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Kirchenfenster

Wie geht es uns?

Klosterser
Zeitung
15.09.24 - 07:00 Uhr
Menschen & Schicksale
«Ecce homo» von Georges Rouault.
«Ecce homo» von Georges Rouault.
zVg
Im Zweiten Weltkrieg, wohl 1942 – 1943, malt Georges Rouault Christus in der Tradition des «Ecce Homo» (so oder dies der Mensch). Mitten in aufwühlenden Zeiten, von denen jetzt auch in neuerer Weise das Bettagsmandat 2024 spricht. Rouault stellt Christus als Angeklagten dar. Zeigt ihn als Verspotteten. Damit verbindet er das Leiden der Welt mit Gott. Das ist mir insofern bedeutsam, weil heutzutage zu viel Leid («umgeben von Krisen» Mandat) unverbunden und bindungslos herumliegt. Wer sieht es? Wer geht damit um? Oder kann es achtlos weiterhin liegengelassen werden?

Zudem irrlichtern die Verspottungen und Verleumdungen, Missredereien, Verschwörungstheorien in den sozialen Medien. Deren Asozialsein gebärdet sich immer dreister. Ein Grundstress innerhalb unserer Demokratie im Alltag! Verwundungen eben, Abfälligkeiten, die sich Menschen, ohne dafür einzustehen, antun.

Zurück zum Christus von Rouault: Es fällt mir auf, dass das Rot innerhalb der Dornenkrone Christi nicht nur mit seinen Verwundungen und seinem Wundmantel verbunden ist, sondern auch mit der roten Sonne im Hintergrund – oberhalb des Horizonts.

Erst wenn ich mich hineinversetze, einfühle, wenn ich dem anderen hinterherdenke, mich auf Augenhöhe im öffentlichen Raum auseinandersetze, ohne wüst zu polemisieren, gelange ich zur Hinsicht des Bettagsmandats: «Mündige Bürger sind Bürger, die mitreden können.» Mitreden meint etwas anderes, als zu schwafeln, zu labern, andere gemeinzureden oder durch verächtliches Gerede herabzusetzen.

Von Heinz Detlef Stäps gibt es eine kleine Aufforderung zum Christusbild von Rouault:

«schau mich an

schau in mich hinein

schau durch meine Maske hindurch

sieh mein Elend

sieh meine Armut

sieh meine Leere

hinter meiner Fassade

füll mich auf

mit deiner Nähe

mit deinem Mitleiden

mit deiner Liebe

mach mich zum Spiegel

deines Lebens»

Trotz Digitalisierung in unserer Gesellschaft ist es nötig, dass wir Ansichtigkeit mitten im öffentlichen Leben üben. Einüben. Wer sich da als Christ oder Christin versteht, kann Spiegel dieses Christus sein. Mach mich, Gott, zum Spiegel dieses Lebens! Wortlos oder mit Worten.

Das Bettagsmandat kommt auf Joh. 1 zu sprechen, dass am Anfang das Wort sei. («Aus dem Wort entsteht die Welt.» Mandat) Dann ist in öffentlicher Kommunikation die Sprechwilligkeit nur aufgrund einer Einfühlung gegenüber dem anderen am Anfang mit dabei. Nachdem das Bettagsmandat an die Zeit erinnert hat, wie der Freistaat der drei Bünde folgenreich entstand, nachdem die Reformationszeit in Graubünden aufgerufen wurde, erkühnt es sich: «Wer wir sind, definieren wir über Erzählungen und Geschichten.» Trotz des inneren Verlustes mancher Erzählzusammenhänge, sodass bei einigen spirituelle Abmagerung entsteht, möchte ich diese Definition unterstützen.

Denn in Erzählungen und Geschichten ist unser Lebenskontext, unser Gewordensein, unsere Herkunft und das Potenzial unserer Zukunft berührt, angesprochen, gemeint, bedacht, ausgelegt. Von daher entwickelt sich etwas weiter. Ich spiegle mich in den Erzählungen und Geschichten. Wie sind wir also? Gehen wir es an, aufeinander zuzugehen!

Heinz-Ulrich Richwinn, Pfarrer

Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Klosters-Serneus

Heinz-Ulrich Richwinn, Pfarrer.
Heinz-Ulrich Richwinn, Pfarrer.
zVg
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