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So arbeitet eine Express-Zugbegleiterin

Ein Tag im Bernina Express: von Teamarbeit und Vielseitigkeit, die sich nicht nur in derwechselnden Landschaft zeigt

Bündner Woche
03.08.24 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Zur Abfahrt bereit: Zugchefin Petra Staub gibt dem Lokführer das Signal, dass der Zug abgefertigt ist und losfahren kann.
Zur Abfahrt bereit: Zugchefin Petra Staub gibt dem Lokführer das Signal, dass der Zug abgefertigt ist und losfahren kann.
Cindy Ziegler

von Cindy Ziegler (Text /Bilder)

Morgens um 8 Uhr am Bahnhof in Chur. Gerade ist der IC aus Zürich angekommen. Es steigen viele Sonnenhungrige, Sportler und Touristinnen aus. Der Zug nach St. Moritz ist auch gut besetzt. Auf dem Perron von Gleis 9 und 10 ist Englisch die dominierende Sprache. Ein Mann in oranger Arbeitsbekleidung zeigt auf eine Frau in Uniform und meint: «She is the Captain.» Petra Staub ist derweil dabei, einem Ehepaar aus den USA zu erklären, wo sie mit ihrem Billett sitzen dürfen. Als der Bernina Express einfährt, werden die Wartenden nervös. Nicht so Petra Staub. Sie ist seit vielen Jahren als Zugbegleiterin unterwegs. Heute aber nicht alleine, sondern mit ihrem Kollegen Sujevan Sivakumar. Kurz tauscht sie sich mit ihm aus. «Wagen 16 bleibt so. Da kommt eine grosse Gruppe ab Tiefencastel.» Eine Frau, die Hochdeutsch spricht, fragt, wo denn der Wagen 12 zu finden sei. Petra Staub zeigt nach hinten. Die Leute ohne Platzreservation schickt sie ganz nach vorne.

Persönlich: Die Zugbegleiterin macht die Ansagen gerne selbst.
Persönlich: Die Zugbegleiterin macht die Ansagen gerne selbst.

Ob Englisch oder Deutsch, das spielt keine Rolle

Mit schnellen Schritten läuft die Zugchefin durch die Wagen bis zu einer Tür, die mit «Crew» angeschrieben ist. Viel Platz hat man darin nicht, denn die beiden Frauen von der Minibar sind schon dabei, Getränke kühl zu stellen. Derweil kalibriert Petra Staub die automatisierten touristischen Durchsagen, sodass die Informationen über die Strecke dann auch am richtigen Ort ausgespielt werden. Zwischendurch gibt sie immer wieder Antwort auf Fragen der Gäste. Ob Englisch oder Deutsch, scheint dabei für sie keine Rolle zu spielen. Als wäre es ganz leicht, wechselt sie die Sprache – zum Teil sogar mitten im Satz.

Billette vorweisen: Petra Staub bei der Kontrolle.
Billette vorweisen: Petra Staub bei der Kontrolle.

Es folgt ein letzter Austausch mit dem Team vom Bahnhof, dann ist der Zug bereit für die Reise nach Tirano. Der Bernina Express ist bis auf den letzten Platz besetzt. Es ist eine Reise voller Höhepunkte. Von Chur ins Burgenland Domleschg, über das Solisviadukt und das weltberühmte Landwasserviadukt, via Kehrtunnels im Albulatal, dann nach Pontresina und am Morteratschgletscher vorbei, durch das Berggebiet unterhalb des Berninas bis hinauf zum Ospizio, danach hinab auf die Alp Grüm, den Seen entlang in die Valposchiavo und schliesslich via Kreisviadukt in Brusio bis nach Italien. «Geschätzte Fahrgäste, im Namen der Rhätischen Bahn heissen wir sie herzlich willkommen auf dem Bernina Express. Mein Name ist Petra und ich bin heute ihre Zugchefin, zusammen mit Suje», sagt Petra Staub in einen Telefonhörer. Sie könnte die Ansage und die Begrüssung auch ab Band abspielen. «Aber ich mache es lieber so. Das ist persönlicher. Und die Gäste wissen dann, mit wem sie es zu tun haben», erklärt sie.

«Alle Billette bitte, all Tickets please»

Es folgt die Billettkontrolle. Während Petra Staub von Wagen zu Wagen läuft, kontrolliert sie die Lämpchen, schaut, ob die Klimaanlage funktioniert und wie voll der WC-Tank ist. Das mache sie automatisch, sagt die Zugbegleiterin im Gehen. «Guten Morgen miteinander. Good Morning», begrüsst sie im Wagen 11. «Alle Billette und Reservationen bitte. All Tickets and Reservations please.» Bei den ersten Fahrgästen, dem Pärchen aus den USA, gibt es ein Problem. Petra Staub bleibt ruhig und meint, dass sie das nachher abkläre. Das sei das Gute auf diesem Zug. Man habe Zeit. Denn die beiden bleiben bis Tirano im Bernina Express. Die weitere Kontrolle verläuft ohne Zwischenfälle. Alle sitzen am richtigen Ort und haben ein gültiges Ticket. Manche Billette stanzt Petra Staub ab, die meisten aber scannt sie digital.

Fotomagnet: das Landwasserviadukt bei Filisur.
Fotomagnet: das Landwasserviadukt bei Filisur.

