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Touristen im eigenen Haus

An jedem Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) übergibt Davos zumindest einen Teil seiner Promenade an Auswärtige, die sie innert kürzester Zeit in eine Ausstellungsmeile globaler Ambitionen verwandeln.

Barbara
Gassler
24.05.22 - 17:00 Uhr
Kultur
Letztes Jahr war es «Caspian House» heuer ist es «Namibia House». Die Nutzer wechseln, nur Davos bleibt.
Letztes Jahr war es «Caspian House» heuer ist es «Namibia House». Die Nutzer wechseln, nur Davos bleibt.
zVg / Hannes Frigg

2020 dokumentierte der in Davos geborene Foto-Künstler Jules Spinatsch diese Umgestaltung und fasste sie in einem Buch zusammen: «Planetary Upgrade Piazza – Davos is a Verb». Im Januar hatte zum Jahrestreffen 2022 eine Ausstellung die Öffentlichkeit wie auch die WEF-Teilnehmenden mit den Bildern konfrontieren sollen. Nun, das Resultat ist bekannt: Das Jahrestreffen wurde verschoben, die Ausstellung und die dazugehörigen mit Bildern aus dem Buch bezogenen Würfel blieben den Hiesigen vorbehalten. Diese Woche ist die Ausstellung in leicht veränderter Form – beeinflusst durch den Ukraine-Krieg – wieder geöffnet. Auf dem Arkadenplatz laden die überdimensionierten Würfel wieder zum Spielen und Wundern ein. Anschliessend, am 27. Mai, werden sie dann verkauft.

Der Umgang mit dem Megaphone stellte sich als eine der Schwierigkeiten des Abends heraus. Besonders Jules Spinatsch (l.) fehlt es noch an Übung. Jürg Grassl hingegen bescherrscht das Instrument.
Der Umgang mit dem Megaphone stellte sich als eine der Schwierigkeiten des Abends heraus. Besonders Jules Spinatsch (l.) fehlt es noch an Übung. Jürg Grassl hingegen bescherrscht das Instrument.
zVg / Hannes Frigg

Zur Wiedereröffnung am Samstagabend luden Jules Spinatsch und Jürg Grassl vom Forum «Bau und Kultur» zu einem Spaziergang durch die von vielen Werbelichtern beleuchtete «Global City» ein. Mit orangen Hüten als Erkennungszeichen machte sich die Reisegruppe, wie sie sich spielerisch nannten, auf, um das veränderte Davos zu erkunden. Immer mit einem frechen Spruch auf den Lippen führte Spinatsch der Promenade entlang. «2020 war hier Philipp Morris und fragte: ‹What are we doing here?› Offenbar haben sie inzwischen die Antwort gefunden. Denn sie fehlen heuer.» Wann diese Umwandlung angefangen habe, wird in der Gruppe diskutiert. Die Antwort liefert Jürg Grassl: «Das muss ungefähr fünfzehn Jahre her sein. Vorher tendierten Ladenbesitzer eher dazu, sich zu verbarrikadieren. Zu erschreckend war die Erfahrung der Mc-Donalds-Filiale im Hotel Parsenn, der die Scheibe eingeschlagen wurde.»

Ute Haferburg erklärt Sicherheitskräften den Sinn des Spaziergangs.
Ute Haferburg erklärt Sicherheitskräften den Sinn des Spaziergangs.
zVg / Hannes Frigg

Erste Kontrolle

Die Reisegruppe ist gross und laut genug, dass sie ein erstes Mal die Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte erregt. Während Ute Haferburg, Geschäftsführerin des Kulturplatzes, die Polizisten von der Harmlosigkeit der Gruppe überzeugt – «Wir machen hier Kultur» – verwickelt Spinatsch die Empfangsdame beim Eingang zu den ehemals legendären Treffpunkten Cabanna und Cava in ein Gespräch und erreicht, dass die Touristen staunend in die völlig veränderte Unterwelt mit Namen «Medical Psychedelic House of Davos» eintreten dürfen. «Immerhin», erklärt der immer mit Hintergrundinformationen bereitstehende Grassl, «wird die Lokalität nur noch während des WEF betrieben.» «Hier lernte ich meinen Ex-Mann kennen», kommentiert eine Besucherin, «Hier holte ich meine Kinder raus», eine andere. Die psychedelische Welt ist jedoch zu fremd, die Atmosphäre zu anders, schnell streben die Besucher wieder dem Ausgang zu. Denn draussen gibt es noch viel zu sehen. Spinatsch vergleicht die Aktualität mit den Bildern, die er aus seinem Buch im Kopf hat, weist auf fehlende oder umgezogene Firmen hin. «Die Stadt ist erwacht, sie sieht nun aus wie ‹a City that never sleeps›, kommentiert Grassl.

Lauter Hutträger und doch völlig andere Welten: Die Besucher im Cabanna.
Lauter Hutträger und doch völlig andere Welten: Die Besucher im Cabanna.
zVg / Hannes Frigg
Schöne Botschaften, «allein, es fehlt der Glaube».
Schöne Botschaften, «allein, es fehlt der Glaube».
zVg / Hannes Frigg

Eine Art Revenge

Eine umgekehrte Welt erkennt Spinatsch beim ehemaligen «Russia House», das zum «Russia War Crime House» umbenannt wurde. «Während Russland die Ukraine besetzt, übernimmt hier die Ukraine das russische Haus.» Zu guter Letzt erreicht die Reisegruppe noch das Schweizerhaus. Dort hatte Spinatsch 2014 die Kamera montiert, mit der er im Zyklus «Temporary Discomfort» ein viel beachtetes Werk schuf. Es ist aus 2000 Einzelbildern zusammengesetzt, zeigt das Kongresshaus und hängt nun im Landratssaal. Erneut gilt es, den dort stationierten Polizisten die Mission zu erklären. Auf Französisch dieses Mal. Doch auch hier gelingt das Unterfangen. Einzig die Zeitvorgabe von zwei Stunden schaffte man nicht ganz einzuhalten.

Einst wurde «Swiss Alp Fantasy» als letztes Bollwerk gegen den Kommerzialismus gefeiert. Doch auch dieses ist inzwischen gefallen. Zumindest mit einer guten Botschaft: «Ändere dich, damit es unser Klima nicht tut».
Einst wurde «Swiss Alp Fantasy» als letztes Bollwerk gegen den Kommerzialismus gefeiert. Doch auch dieses ist inzwischen gefallen. Zumindest mit einer guten Botschaft: «Ändere dich, damit es unser Klima nicht tut».
zVg / Hannes Frigg
Seit 1987 bis vor wenigen Jahren hing dieses modifizierte Porträt des letzten sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow im Restaurant Scala. Im Zuge einer Renovation musste es den Platz räumen. Spinatsch stöberte es wieder auf und verschaffte dem Vater der « Perestroika » und Gegenentwurf des jetzigen russischen Präsidenten bis zum 27. Mai einen Auftritt im Kulturplatz.
Seit 1987 bis vor wenigen Jahren hing dieses modifizierte Porträt des letzten sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow im Restaurant Scala. Im Zuge einer Renovation musste es den Platz räumen. Spinatsch stöberte es wieder auf und verschaffte dem Vater der « Perestroika » und Gegenentwurf des jetzigen russischen Präsidenten bis zum 27. Mai einen Auftritt im Kulturplatz.
zVg / Hannes Frigg
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