befinden die Bündner Stimmberechtigten bei der Wahl des Grossen Rates über die Einführung des Proporzsystems. Diese Abstimmung findet im Juni statt.

Erstmals könnte der Grosse Rat im Mai 2022 nach der Verhältniswahl bestellt werden. Acht Mal wurde das System zwischen 1937 und 2013 an der Urne verworfen und die Mehrheitswahl (Majorz) bestätigt.

Nach einer zweitägigen Debatte entschied der Bündner Grosse Rat am Dienstag, die Proporzwahl nach dem Modell des doppelten Pukelsheims einzuführen. Die CVP Graubünden wehrte sich bis zuletzt vehement gegen die Proporzwahl und favorisierte ein Mischmodell, das mit Ausnahme der beiden bevölkerungsstärksten Wahlkreise Chur und Fünf Dörfer an der bisherigen Mehrheitswahl festhält. Die CVP verlor aber auf der ganzen Linie. In der Schlussabstimmung enthielt sich die CVP aus Protest der Stimme. Radio Südostschweiz hat mit Fraktionspräsident Reto Crameri gesprochen.

Reto Crameri, die Abstimmung ging nicht nach Ihrem Gusto aus. Das Parlament hat sich für das Wahlsystem C, den Doppelproporz, entschieden. Die CVP wehrte sich dagegen. Der Ärger dürfte gross sein.

Ja, der Ärger ist gross. Es ist vor allem schade für die Bündner Bevölkerung. Sie hätte es verdient, zwischen zwei Varianten entscheiden zu können, zwischen dem Doppelproporz und einem Mischsystem, das nahe am jetzigen Wahlsystem wäre. Immerhin hat die Bündner Bevölkerung bereits acht Mal Nein gesagt zu einem Proporz-Wahlsystem. Dass der Grosse Rat der Bevölkerung einfach nur ein Wahlsystem vorlegt, macht die Bündner Bevölkerung zum Verlierer. Zudem ist das Vorgehen demokratiepolitisch fragwürdig.

«Die Stimmbevölkerung aufklären müssen jene, die den Doppelproporz ein gutes Wahlsystem für Graubünden finden.»

Sie sagen, der Grosse Rat umgeht mit dem Wahlsystem C den Wählerwillen.

Der Wählerwille kam acht Mal zum Ausdruck. Letztmals 2013. Dort sagten nur die Kreise Chur und Fünf Dörfer Ja zum Proporz. Neu müssen alle Kreise im Proporz wählen, auch jene, die 2013 zum Proporz Nein gesagt hatten. Es wäre fair gewesen, wenn die Stimmberechtigten über eine Variante mit Majorz hätten abstimmen können, also Köpfe statt Parteien wählen könnten.

Das Proporzsystem ist für Graubünden demnach nicht gerecht?

Im Majorzsystem sind jene Kandidatinnen und Kandidaten mit den meisten Stimmen gewählt. Die meisten Grossräte sind Vertreter einer Region oder einer Talschaft und nicht Vertreter einer Partei. Neu müssen die Bündnerinnen und Bündner Parteimitglieder wählen.

Hinzu kommt, dass nur Personen ins Parlament einziehen können, die mindestens drei Prozent der gesamtkantonalen Stimmen erreichen. Jungparteien oder Splittergruppen werden dies nicht erreichen, wie beispielsweise Poschiavo Viva in meiner Heimatgemeinde. Auch Parteilose kann man nicht mehr wählen, wenn sie nicht auf einer Liste kandidieren. Demokratiepolitisch ist das sehr fragwürdig.

«Gewinnen gehört ebenso zur Politik wie verlieren.»

Im Juni stimmt die Bevölkerung nun aber lediglich über den Doppelproporz ab. Wird die CVP die Stimmbevölkerung aktiv aufklären?

Die Stimmbevölkerung aufklären müssen jene, die den Doppelproporz für ein gutes Wahlsystem für Graubünden halten. Sie müssen Überzeugungsarbeit leisten und sagen, warum es wichtig ist, dass, wenn jemand seine Stimme in Chur abgibt, dann vielleicht jemand von der entsprechenden Partei im Oberengadin oder in Klosters gewählt wird. Das Wahlsystem ist intransparent und eines, das zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen führen wird. Wie wir uns im Abstimmungskampf verhalten werden, müssen wir an einer Delegiertenversammlung entscheiden.

Am Ende aber ist der Entscheid des Grossen Rates Teil des Spiels, oder?

Das ist so. Gewinnen gehört ebenso zur Politik wie verlieren. Die CVP hat verloren. Aber auch die Bündner Bevölkerung hat verloren, weil sie nur ein Wahlsystem vorgelegt bekommt und entscheiden kann: «take it oder leave it» – nimm oder lass es. Es ist nun an den Bündnerinnen und Bündnern zu entscheiden, wie das Bündner Parlament gewählt werden soll. Ich bin aber überzeugt, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt erneut über das Wahlsystem debattieren werden. Und dann auch darüber, ob man den Proporz in den Regionen einführen soll.

Reto Crameri
Reto Crameri während der Februarsession des Grossen Rates in Davos. PHILIPP BAER

Bundesgericht entschied mit
Ganz freiwillig kommt es nicht zur neuerlichen Abstimmung über das Wahlmodell. Bei der Systemanpassung half das Bundesgericht nach.
Die Richter in Lausanne stellten im Juli 2019 fest, dass das Majorzverfahren in Graubünden zwar zum grossen Teil, aber nicht in allen Belangen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist.
Neu gewählt wird das Bündner Kantonsparlament am 15. Mai 2022. Bis dahin muss die Frage des Wahlverfahrens geklärt sein. Die stärkste Fraktion im Grossen Rat stellt derzeit die FDP mit 36 Mitgliedern vor der CVP (30), der BDP (23), der SP (19) sowie der SVP (9). Drei Ratsmitglieder von der GLP gehören keiner Fraktion an. (sda)

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

Was soll dieses Theater, kann man nicht mal was neues Probieren? Weshalb wird an einem alten Zopf gehalten, wer sagt das wir an 2 Modellen Freude haben müssen bei der Abstimmung?????

Was seit 1937 geschehen ist war "demokratiepolitisch sehr fragwürdig".
Mit Unwahrheiten und falsche Versprechungen war es bisher der CVP gelungen den Proporz zu verhindern.
Es brauchte das Bundesgericht um Korrekturen einzuleiten. Endlich werde ich eine kleine Demokratisierung von Graubünden erleben!

Mehr zu Politik MEHR