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Geschichten über reale Verbrechen zeigen menschliche Abgründe

Der US-Schweizer Autor und Anwalt Daniel Levin beschreibt in seinem neuen Buch die Suche nach einer vermissten Person. Es ist ein Sachbuch, das sich wie ein Thriller liest. Solche True Crime-Geschichten erzählen eine reale Begebenheit.

Agentur
sda
19.01.23 - 11:02 Uhr
Kultur
Der US-Schweizer Daniel Levin ist eigentlich Anwalt und Berater. Was er beruflich erlebt, verwandelt er in True Crime-Geschichten. So auch "Zwanzig Tage": eigentlich ein Sachbuch über den Nahen Osten, das sich liest wie ein Thriller.
Der US-Schweizer Daniel Levin ist eigentlich Anwalt und Berater. Was er beruflich erlebt, verwandelt er in True Crime-Geschichten. So auch "Zwanzig Tage": eigentlich ein Sachbuch über den Nahen Osten, das sich liest wie ein Thriller.
Handout: Roland Korner / Close Up AG

Paul Blocher ist verschwunden. Der junge Mann reiste über die Türkei nach Syrien, wo sich scheinbar jede Spur des Abenteurers verliert. Sein Vater versucht alles, um herauszufinden, was mit ihm geschehen ist, und bittet einen Freund mit Kontakten in den Nahen Osten um Hilfe. Dieser wiederum wendet sich an Daniel Levin.

So beginnt die Suche nach Paul Blocher, die den US-Schweizer Anwalt und Autor nach Istanbul und Beirut führt. Eine Suche, die Levin an seine Grenzen bringt. Davon erzählt er in seinem neuen Buch «Zwanzig Tage. Die atemlose Jagd nach einer vermissten Person im Nahen Osten» (erscheint am 23. Januar). Was sich liest wie ein Thriller, ist so passiert. True Crime eben.

In der Literatur versteht man unter True Crime formal ein Sachbuch, das einen realen Kriminalfall nacherzählt. Während sich Levin akribisch an der Realität orientiert, weben andere True-Crime-Autorinnen und -Autoren auch Fiktionales mit ein.

Grosse Bekanntheit erlangte mit diesem Genre der deutsche Anwalt Ferdinand von Schirach; seine Kurzgeschichten und Kriminalromane basieren auf wahren Fällen. In der Schweiz gibt beispielsweise Christine Brandt Verbrechen, denen sie als Gerichtsreporterin begegnet ist, einen fiktionalen Rahmen.

Dringlichkeit realer Geschichten

Daniel Levin beruft sich beim Schreiben auf seine Erfahrungen als Anwalt und Berater. Er wuchs als Diplomatensohn in Afrika und im Nahen Osten auf, studierte in Zürich und New York Jura und unterstützt als Nahost-Experte Regierungen und Institutionen bei politischen und wirtschaftlichen Reformen.

Das Interesse an Geschichten, die wirklich passiert sind, scheint stetig zu wachsen. Filme, Dokuserien, Podcasts und Bücher, die entweder wahre Verbrechen behandeln oder auf solchen basieren, finden ein immer grösseres Publikum. Das bestätigt Helga Schuster gegenüber Keystone-SDA; sie ist Geschäftsführerin und Vertriebsleiterin beim Verlag Elster&Salis, der die Bücher von Levin herausgibt. «True Crime verspricht seltene Einblicke in die Hintergründe von Verbrechen. Wahren Geschichten sind oft eine besondere Dringlichkeit eigen, wenn die Autorinnen und Autoren auch aufklärerische Ziele verfolgen.»

So wie Daniel Levin. Es sei ihm beim Schreiben von «Zwanzig Tage» wichtig gewesen, menschliche Schicksale des Syrienkrieges einem breiten Publikum bewusst zu machen. «Journalistische Berichte und geopolitische Analysen gibt es zuhauf, aber diese werden nur von wenigen Menschen gelesen. Mein Ziel war es, einigen unsichtbaren Opfern dieser Gräueltaten ein Gesicht, eine Stimme zu verleihen, in einer narrativen Art, welche die Leser ihre Augen hoffentlich nicht abwenden lässt.»

Zweischneidiger Realitätsgehalt

Der Wahrheitsgehalt in True Crime-Geschichten sei es, der einen gleichzeitig abschrecke und anziehe, sagt der Zürcher Psychoanalytiker Olaf Knellessen. «Verbrechen sind Überschreitungen dessen, was menschenmöglich scheint. Die Wahrheit dieser wirklichen Verbrechen führt uns vor, wie sehr wir die Anlage zu ihnen gleichzeitig kennen, von ihr aber nichts wissen wollen.» True Crime-Literatur liefere in gewisser Weise die Erfüllung des Wunsches nach Unterhaltung mit unverfälschter Information, meint Daniel Levin. «Sie befriedigt das Begehren, von Spannung gefesselt zu werden und gleichzeitig etwas über die wirkliche Welt zu erfahren.»

Und Paul Blocher? Was mit ihm passiert ist, erfährt das Lesepublikum im bequemen Sessel. Für Daniel Levin war es Realität. Diese zwanzig Tage der Ungewissheit hätten sich angefühlt, als würde ihm jemand permanent den Kopf unter Wasser drücken, schreibt Levin im Vorwort. Und sagt: «All das aufzuschreiben, war für mich auch eine Therapie. Es hat mir geholfen, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.»*

*Dieser Text von Maria Künzli, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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