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Das andere Ich

Nach einem geglückten und klangvollen Eröffnungswochenende bietet das Programm dieser Woche viele weitere Ent­deckungen, und die Installation «All the Lives» lädt ein, sich selbst auf ganz andere Weise zu entdecken.

Davoser
Zeitung
09.08.22 - 12:18 Uhr
Kultur
Oboistin Natalia Auli ist wieder am Mittwoch, 10. August, auf der Schatzalp zu erleben.
Oboistin Natalia Auli ist wieder am Mittwoch, 10. August, auf der Schatzalp zu erleben.
zVg Frédéric Abramson

Janusköpfig geht es für das Davos Festival weiter. Der römische Gott, der zwei Gesichter hatte, schaute nach vorn und gleichzeitig zurück, sieht die Wahrheit und macht gleichzeitig gute Miene zum bösen Spiel. Derart zwiegespalten waren auch die Komponisten, deren Musik im Konzert am Dienstag, 9. August erklingt. Was sie schrieben, passte dem sowjetischen Regime nicht. Aleksandr Mosolow, Bohuslav Martinu galten als nicht konform und mussten dafür um ihr Leben fürchten. Auch Edison Denisow schrieb «zu westlich-avantgardistisch». Vor diesem Hintergrund hört man Andrzej Cieplinskis Interpretation seiner Klarinettensonate noch respektvoller, ein ner-vöses und gleichzeitig aufregendes Werk.

Deep Fake zum Ausprobieren

Als «Anti-Selfie» bezeichnet die Medien-Künstlerin Paulina Zybinska, was das Publikum je eine Stunde vor Konzertbeginn im Kongresszentrum in ihrer immersiven Ausstellung «All the Lives: Faketual Reality» erwartet. Jede und jeder begegnet hier sich selbst, in einer künstlich erzeugten Realität zwischen Idylle und Zukunftsort. Künstliche Intelligenz macht es möglich, aus einfachen Stimmproben und Bildaufnahmen zu errechnen, wie zum Beispiel ein junger Mensch im Alter aussehen könnte. «Viele maschinellen Lern-Algorithmen sind heute fähig, Bilder zu schaffen, die kaum zu unterscheiden sind von unserer wirklichen Imagination», erklärt Zybinska, die «Deep Fakes» an der Zürcher Hochschule der Künste erforscht. «Natürlich kann diese Technologie sehr destruktiv eingesetzt werden.» Gefälschte Videos oder Sprachaufnahmen werden bereits eingesetzt, um reale Personen zu diskreditieren. «Aber mit Hilfe von ‹Machine Learning› werden wir Hilfsmittel erstellen können, die zum Beispiel Menschen mit Hör- oder Seh-Einschränkungen dabei unterstützen, sich in der Welt zu bewegen. Ich bin überzeugt davon, dass auf Künstlicher Intelligenz basierende Tools schon bald als Assistenten der eigenen Kreativität gesehen werden und nicht als deren Zerstörer.» In der Ausstellung begegnet das Publikum kritisch den eigenen Wunschvorstellungen. «Die künstlich erstellten Videos zeigen nicht das Ideal, als das wir uns darstellen wollen, sondern das komplette Gegenteil.» Sie sollen die Besucherinnen und Besucher aufrütteln und zum Nachdenken bringen: Was macht mich eigentlich aus? Und wofür stehe ich?

Barockkonzert und Walliser Sagen

Im Mittelalter stand weniger das Individuum im Mittelpunkt des Denkens als der schöne Schein des eigenen Verhaltens. Barocken Lügen, Moralvorstellungen und unsicherer Urheberschaft spürt das Barockensemble Noxwode aus London in seinem Konzert am Mittwoch, 10. August, in der Kirche St. Johann nach, «in einem unerhörten Programm», schwärmt Intendant Marco Amherd. «Bei Conor Gricmanics und seinem Ensemble klingt barocke Musik nicht alt, sondern fast zeitgenössisch und riecht nach frischer Tinte.»

Seit der Ausstrahlung der SRF-Serie «Tschugger» sind Klischees über das Wallis wieder in aller Munde. Das Abendkonzert am Donnerstag, 11. August, auf der Schatzalp aber schaut auf einen Schatz des Kantons. Im Wallis hat das Erzählen von Sagen eine lange Tradition. Bevor das «Elektrische» und mit ihm ­Radio und Fernsehen die Wohnstuben ­eroberten, war der «Abusitz» im Oberwallis der beliebteste Zeitvertreib. «Bozugschichte» (Geistergeschichten) werden an diesem Abend erzählt, die an manchen Orten im Oberwallis auch Lugine (Lügen) heissen. Die passende Gruselmusik kommt von Saint-Saëns, Dvorák und André Caplet mit seiner «Conte fantastique», ideal besetzt mit dem Streichquartett Eos und der Harfenistin Marika Cecilia Riedl. Spätestens hier werden die Ohren gerüstet für den fast schon traditionellen Festival-Entdeckertag am Freitag, 12. August, an dem Besucherinnen und Besucher einen Tag lang die ganze Programm- und Formatvielfalt am Davos Festival ausprobieren und erleben können: Offenes Singen, zwei Offene Bühnen in St. Theodul und am Bahnhof Davos, Konzerteinführung und das Abendkonzert «Mythos Davos» zum Ticketpreis von nur 20 Franken.

Zum Barockkonzert lädt das Noxewode Ensemble am Mittwoch, 10. August, in die Kirche St. Johann ein.
Zum Barockkonzert lädt das Noxewode Ensemble am Mittwoch, 10. August, in die Kirche St. Johann ein.
zVg Ben Tomlin

Alle Infos, das ganze Programm und ­Tickets auf www.davosfestival.ch

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