×

«Jede Hürde als Wachstumschance»: Ein Gespräch mit Mental Choachin Nicole Reifler

Nicole Reifler Steiner ist Mental Coachin und an der FHGR verantwortlich für die Koordination von Spitzensport und Studium. Hier ein Gesprächüber Druck, Doppelbelastung und Durchhaltewillen.

Bündner Woche
18.07.24 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Nicht ohne Hürden: Im Spitzensport darf die mentale Gesundheit nicht ignoriert werden.
Nicht ohne Hürden: Im Spitzensport darf die mentale Gesundheit nicht ignoriert werden.
Archiv

Von Cindy Ziegler

«Spitzensport beginnt da, wo gesunder Sport aufhört.» Das sagt Nicole Reifler Steiner, Sport Mental Coachin, als wir über die mentale Gesundheit von Top-Athletinnen und Athleten sprechen. Diesen Satz bezieht sie auf den physischen Aspekt, vor allem aber auch auf den psychischen. Umso wichtiger also, dass diesbezüglich ein Fokus gesetzt wird.

Frau Reifler Steiner: Welche Aufgabe haben Sie als Sport Mental Coachin?

Nicole Reifler-Steiner: Grundsätzlich ist der Sport eine Möglichkeit, um die Persönlichkeit zu entwickeln. Ich coache, begleite und unterstütze Athletinnen und Athleten, vor allem junge. Das Ziel ist es, die Leistung zu optimieren und als Sportlerin oder Sportler zu wachsen. Ein Coaching ist auch eine Form von Prävention. Unser Hirn kann nicht unterscheiden zwischen Realität und inneren Bildern. Umso wichtiger ist es, dass man positive Anreize verankert, die dann helfen, mit schwierigen Situationen umzugehen. Mir gefällt daran, dass das Coaching so individuell und einzigartig wie die Personen selbst ist. 

Die mentale Gesundheit ist aber weitaus mehr. Zum Beispiel auch ein Leistungsfaktor, oder?

Die mentale Gesundheit ist ein Teil des Ganzen. Ich glaube nur die Kombination aus physischer Fitness und mentaler Stabilität führt dazu, dass Spitzenleistungen erzielt werden können. Geistige Fähigkeiten kann man gezielt trainieren und den Umgang mit schwierigen Situationen erlernen. Die mentale Gesundheit hilft, das eigene Ziel schneller und leichter zu erreichen. Die physischen Möglichkeiten des Körpers sind irgendwann ausgereizt, neben der Weiterentwicklung von Materialien kann man deshalb vor allem von innen wachsen.

Welche besonderen Herausforderungen gibt es im Spitzensport?

Viele Sportlerinnen und Sportler sind in einer dualen Situation, sprich, sie fokussieren sich einerseits auf ihren Sport, sind aber andererseits auch in einem Beruf eingebunden, haben Familie und/oder absolvieren eine Ausbildung. Da braucht es die Fähigkeit zur Reduktion und den Fokus auf das Wesentliche. Eine Doppelbelastung und die Pflicht zum Perspektivenwechsel können sich aber auch positiv auswirken, in dem Abstand geschaffen wird. 

Wie reagiert man an der Fachhochschule Graubünden konkret auf diese Doppelbelastungen?

Im Studium beispielsweise ist es wichtig, optimale Bedingungen zu schaffen. Stichwort flexible Modelle und besonderer Einbezug des Alltags von Sportlerinnen oder Sportlern. Es geht also darum, innerhalb der Rahmenbedingungen, individuelle Lösungen zu finden, ohne dass sie im Studium weniger leisten müssen als andere. Vieles im Leistungssport ist nicht planbar und bedingt Flexibilität. Klar, dass das nicht immer einfach ist und dass es da ein Entgegenkommen von beiden Seiten braucht. Uns ist es wichtig, dass alle, die wollen und die Voraussetzungen erfüllen, Zugang zum Studium haben. Handlungsbedarf gibt es da beispielsweise auch bei Menschen, die auf einem hohen Level künstlerisch tätig sind, zum Beispiel als Musikerin oder Musiker.

