RSO-Journalist Markus Seifert im Interview: «Radio ist unkompliziert, ehrlich und schnell»
Radiomachen ist vielmehr als «Blabla». Wieso die Radiosprache etwas Besonderes ist, erklärt RSO-Journalist Markus Seifert im Interview mit der «Bündner Woche».
Radiomachen ist vielmehr als «Blabla». Wieso die Radiosprache etwas Besonderes ist, erklärt RSO-Journalist Markus Seifert im Interview mit der «Bündner Woche».
Von Andri Dürst
Im Medienhaus in Chur, wo auch die «Büwo» zu Hause ist, sind verschiedene Medien unter einem Dach vereint. Zeitung. Online, TV und Radio. Wer nun denkt, dass Beiträge mit «Copy-Paste» von Abteilung zu Abteilung weitergereicht werden, irrt. Denn jedes Medium hat seine ganz eigene Sprache. Auf was man beim Radio besonders achten muss und warum genau dieses Medium so faszinierend ist, erklärt der langjährige Radiojournalist Markus Seifert im Interview. Seit über 20 Jahren ist er bei Radio Grischa respektive Radio Südostschweiz (RSO) dabei und amtet heute als Leiter Ausbildung Audio. Da im Medienhaus die «Du-Kultur» gepflegt wird, wurde das Interview in der Du-Form verfasst.
Markus Seifert, Radiomoderatoren haftet oft das Bild eines «Schnurris» an. Was sagst du zu diesem Vorwurf?
Markus Seifert: Diesen Vorwurf habe ich auch schon gehört. Aber ich kann diese Meinung nicht teilen. Auch wenn vieles am Radio spontan klingt, steckt viel Planung dahinter. Natürlich haben verschiedene Mitarbeitende auch verschiedene Arbeitsweisen; einige machen sich zur Vorbereitung nur ein paar Stichworte, andere hingegen schreiben sich Wort für Wort auf. Die Kunst ist es dann aber immer, so zu sprechen, dass es spontan tönt.
Also doch ein wenig «Schnurri»?
«Schnurri» würde ich nicht sagen. Aber ja, wir Radioleute sind mitteilsam und vielleicht auch etwas extrovertiert. Was aber nicht erwünscht ist, wenn einfach nur «drauflos geschnorrt» wird. Nur reden, damit etwas geredet ist, das wollen wir verhindern.
Was macht deines Erachtens eine gute Radiomoderatorin oder einen guten Radioredaktor aus?
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man extrem «gwundrig» ist, sprich, eine grosse Neugier mitbringt. Auch gehört dazu, dass man als Person extrovertiert ist. Und zudem sollte man auch Freude an der Sprache haben. Das Besondere am Radio ist, dass man noch flexibler und schneller sein muss als in anderen Medien. Zudem senden wir die meisten Formate live, sprich die moderierten Stunden, die Nachrichten aus der Region sowie die Moderation des «Infomagazins».
Kommen bei RSO nur diejenigen ans Mikrofon, die einen Dialekt aus dem Sendegebiet sprechen?
Grundsätzlich ja. Wir möchten Leute am Mikrofon haben, die Bündner, Glarner oder St. Galler Oberländer Dialekt sprechen. Viele Menschen verbinden Dialekte mit einem Stück Heimat, weshalb dieses Prinzip wichtig ist. Wir wollen ja auch «Ds Radio vu do» und nicht irgendein austauschbarer Sender sein. Viele Leute – auch Feriengäste – erwarten, wenn sie beispielsweise nach Graubünden kommen, auch einen Bündner Dialekt am Radio. Allerdings ist diese Regel nicht in Stein gemeisselt. Wir haben zunehmend Mühe, Radioleute zu finden. Vielleicht müssen wir uns hier öffnen und andere Dialekte einbeziehen.
Schreiben fürs Radio ist etwas ganz anderes als Schreiben für Online- oder Printartikel (siehe Box). Bei welchen Punkten beobachtest du als Ausbildner bei RSO die grössten Stolpersteine?
