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87 Jahre und kein bisschen müde: Françoise Stahel läuft seit 60 Jahren Langlauf

Françoise Stahel aus Klosters ist nicht nur eine begeisterte Langläuferin, sondern auch eine beeindruckende Persönlichkeit. Mit 87 Jahren startet sie – wie seit 1969 jedes Jahr – erneut beim Engadin Skimarathon. Ihr Geheimnis? Bewegung und Lebensfreude.

Bündner Woche
13.01.25 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Fürs Foto schlüpft die «Madame Engadin Skimarathon» vor ihrer Wohnung in Klosters ins Langlaufdress.
Fürs Foto schlüpft die «Madame Engadin Skimarathon» vor ihrer Wohnung in Klosters ins Langlaufdress.
Andri Dürst

von Andri Dürst

Betritt man Françoise Stahels Wohnung in Klosters, so wird man freudig von Hündin Nela begrüsst. Sie schwänzelt und freut sich über den Besuch. Auch die Wohnungsbesitzerin selbst ist zuvorkommend und gastfreundlich. Während andere in ihrem Alter schon länger in einem Altersheim verweilen, ist sie noch fit und serviert den Kaffee flink und schnell. Das Geheimnis der 87-Jährigen? Viel Bewegung an der frischen Luft. 

Auch 2025 will sie es wagen

Françoise Stahel ist keine Unbekannte. Sie trat schon in verschiedenen Fernsehsendungen auf. 2019 veröffentlichte sie sogar ein eigenes Buch. «Der lange Lauf» heisst es. Darin blickt sie nicht nur auf ihr ereignisreiches Leben zurück, sondern auch auf ihre Teilnahmen am Engadin Skimarathon. Denn seit dessen Gründung 1969 hat sie keine Gelegenheit ausgelassen, daran teilzunehmen. Nach der Jubiläumsaustragung musste der Anlass bekanntermassen zweimal wegen der Pandemie abgesagt werden. 2022 ging es wieder los – auch für Françoise Stahel, die aber seit einigen Jahren «nur» noch den Halbmarathon bestreitet. Und auch dieses Jahr ist sie wieder mit am Start. «Die letzten beiden Jahre konnten wir wegen schlechter Bedingungen nicht in Maloja starten. Ich hoffe sehr, dass es dieses Jahr wieder möglich ist, die Originalstrecke zu laufen.»

Maloja – das ist auch der Ort, an dem die in der Loire (F) geborene Hotelfachschulabsolventin zum Langlaufen kam. Das sei 1965 gewesen, wie sie sich erinnert: «Meine Freundin Ursula Bösch brachte mich zum Langlauf. Das war ideal für mich, denn ich wollte mich in der Natur bewegen. Da es damals in Maloja noch kaum Winterwanderwege gab, waren die Langlaufski ein gutes Fortbewegungsmittel.» Oft habe sie selber eine Spur in den Schnee gezogen. Gelaufen wurde damals natürlich noch mit Holzski. 

Schaffen Frauen 42 Kilometer?

Ursula Bösch sei es auch gewesen, die sie dazu animierte, am ersten Engadin Skimarathon teilzunehmen. Anfänglich sei das Organisationskomitee aber der Teilnahme von Frauen skeptisch gegenübergestanden. Einige Verantwortliche trauten den Damen nicht zu, die 42 Kilometer zu laufen. Man befand, dass die Teilnehmerinnen ein ärztliches Attest der Anmeldung beifügen müssen, um die Eignung zu bestätigen. Damit aber keine Ungleichheit geschaffen wurde, mussten auch die männlichen Teilnehmer ein solches Attest vorlegen. Am 16. März 1969 war es dann so weit und Françoise Stahel startete als eine von 40 Frauen – und wurde Dritte. «Obwohl ich damals noch gar nicht so gut langlaufen konnte.» 

Françoise Stahel wurde beim ersten Engadin Skimarathon Dritte.
Françoise Stahel wurde beim ersten Engadin Skimarathon Dritte.
zVg