Hat sich die Wichtigkeit und das Wissen um die mentale Gesundheit in den letzten Jahren verändert?

Ja. Ich habe das Gefühl, dass die Athletinnen und Athleten heute damit transparenter sind. Dass sie zum Beispiel sagen, dass sie Angststörungen oder Depressionen haben. Es ist wichtig, dass man junge Spitzensportlerinnen und Spitzensportler diesbezüglich sensibilisiert. Die mentale Geusndheit ist mittlerweile schon viel selbstverständlicher als früher, aber man müsste noch mehr machen.

Über Nicole Reifler Steiner
Nicole Reifler Steiner arbeitet an der Fachhochschule Graubünden als Leiterin Hochschulsport und Koordinatorin Spitzensport und Studium. Dazu ist sie Werte- und Ethik-Verantwortliche bei «Swiss University Sports». Ausserdem ist sie ausgebildete Sport Mental Coachin, ist ehemalige Miliz-Dopingkontrolleurin und Vorstandsmitglied des Bündner Radsportverbands. Darüber hinaus ist sie selbst Sportlerin und Mutter eines Nachwuchssportlers. Sport beschäftigt sie also in allen Bereichen ihres Lebens.

Hier findet ihr weitere Informationen:
wwww.fhgr.ch/hochschulsport
www.focussetzen.ch

An grossen Veranstaltungen wie Olympia oder an einer Weltmeisterschaft herrscht ja immer auch sehr viel Druck ...

Ja das stimmt. Was man aber wissen muss, ist, dass solchen Events immer eine lange Planung vorausgeht. Sportlerinnen und Sportler arbeiten mit kurzfristigen und mit längerfristigen Zielen. Umso wichtiger ist die umfassende Vorbereitung – in jeglichen Bereichen. Wenn man gut vorbereitet ist, dann geht man auch anders in einen solchen Wettbewerb. Erholungsphasen müssen bei solchen Veranstaltungen bewusst antrainiert werden. Darum ist es so wichtig, dass man sich selbst sehr gut kennt. So kann man Druck rausnehmen.

Was ist schwieriger zu verarbeiten? Ein Misserfolg oder ein grosser Sieg?

Für die Sportlerin oder den Sportler ist es wohl der Misserfolg. Denn sie treten ja an, um zu gewinnen. Das ist der Sportgeist. Und solche Chancen gibt es in einer Sportkarriere nicht allzu häufig. So oder so muss man aber die Situation annehmen, wie sie ist. Als Coachin sehe ich jede Hürde als Wachstumschance. Ich finde es wichtig, dass man sich auf die eigene Leistung fokussiert. Aber auch bei einem grossen Sieg muss man das nächste Ziel im Auge haben. 

Was können sich Nicht-Leistungssportlerinnen in Sachen mentaler Stärke von Athleten abschauen?

Grundsätzlich sind die Eigenschaften, die Leistungssportlerinnen und -sportler haben, zum Beispiel die Fähigkeit, Ziele anzupeilen, Blockaden zu überwinden, der Durchhaltewillen sowie die Achtsamkeit, solche, die einen auch sonst im Privat- und Berufsleben weiterbringen. Der Unterschied ist, dass man im Sport immer direkt gemessen und beurteilt wird. 

Wird allgemein genug über die mentale Gesundheit gesprochen?

Nein, da gibt es definitiv noch Luft nach oben. Es muss zudem verstärkt in die mentale Gesundheit investiert werden, damit sie gefördert werden kann. Das ist nicht nur im Sport so, sondern grundsätzlich muss in der Gesellschaft diesbezüglich noch ein grosser Schritt gemacht werden. Denn das Thema betrifft alle auf irgendeine Weise.

Inhalt von buew logo
Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Menschen & Schicksale MEHR