Die grössten Stolpersteine sind, dass man sich getrauen muss, eine ganz einfache und direkte Sprache zu sprechen. Im Gegensatz zur geschriebenen Sprache muss die gesprochene Sprache so sein. Wer eine Zeitung liest, hat die Möglichkeit, komplexe Sätze nochmals nachzulesen. Im Radio hat man aber nur eine einzige Chance, um einen Satz zu verstehen. Wenn man also etwas auf den Sender bringt, das man nicht versteht, hat man seinen Job nicht erfüllt. Besonders knifflig ist es, Agenturmeldungen radiotauglich zu machen. Das Loslösen vom Ursprungstext und das Umwandeln ist eine grosse Herausforderung. Wir bearbeiteten kürzlich eine Mitteilung, die im Original von der Schweizerischen Depeschenagentur 256 Wörter enthielt. In der Radio-Version waren es dann noch 85 Wörter. Generell gilt bei uns: Meldungen sollen so kurz wie möglich und so lange wie nötig sein.
Du selber arbeitest schon über 20 Jahre für Radio Grischa respektive RSO – ein Medium, das ausschliesslich mit Sprache funktioniert. Was begeistert dich so an dieser Arbeit?
Einerseits liebe ich es, mit Sprache zu arbeiten. Andererseits ist das Tolle am Radio, dass die Technik so einfach ist. Man braucht nur ein Mikrofon und schon kann man ein Interview aufnehmen. Somit ist man nicht auf Bilder oder Videos angewiesen. Und wie bei wohl allen Journalistinnen und Journalisten fasziniert mich an diesem Beruf, dass man sehr neugierig sein darf, überall nachfragen kann und die Leute einem meist Antwort geben. Zusammengefasst: Radio ist unkompliziert, ehrlich und schnell.
«Schnell» ist das Stichwort: An welchen Radiomoment erinnerst du dich am meisten?
Das waren die grossen Unwetter in der Surselva 2002. Eigentlich hatte ich einen normalen Arbeitstag und war schon zu Hause. Dann erhielt ich ein Telefon von unserem damaligen Programmleiter. Er sagte mir, ich solle die Gummistiefel einpacken, nach Schlans reisen und dort über die Unwetter berichten. Die vielen Eindrücke der Zerstörung haben mich sehr geprägt. Ich war aber auch beeindruckt, wie die Blaulichtorganisationen funktionierten.
Aber es hat dir nicht die Sprache verschlagen?
Manchmal war es in der Tat schwierig, die richtigen Worte zu finden…
Was Radiosprache ausmacht
Wer gut schreibt, ist noch lange kein guter Radiosprecher oder eine gute Radiosprecherin. Denn Radiotexte müssen klar und einfach aufgebaut sein. Für die Verständlichkeit ist es zudem von Vorteil, wenn Verben statt Nomen verwendet werden. So ist am Radio «sich beziehen» verständlicher als «Bezug nehmen», dies gilt auch für «analysieren» statt «eine Analyse durchführen». Lebendiger wirkt ein Radiotext auch, wenn statt der Passiv- die Aktivform verwendet wird (nicht: «Das Buch wurde innerhalb von drei Tagen geschrieben», sondern: «Er schrieb das Buch innerhalb von drei Tagen.»). Kein Wunder, sollte man auch auf verschachtelte Sätze verzichten. «Ein Gedanke = ein Satz» ist hierbei eine gute Faustregel. Erlaubt oder gar erwünscht sind Wiederholungen. So müssen beispielsweise Namen nicht ständig durch Pronomen ersetzt werden, sondern dürfen ruhig öfters vorkommen als in einem schriftlichen Text. Vermeiden sollte man in Radiotexten Fremdwörter, und auch die Verwendung von Zahlen ist etwas heikel. Tricks hierbei sind etwa das Runden von Zahlen, das Vergleichen von numerischen Werten («das entspricht einer Fläche von x Fussballfeldern») oder das «Übersetzen» in einfache Begriffe («das Doppelte», «die Hälfte»).Wichtig ist aber auch, dass Radiotexte dynamisch klingen und nicht etwa wie ein Monolog daherkommen. Und zu guter Letzt gilt: Was man geschrieben hat, sollte man auch verstehen – sonst scheitert man spätestens am Mikrofon mit seinem Geschreibsel …
Hier könnt ihr jederzeit live Radio Südostschweiz nachhören.
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