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Alles fährt (S)KI: Wie die FHGR für neue Impulse im Spitzensport sorgt

Der Simulator «AI-Racer» bestimmt die perfekte Fahrlinie bei Profi-Skirennen. Ein Forschungsteam der FHGR hat dafür sogar einen Preis gewonnen.

Bündner Woche
13.02.25 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Auf der Piste: Am Audi-FIS-Weltcup in Wengen meistert der Skifahrer die Kurve.
Auf der Piste: Am Audi-FIS-Weltcup in Wengen meistert der Skifahrer die Kurve.
Swiss Ski

Von Susanne Turra

«Stahlblauer Himmel, weisser Schnee und ein Rekord in Wengen: 80 000 Skifans sind am Wochenende ins Berner Oberland gereist und haben die drei Lauberhornrennen vor Ort mitverfolgt. Das waren so viele Zuschauerinnen und Zuschauer wie noch nie. Angelockt von den guten Resultaten der Schweizer Skifahrer. Und vom guten Wetter. Besser geht es nicht, aber mehr geht eben auch nicht.» So die Sportmeldungen Mitte Januar. Mehr geht nicht? Das mag vielleicht für die Anzahl der Skifans stimmen. Nicht aber für die Resultate der Skicracks. Dafür sorgt die Künstliche Intelligenz (KI). Genaugenommen der «AI-Racer». Seit 2022 wird er bei Weltcup- und WM-Rennen eingesetzt und soll in Zukunft zusätzlich in Training und Ausbildung helfen, Verletzungen zu vermeiden und die Effektivität zu erhöhen. Doch der Reihe nach.

Die perfekte Linie

«Mittlerweile arbeite ich seit zehn Jahren mit dem technischen Team von Swiss Ski an diesem Projekt», betont Martin Bünner im Gespräch mit der «Bündner Woche». Der Dozent für Künstliche Intelligenz und Sport-Technologie an der Fachhochschule Graubünden (FHGR) beginnt 2016 mit der Entwicklung des «AI-Racers». Im letzten November gewinnt er mit seinem Forschungsteam der FHGR den Swiss Olympic Science Award. Dennoch. «Wir sind erst am Anfang», sagt Martin Bünner. «Die Technologie, die wir jetzt haben, ist im Prototypenstand.» Das heisst, sie kann momentan nur von den Entwicklern selbst bedient werden. Das ist in der Entwicklung immer so. «Auch das erste Auto konnte damals nur der Ingenieur selber fahren», erklärt Martin Bünner dazu. Der nächste Schritt ist, dass die Technologie des «AI-Racers» standardisiert wird. Die Software kann dann von Swiss Ski selber verwendet werden. Mithilfe von KI sollen die Athletinnen und Athleten auf der Skipiste künftig also die perfekte Linie finden. Doch wie funktioniert das Ganze?

Martin Bünner: «Das virtuelle Training kann zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter absolviert werden.»

Die Skicracks machen begeistert mit

«Die Skicracks machen da jeweils begeistert mit», betont Martin Bünner. Mehr wird dazu noch nicht verraten. Nur soviel: «Ziel der Entwicklung ist, dass die Skicracks auf dem Stuhl sitzen. Sie haben die VR-Brille vor den Augen und fahren die Rennstrecke virtuell runter.» Und wohlverstanden. Das immer auf der perfekten Fahrlinie. Diese Linie kann im echten Rennen noch nicht überall so perfekt gefahren werden. Zu viele menschliche Komponenten spielen da noch mit. Klar. Aber an gewissen Stellen ist die Übereinstimmung doch schon faszinierend genau zu erkennen.

Martin Bünner holt eine Grafik hervor. Sie zeigt eine 3-D-Messung der Lauberhorn-Abfahrt. Dabei wurde das komplette Umfeld rekonstruiert. Zwei Fahrlinien schlängeln sich herunter. Die rote Linie ist KI-generiert und die blaue Linie zeigt die Fahrt des Athleten. «Auf dieser Grafik sehen wir, wo es Verbesserungspotenzial in der Linie gibt und wo die Linien schon identisch sind», erklärt Martin Bünner.