Angespornt von diesem Erlebnis, lief sie Jahr für Jahr bei der grössten Breitensportveranstaltung der Schweiz mit. «Ans Aufhören dachte ich nie», sagt sie von sich aus. Denn das Langlaufen gebe ihr sehr viel: «Es ist ein Sport, bei dem es den ganzen Körper braucht. Und es ist etwas sehr Harmonisches.» Wenn sie langlaufen gehe, merke sie nach einer Weile gar nicht mehr, dass sie sich bewege. Zwar nimmt sie es mittlerweile ruhiger als früher. Nachdem sie 1995 von den klassischen auf die Skating-Ski wechselte, kehrte sie vor etwa vier Jahren wieder zur ursprünglichen Technik zurück. «Im Alter wurde das Skating einfach zu anstrengend.» Mittlerweile wird sie auch von Hündin Nela begleitet. «Ich habe sie so trainiert, dass sie auf der Loipe brav neben mir mitkommen kann.» Wenn es die Zeit zulasse, gehe sie in der Woche zwei- bis dreimal Langlaufen. «Dann mache ich jeweils so zehn Kilometer. Einerseits ist es ein gutes Training für den ‹Engadiner›, andererseits bereitet es mir aber auch einfach Freude.» Meist geht sie an ihrem Wohnort Klosters, wo sie seit 1969 zu Hause ist, auf die Loipe. Ab und zu stünden aber auch Abstecher nach Davos oder ins Engadin auf dem Plan. So zählt sie auch die Strecke Maloja-Sils zu ihren Lieblingsloipen. «Aber auch die Route Monbiel-Novai in Klosters ist eine wunderbare Strecke.» Ihr gefielen aber eigentlich alle Loipen in Klosters, die allesamt hervorragend präpariert würden, wie sie herausstreicht.

Auch mit operierter Hand am Marathon

Überwinden zum Langlaufen müsse sie sich eigentlich nie, meint die 87-Jährige. Auch nicht, als sie sich vor zwei Jahren das Handgelenk brach. «Das war schlimm!», erinnert sie sich. Doch nicht etwa die Fraktur an sich war ihre grosse Tragik, nein, es war vielmehr der Umstand, dass sie vorerst nicht langlaufen konnte. «Ich musste mich einer Operation unterziehen und trug dann eine Schiene. Doch damit konnte ich keine Handschuhe anziehen. So bat ich meinen Arzt, mir eine Spezialschiene anzufertigen, damit ich wieder Handschuhe anziehen und langlaufen konnte.» Gesagt, getan: Trotz der Verletzung konnte sie am Engadin Skimarathon teilnehmen. «Ich war aber etwas langsamer», gibt sie zu. 

Françoise Stahel hat noch viele solche Geschichten auf Lager. Von ihren früheren Langlaufferien in Sils, wo man ihr anfänglich unter der Woche kein Hotelzimmer anbot. Von einem Prominentenrennen, bei dem sie mit einem Regierungsrat durchs Schneegestöber tappte. Von ihrer Bekanntschaft zu Dario Cologna, dem Schweizer Langlaufstar schlechthin. Und von diversen Begegnungen während des Marathons, wo ihr immer mal wieder zugerufen werde, sie sei das Vorbild vieler Teilnehmerinnen.

Vielseitig interessiert

Der «Engadiner» – das ist ohnehin ein Fixpunkt in ihrem Leben. Die Teilnahme ist das Ziel. «Da gibt es keine Ausrede», fügt sie an. «Dank dem Marathon bin ich gesund», meint sie. Denn das regelmässige Langlaufen tue ihr gut. «Ich bin nie krank. Und wenn man sich mal so richtig verausgabt, tut das auch dem Kopf gut.» Ein freier Kopf, die Gedanken fliegen lassen – das ist etwas, das Françoise Stahel wichtig ist. Denn in ihrem langen Leben hat sie auch schon so einige schwere und herausfordernde Momente zu verkraften. So zum Beispiel die Scheidung 1975 nach rund zehn Ehejahren. Der Aufbau eines eigenen Treuhand- und Immobilienbüros. Oder der Tod ihres Sohnes 2014. «Langlaufen war auch teilweise eine Flucht», meint die Wahlklosterserin. Doch hat sie auch noch Hobbys neben diesem Wintersport? «Ja, ich höre gerne klassische Musik. Und ich reise gerne. Früher war ich oft im Trekking-Urlaub, beispielsweise im Himalaja oder in Patagonien. Was ich noch immer gerne mache, ist ans Meer zu reisen. Die jodierte Luft des Ozeans tut mir gut. Und auf einer Höhe von 0 Metern über Meer kann ich sogar etwas joggen – hier in Klosters geht das nicht mehr.» Zudem empfange sie gerne Freundinnen, koche für sie oder veranstalte Cocktail-Abende. Und natürlich gehe sie gerne mit Nela spazieren. Auch informiere sie sich gerne über das, was in der Welt geschieht. «Ich bin immer à jour», meint die gebürtige Französin. Leider falle ihr das Lesen wegen einer Makuladegeneration immer schwerer. Doch das mindert ihre Lebensfreude nicht. Und auch nicht ihren Willen, wieder auf die Langlaufski zu gehen. Und so verabschiedet sie sich nach dem Termin mit der «Büwo» auf die Loipe, Nela schwänzelnd hinterher.

Mehr Informationen zum Buch «Der lange Lauf» gibt es im Internet unter: www.madame-engadin-skimarathon.ch
 

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