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Psychologe Franco Arnold über Angst, Panik und den Reiz des Gruselns

Wenn wir uns fürchten, dann wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt – was sonst noch geschieht, wenn wir Angst haben, erklärt Psychologe Franco Arnold im Interview.

Bündner Woche
31.10.24 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
«Angst ist überlebenswichtig», sagt Psychologe Franco Arnold.
«Angst ist überlebenswichtig», sagt Psychologe Franco Arnold.
Lara Buchli

Von Cindy Ziegler

An Halloween wird mit der Angst gespielt. Viele von uns mögen das. Auch der Nervenkitzel reizt, den Horrorfilme, Kriminalromane oder True-Crime-Podcasts auslösen. Anders ist es, wenn man es tatsächlich mit der Angst zu tun bekommt oder sogar in Panik verfällt. Franco Arnold ist Oberpsychologe in der auf Angst und Panik spezialisierten Privatklinik Mentalva in Cazis. Im Gespräch mit der «Büwo» erklärt er, warum wir uns manchmal gerne fürchten und was mit uns passiert, wenn wir Angst haben.

Herr Arnold, vor was haben Sie Angst?

Jeder Mensch kennt Ängste. Auch ich. Ich muss mir gerade mit etwas auseinandersetzen, dessen Ausgang nicht in meinen Händen liegt − das bereitet mir doch eine gewisse Angst, denn ein Teil meiner Zukunft hängt davon ab. Etwas anderes, was mich derzeit beschäftigt und mir zwischendurch auch Angst macht, ist meine bevorstehende Pensionierung.

Was ist Angst überhaupt für ein Gefühl? Wofür ist es gut?

Angst ist überlebenswichtig. Ohne Angst würden wir ungemein waghalsig handeln und nicht aus Fehlern lernen können. Es ist etwas Grundsätzliches, das wir brauchen, um unser Leben bewältigen und mit einer Vorsicht an Dinge herantreten zu können.

Dann ist Angst ja eigentlich etwas Gutes.

Es kommt immer darauf an, in welchem Ausmass uns die Angst beschäftigt. Ist sie übersteigert oder gehen wir einfach mit Vorsicht an eine Sache ran? Ist die Angst gerechtfertigt oder nicht? Angst hat etwas, was die anderen Gefühle nicht haben. Sie ist nämlich zukunftsgerichtet. Wir projizieren und überlegen uns, was denn künftig passieren könnte. Und unser Hirn kann schlecht zwischen Realität und Fantasie unterscheiden.

Franco Arnold: «Am Schluss geht es immer um die Angst vor dem Sterben.»
Franco Arnold: «Am Schluss geht es immer um die Angst vor dem Sterben.»
Lara Buchli

Wann macht Angst krank?

Im deutschen Sozialgesetzbuch gibt es einen spannenden Begriff: Teilnahmefähigkeit am gesellschaftlichen Leben. Ich finde den sehr treffend. Ein Angsterleben wird dann problematisch, wenn es uns daran hindert am Leben teilzunehmen, also das zu tun, was wir eigentlich tun wollen, um Glück und Zufriedenheit erleben zu können. Und je nach Folgen und Ausmass der Vermeidung wird eine Angst dann behandlungsbedürftig.

Inwiefern unterscheidet sich «echte» Angst vor derjenigen, die wir fühlen, wenn wir uns gruseln?

Gruseln gehört eigentlich zur Angst und hat einen ganz wichtigen Aspekt. Dafür müssen wir darauf schauen, was nach der Angst passiert. Wenn wir einen Horrorfilm schauen, dann werden wir ja nicht tatsächlich verfolgt, gefoltert oder getötet. Wenn wir Angst haben, dann schüttet der Körper Stresshormone aus. Wenn die Angst dann vorbei ist, macht der Körper das Gegenteil und wir erleben ein Glücksgefühl. Das passiert, weil wir zum Beispiel beim Horrorfilmschauen wissen, dass wir in Sicherheit sind. In der Psychologie spricht man auch von Angstlust.

Was passiert körperlich, wenn wir uns fürchten?

Der Körper wird in eine hohe Alarmbereitschaft versetzt. In dieser sind wir bereit, alles zu tun, vor allem aber werden wir darauf vorbereitet, von der Gefahr wegzuspringen. Wir beginnen auch zu schwitzen. Das ist übrigens auch ein spannendes Phänomen. Denn wenn wir eine nasse Haut haben, kann man uns weniger festhalten. Zudem erhöht sich Herzschlag und die Blutgefässe verkleinern sich. Wenn uns dann etwas verletzt, dann bluten wir weniger. Spannend nicht?

Ja, sehr. Kann man denn grundsätzlich vor allem eine Angst entwickeln?

Tatsächlich, ja. Wir machen laufend eine Einschätzung der Situation. Ist etwas gefährlich für mich oder nicht? Das geschieht immer vor dem Hintergrund, was einem im Leben wichtig ist.

Und was ist denn eine Phobie? Eine Übertragung von Angst auf ein spezifisches Objekt oder einen Zustand?

Bei einer Phobie weiss ich ganz genau, was mir Angst macht, beispielsweise eine Spinne oder ein Hund. Ich schreibe diesem Objekt sozusagen eine für mich selber unerwünschte Fähigkeit zu oder erwarte ein Verhalten dieses Objektes, das ich nicht kontrollieren kann. Bei anderen Ängsten ist das unspezifischer.

Sind Ängste immer existenziell?

Ganz sicher. Ich behaupte sogar, es geht am Schluss immer darum, dass wir Angst vor dem Sterben haben. Vor dem Ende. Aber da scheidet sich die Wissenschaft.

Und was kann man tun, wenn man Angst hat?

Vermeiden ist nicht immer das Schlechteste, manchmal sogar notwendig. Wenn einem das nicht weiter im Leben einschränkt, dann ist das tatsächlich eine Strategie. Aber wenn die Angst uns dermassen einschränkt, dass wir auch unser Leben sehr einschränken müssen, dann wird sie behandlungsbedürftig. Wir müssen uns also in denjenigen Fällen mit ihr auseinandersetzen.

Was halten Sie von Halloween?

Ich finde das spannend, auch wenn ich mich nicht fürchte. Interessant ist in diesem Zusammenhang ja auch, warum gewisse Menschen gerne anderen Angst machen. Das ist auch eine Lust. Lust daran, zu sehen, wie das Gegenüber leidet. Das bewirkt bei gewissen Menschen Entspannung. Ähnlich wie bei der Schadenfreude ist man froh, dass es einem selbst nicht passiert. Das relativiert das eigene Entsetzen.

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