Eine abwechslungsreiche Arbeit

Beim Landwasserviadukt versuchen die vielen Touristinnen und Touristen das perfekte Foto zu machen. Die Zugbegleiterin und der Zugbegleiter beobachten die Szene. Sowohl das Viadukt wie auch die Faszination der Gäste sind für sie Alltag. Und doch erfreuen sie sich noch immer daran. Beide schätzen die Vielseitigkeit an ihrem Beruf. «Mir gefällt es, mit verschiedenen Leuten und mit unterschiedlichen Nationalitäten zu arbeiten. Das macht die Arbeit abwechslungsreich», sagt Petra Staub. Ihr Kollege nickt. «Jeder Tag ist anders. Eigentlich kennen wir nur die Abfahrts- und die Ankunftszeit. Alles, was dazwischen geschieht, ist eine Überraschung», meint Sujevan Sivakumar. Für die Arbeit als Zugbegleiterin respektive Zugbegleiter brauche es deshalb eine Portion Mut. Und ein gewisses Selbstvertrauen. Denn man müsse sich behaupten – auch wenn die Gäste nicht immer freundlich sind. «Wir müssen die Regeln durchsetzen, sind aber gleichzeitig auch nicht die Polizei», so der Zugbegleiter. Eher gehe es im Zug darum, zu vermitteln.

Teamarbeit: Zugbegleiter Sujevan Sivakumar und Zugchefin Petra Staub beim Stopp auf der Alp Grüm.
Teamarbeit: Zugbegleiter Sujevan Sivakumar und Zugchefin Petra Staub beim Stopp auf der Alp Grüm.

Petra Staub muss in Thusis kurz aussteigen. Sie lässt die Fahrgäste zusteigen und geht dann zu einem der orangen Kasten. Hier drückt sie einen Knopf, pfeift kurz in ihre Pfeife und hebt die Hand. Bereit zur Abfahrt, der Zug ist abgefertigt. Die Zugchefin steigt als Letzte wieder ein.

Viele besondere Erlebnisse unterwegs

Heute ist die Fahrt ruhig und verläuft ohne nennbare Zwischenfälle oder Pannen. Mehr noch. Der Zug ist pünktlich. Petra Staub und Sujevan Sivakumar berichten von turbulenteren Tagen und schönen Momenten, die in Erinnerung bleiben. Von einem Drogenfund und einer geplatzten Fruchtblase zum Beispiel. Oder von einem Sohn, der um seine Mutter trauerte und mit ihrem Bild im Zug herumfuhr. Und von einem Weihnachtstag, an dem eine Familie einen kleinen geschmückten Weihnachtsbaum mit in den Bernina Express nahm. «Es gibt viele solcher Erlebnisse», meint Petra Staub.

Im Kontakt: Yuliia Kovalova vom Minibar-Team nimmt eine Bestellung auf.
Im Kontakt: Yuliia Kovalova vom Minibar-Team nimmt eine Bestellung auf.

In Bergün wechseln wir bis zur Alp Grüm in den Führerstand zu Mirco Tuor. Der Lokführer schiebt sich gerade seine Sonnenbrille auf die Nase, denn seit der Zug aus dem neuen Albulatunnel gekommen ist, scheint die Sonne. Auf der Strecke wechselt nicht nur die Landschaft, sondern auch das Wetter. Und etwas später auch das Personal. Mirco Tuor fährt den Zug bis nach Poschiavo. Langsam, mit etwa 20 km/h, schlängelt sich der Zug den Berg hoch. Bis zu 72 Promille beträgt die Steigung. «Die steilste Adhäsionsbahn der Welt», erklärt er nicht ohne Stolz. Wir queren das Signal Bella Vista. Bei schönem Wetter kann man von hier aus fast bis nach Filisur blicken. Wobei, es fällt schwer, die Orientierung zu behalten – bei all diesen Kehrtunnels. Lokführer Tuor schätzt die Teamarbeit im Zug. Das Personal am Bahnhof, die Kommunikation mit der Zugchefin, das Winken der Bauarbeiter und die Begegnung mit dem Streckenwart, an dem wir auf dem Weg nach oben vorbei kommen. «Die Kommunikation ist sehr wichtig. Es hilft, wenn man sich kennt», sagt Mirco Tuor.

Aussichtsreich: Die Strecke von Chur nach Tirano lädt zum Blick aus dem Fenster, so zum Beispiel hier entlang des Lago Bianco.
Aussichtsreich: Die Strecke von Chur nach Tirano lädt zum Blick aus dem Fenster, so zum Beispiel hier entlang des Lago Bianco.

Nächster Halt: Alp Grüm. Hier, mit Blick auf den Gletscher und den türkisfarbenen Lago Palü, bleibt Zeit, kurz auszusteigen. Petra Staub schreibt die Abfahrtszeit auf eine Tafel und geniesst dann auch für einen kurzen Moment die Sonne, währenddem sich der Lokführer schnell einen Kaffee holt. Um 11.15 Uhr läutet sie an der grossen Glocke. Weiterfahren. Nach einiger Zeit überquert der Bernina Express die Grenze und fährt in Tirano ein. Kaum sind die Gäste ausgestiegen, geht die Zugbegleiterin durch den Zug und sammelt die Flyer ein. Ihr folgt das Reinigungsteam. Der Zug wird gleich im Anschluss wieder gebraucht. In rund 1,5 Stunden geht es dann auch für das Team um Petra Staub wieder zurück nach Chur. Bis dahin geht die Zugchefin frische italienische Früchte einkaufen.

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