Faszination im Miniaturformat: Ein Besuch bei den Modulbaufreunden in Landquart
Wir statten den Modulbaufreunden der Rhätischen Bahn einen Besuch ab. Es ist ein lebendiger Verein aus Landquart, der schon bei den Kleinen Kreativität fördert.
Wir statten den Modulbaufreunden der Rhätischen Bahn einen Besuch ab. Es ist ein lebendiger Verein aus Landquart, der schon bei den Kleinen Kreativität fördert.
von Laura Kessler
626. Ein besonderer Zug der Rhätischen Bahn. Zumindest für Willy Hartmann, denn die «Kleine Rote» ist «sein» Zug, seine Pensionierungslok, mit der er seine letzte Fahrt als Lokführer machte. Nun steht er neben ihr – oder besser gesagt über ihr, er hebt sie sogar kurz an und platziert sie neu.
Die Rede ist vom Modell, denn Willy Hartmann ist heute in der Rolle des Präsidenten der Modulbaufreunde RhB zugange. Im Vereinslokal in Landquart auf dem RhB-Areal begrüsst er und zeigt sich sogleich sichtlich begeistert über die Modelllandschaft. Besonders deshalb, weil seit über 20 Jahren Kinder und Jugendliche an den Bahnmodulen mitarbeiten. Die Jugendförderung im Verein ist zentral.
Der Blick schweift über die Anlage. Da der Bahnhof Zernez mit WC-Häuschen, im Hintergrund eine Bergbeiz, dann irgendwann der Bahnhof Susch. Die Anlage ist nicht originalgetreu. Massstäblich ja, doch die Module sind mehr oder weniger frei gestaltet. Auch das hat mit der Jugendförderung zu tun. Sie bedeutet nämlich vor allem Kreativitätsförderung. «Die Kinder sollen hier nicht noch mehr Leistungsdruck erfahren, als sie es sonst im Alltag eh schon tun. Deshalb lassen wir sie machen», sagt Willy Hartmann.
Seit 2001 ist das so. Vorher war der Verein für zehn Jahre ein reiner Erwachsenen-, ja eher Männerverein. «Irgendwann wurde es uns zu langweilig. Naja, eigentlich hatten inzwischen einige von uns Kinder und so wollten wir auch den Nachwuchs einbeziehen», erinnert sich der Präsident. Mit fünf Kindern startete also die Jugendförderung.

Winter-, Herbst- und Sommerlandschaften
Heute seien die Kinder bei den Aktiven in der Überzahl, so Willy Hartmann weiter. 16 Kinder und Jugendliche ab acht Jahren treffen sich jeweils am Mittwoch- und Samstagnachmittag in Landquart, um gemeinsam zu bauen. Nicht immer alle auf einmal, sondern in Gruppen von sechs bis acht Kindern, dazu einige Jugendbetreuer.
119 Module sind es inzwischen, die zusammengesteckt werden können. Winter-, Herbst- und Sommerlandschaften, alle mit Bezug zu Graubünden und der Rhätischen Bahn. Noch seien nicht alle Module fertig, zu bauen gäbe es immer etwas. Willy Hartmann nimmt eine Schachtel mit Bäumen aus Draht zur Hand. Zwei Stunden Arbeit pro Baum würden nicht reichen, meint er. Die Liebe zum Detail ist eine Voraussetzung, der Zugang zur eigenen Fantasie hilfreich. Denn nur so entstehen die Landschaften mit Gleisen und Tunnels, mit Wiesen, Wäldern, Häusern und Menschen. Auch wenn viele Elemente fertig gekauft werden können, ein bisschen gebastelt werden muss immer. So werden zum Beispiel die Farben der Häuser verändert, da sei der Kassier der Spezialist, sagt Willy Hartmann. Oder aber Elemente werden von Grund auf gebaut. So zum Beispiel das Bahnhofsgebäude von Zernez. Über 70 Stunden Arbeit stecken im originalgetreuen Häuschen.
Nicht originalgetreu ist hingegen eine ganz kleine Bude, die leicht übersehen werden könnte. «Hartma’s Kebapbuda» heisst sie. Darin zu sehen ein Dönerspiess, ein Verkäufer und eine Schlange Menschen davor. Eine Widmung – vielleicht doch eher ein Gag – der Jugendgruppe an ihren Präsidenten. So soll Willy Hartmann mal nicht ganz einverstanden gewesen sein mit dem Geruch der Döner, welche die Jugendlichen einst im Vereinslokal assen. Als Retourkutsche für seine Dönerunliebe bekam Willy Hartmann seine eigene Kebabbude im Miniaturformat.