Mit der maximalen Kantenkraft gefahren

Es beginnt beim Starthäuschen. Es folgen die Startkurve, der Hundschopf, der Russi-Sprung, das Brüggli-S. Bei der Startkurve ist es gut zu sehen. Eine Kurve übrigens, die sogar ein bisschen über 180 Grad hinaus geht. Hier zeigt sich die identische Linie von Rot und Blau. «Der Grund hierfür ist, dass diese Kurve bereits mit der maximalen Kantenkraft gefahren wird», so Martin Bünner. Der «AI-Racer» nimmt die Kurve genau so, dass es ihn gerade noch hält. Das heisst, er beschleunigt in der Kurve. Wenn er schneller wird, wird die Zentrifugalkraft grösser und deshalb muss er den Krümmungsradius aufmachen. Sonst würde es ihn raushauen. Und so öffnet er den Radius der Kurve von 50 auf 100 Meter. So zeigt es die rote Linie. Und auch die blaue Linie zeigt genau diesen Weg. Der Skifahrer macht genau dasselbe. Der «AI-Racer» kann also die Startkurve in Wengen genau so gut fahren wie die besten Skifahrer der Welt.

Auf der Grafik: Der Simulator zeigt die optimale Fahrlinie in der Startkurve in Wengen.
Auf der Grafik: Der Simulator zeigt die optimale Fahrlinie in der Startkurve in Wengen.
FHGR

Immer auch ein Kompromiss

Dennoch. «Die perfekte Linie ist immer auch ein Kompromiss», gibt Martin Bünner zu verstehen. Die Skifahrerinnen und Skifahrer haben ja keinen Motor. Ihr Antrieb ist ihre Gewichtskraft. Und diese können sie nicht direkt verwenden. Sie muss jeweils über den Hang verwendet werden. Und dabei kommt es natürlich auch auf das Eigengewicht der Athletinnen und Athleten an. Wie auch immer. Zuerst muss das Tempo aufgebaut werden, um den Schub mitnehmen zu können. Ganz einfach. Wer kennt das nicht aus der Kindheit? Da hat es doch jeweils bei einem auslaufenden Steilhang auch geheissen: Jetzt musst du voll fahren lassen, sonst schaffst du es nicht bis nach vorne. Und die Skistöcke zu Hilfe nehmen, das wollte dann schlussendlich doch niemand. Apropos. Dereinst soll der «AI-Racer» auch für die Ausbildung im Nachwuchs-Kader genutzt werden. «Wir hoffen, dass wir in naher Zukunft ein Budget dafür bekommen», so Martin Bünner. Entwicklung kostet Zeit und Geld. So oder so. Mit der Technologie könnte ein äusserst effektives Simulationstraining für Athletinnen und Athleten aus dem Nachwuchs aufgebaut werden. Eines mit vielen Vorteilen. «Das virtuelle Training kann zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter absolviert werden», betont Martin Bünner. Es kostet weniger als das echte Training. Die Verletzungsgefahr ist gleich null. Und die Sportlerinnen und Sportler bekommen immer sofort ein Feedback: Wie ist meine Haltung? Wie ist meine Linie? Zum Skitraining auf der Piste kommt so das kognitive Training dazu: Wie sehe ich den Hang? Wie erkenne ich, wie ich am besten beschleunigen kann?

Bis es Teil der eigenen Intuition wird

«Das können die jungen Athletinnen immer und immer wieder einüben», schliesst Martin Bünner. «So lange, bis es Teil der eigenen Intuition wird.» KI kommt. Klammheimlich gesellt sie sich zum stahlblauen Himmel und weissen Schnee am Lauberhorn.

Informationen unter www.fhgr.ch

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