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Zurück auf die Strasse, zurück ins Bewusstsein

Bald erschallen in Graubünden wieder Parolen wie «Gopfridstutz jetzt Klimaschutz!» und «Wäm sini Zuakunft? Üsi Zuakunft!» Die Bündner Klimabewegung setzt zum Comeback an.

Daria
Joos
03.09.20 - 04:30 Uhr
Politik
Die Bündner Klimabewegung organisiert im September wieder Demonstrationen – im Gegensatz zum globalen Klimastreik im Juni 2019 (Bild) muss aber genügend Abstand eingehalten werden.
Die Bündner Klimabewegung organisiert im September wieder Demonstrationen – im Gegensatz zum globalen Klimastreik im Juni 2019 (Bild) muss aber genügend Abstand eingehalten werden.
KLIMASTREIK GRAUBÜNDEN/DOMINIK SCHNEITER

Nach langer Pause wird in Chur und Davos erneut für den Klimaschutz demonstriert, und zwar zu Fuss oder auf dem Velo. «Wir wollen das Thema wieder zurück in den Fokus der Öffentlichkeit bringen», sagt Gabriel Reiber vom Klimastreik Graubünden. «Nach dem Höhepunkt letzten Herbst hat sich das Ganze spätestens seit der Pandemie ziemlich verloren. Jetzt wollen wir ein grosses Comeback geben.» Dieses beginnt morgen auf der Churer Bahnhofstrasse. «Wir werden eine Figur aufstellen, die auf die Demo aufmerksam macht und auch provozieren soll», verrät Reiber.

Gemässigter als die Zürcher

Zurzeit ruft die nationale Organisation Klimastreik Schweiz für die letzte Septemberwoche zu «massivem zivilem Ungehorsam» in Bern auf. Was genau dahinter steht, ist aber noch geheim (Ausgabe vom 12. August). Ein Zusammenhang mit den Demonstrationen in Graubünden besteht laut Reiber nur insofern, als dass die Bündner Klimabewegung zu dieser Zeit ihr Comeback ansetzen will und die Menschen auch für Aktionen des zivilen Ungehorsams motivieren möchte. Reiber stellt aber klar, dass die beiden angekündigten Demonstrationen nichts mit zivilem Ungehorsam zu tun haben: «Es befindet sich alles wie üblich im gesetzlichen Rahmen.»

In Grossstädten wie Zürich und Basel haben Aktionen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten sogar zu Verhaftungen geführt. Sind die Bündner also vergleichsweise gemässigt? «Vielleicht ist das durchschnittlich schon so», findet Reiber. «Aber die Gesinnungen innerhalb der Bewegung sind unterschiedlich.» Er gibt zu bedenken, dass in Ballungsräumen schnell viele Menschen zusammen kämen, die zu radikaleren Aktionen bereit seien – im Gegensatz zu Graubünden.

Deshalb ist die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden aber nicht einfacher. «Die Verhandlungen mit der Stadtpolizei Chur sind zunehmend zeitaufwendiger und sie ist immer weniger entgegenkommend», so Reiber.

Bewegung ist reifer geworden

Die Klimabewegung «Fridays for Future» hat im August ihr 2-Jahr-Jubiläum gefeiert. Reiber blickt auf die Anfangsphase der Klimastreiks zurück: «Es gab eine grosse Euphorie, viele Leute haben sich plötzlich für die Klimaerwärmung interessiert und sind auf die Strasse gegangen.» Dieser Hype sei mittlerweile verschwunden. Bei vielen Menschen habe das Engagement mit der Zeit nachgelassen.

«Aber man merkt auch, dass die Bewegung viel reifer geworden ist.». Am Anfang sei die Aufmerksamkeit zwar gross gewesen, aber die Jugendlichen seien sich über ihre Forderungen und deren Umsetzung weniger bewusst gewesen. «Jetzt haben wir zwar die Aufmerksamkeit nicht mehr, wissen aber schon viel besser, in welche Richtung es gehen könnte.» Zurzeit gelte es, diese Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Denn: «Die Krise ist noch da.»

Kein Gesetz ist genügend

Mit der Politik ist die Bündner Klimabewegung mässig zufrieden. «Der Kernpunkt der Demo ist, dass es kantonal und national noch kein einziges Gesetz gibt, das in irgendeinem Punkt ausreichend wäre», sagt Reiber. Zwar sei etwa die Revision des CO2-Gesetzes ein grosser Schritt gewesen. «Aber aus wissenschaftlicher Sicht ist das immer noch absolut ungenügend.»

Klimastreik Graubünden fordert netto null Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030. Reiber betont: «Diese Zahlen denken wir uns nicht aus, es basiert alles auf wissenschaftlicher Erkenntnis.» Er sieht aber ein, dass realpolitisch gesehen Kompromisse nötig sind – «bevor man am Schluss mit gar nichts da steht».

Die Krisen hängen zusammen

Die globale Erwärmung ist dieses Jahr von anderen weltweiten Krisen überschattet worden, etwa von der Corona-Pandemie, der drohenden Wirtschaftskrise sowie Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Damit Klimaschutz trotzdem im Bewusstsein der Bevölkerung bleibt, ist laut Reiber die Erkenntnis nötig, dass die Erderwärmung mit anderen Krisen zusammenhängt. «Zum Beispiel Rassismus hat durchaus mit der Klimakrise zu tun», erklärt er. «Wenn wir in Europa unseren hohen Lebensstandard behalten, trifft es Menschen im globalen Süden, die am wenigsten etwas dafür können.»

Und zu einer Wirtschaftskrise käme es ohnehin, wenn die globale Erwärmung fortschreite. «Auch Pandemien sind sehr viel wahrscheinlicher, wenn man weiterhin Wälder abholzt, in denen es unbekannte Viren gibt», so Reiber.

Die Bündner Klimabewegung setzt neben dem politischen Weg auch auf Bildung: Die Aktivistinnen und Aktivisten wollen den Menschen die Problematik einfach und gut erklären. Reiber ist überzeugt: «Niemand, der wirklich über das Problem Bescheid weiss, würde nicht auch auf die Strasse gehen und sich dafür einsetzen, dass etwas geändert wird.»

Daria Joos Daria Joos ist Regionalredaktorin für Online/Zeitung. Sie absolvierte nach ihrem Maturitätsabschluss ein einjähriges Redaktionspraktikum bei der «Südostschweiz». Aktuell belegt sie die Masterstudiengänge Empirische Kulturwissenschaft und Gender Studies an der Universität Zürich.

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