Freiraum für die Jugend
Willy Hartmann hat zig solcher Geschichten auf Lager. Sie sind Resultat einer Vereinsphilosophie, die den Kindern und Jugendlichen viel Freiraum lässt. Die Jugendbetreuer, deren neun, verstehen sich als Helfer und Beobachter im Hintergrund. Das Zepter übernehmen aber die Kinder. Sie kommunizieren untereinander, suchen nach Lösungen, diskutieren und spinnen ihre Ideen weiter. «Von den Kindern können wir alle viel lernen», so der Präsident.

Stuls im Winter – massstabgetreu
Das neuste Projekt ist ein ambitioniertes: die Anlage «Stuls im Winter». Hier soll ein exakt massstäbliches Modell der ganzen Bahnhofsanlage im Winter entstehen. «Die Fantasie wollen wir bei diesem Projekt beiseitelassen und uns wirklich ans Original halten», so der Präsident. Das Modell soll schlussendlich eine Länge von 11,5 Metern aufweisen, mit einer Steigung von 32 Promille. Bis 2030 soll das Projekt abgeschlossen sein. Der Bahnhof Stuls steht unter Denkmalschutz, sein Nachbau in Miniaturformat hat deshalb einen besonderen Reiz.

Bahnfans und Berufsleute
Zehn Module werden schlussendlich gebaut, wobei jedes Modul einem Kind zugeordnet wurde. Um die Anlage zu berappen, suchen die Modulbaufreunde der Rhätischen Bahn noch Gottis und Göttis, die jeweils ein Modul finanzieren. Sowieso ist der Verein auf Sponsoren angewiesen. Nur so sei es möglich, lediglich 60 Franken Mitgliederbeitrag von den Kindern und Jugendlichen pro Jahr zu verlangen. Das möchte der Präsident so aufrechterhalten, denn ihm ist es wichtig, dass jedes interessierte Kind Teil des Vereins werden kann. Die RhB sei dabei seit Jahren eine wichtige Unterstützerin, wie Willy Hartmann sagt. Sie stellt Pläne und Infrastruktur zur Verfügung und vermietet das Vereinslokal zu einem niedrigen Preis. Die Mitglieder des 1991 gegründeten Vereins waren anfänglich unentgeltlich im Parterre des heutigen Präsidenten in Malans einquartiert. 2006 konnte der Verein im alten RhB-Depot «Sand» in Chur einen Lagerraum für seine Module beziehen, den man aber 2019 wegen Umbau des gesamten Areals verlassen musste. «Grosszügigerweise bot uns die RhB die alte Kantine in Landquart und die darüber liegende Wohnung an, in der wir heute arbeiten und sämtliche Module lagern», so der ehemalige Lokführer. Der Bastelraum in Malans benötige man nun nicht mehr, da in Landquart alle Tätigkeiten unter einem Dach durchgeführt werden könnten.
Übrigens gehöre alles Material, auch das Fahrmaterial, dem Verein, sodass jedes Mitglied mit allen Zügen fahren könne. Privates Fahrmaterial darf nur mit Sonderbewilligung auf der Anlage gefahren werden.
Das Ziel des Vereins ist klar: Durch die Jugendförderung sollen Bahnfans, zukünftige Berufsleute und ÖV-Nutzende heranwachsen. Manches ehemalige Jugend-mitglied sei heute ein Bähnler, sagt Willy Hartmann mit Stolz. Er steht nun mitten in der Anlage, schaltet diese ein und dreht ein paar Runden mit der «Kleinen Roten». «Das ist schon toll», meint er mit einem Leuchten in den Augen. Für ihn gilt: einmal Bähnler, immer Bähnler.
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