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Weiter Weg bis zur Gleichstellung in der Schweizer Kulturbranche

Gleichstellung in der Kultur scheint ein alter Hut. Doch das ist nur vordergründig so. Systematisch untersucht wurde das bis anhin nicht. Eine erste Vorstudie zeigt nun: Bis Frauen den Männern im Schweizer Kulturbetrieb gleichgestellt sind, gibt es noch viel zu tun.

Agentur
sda
23.06.21 - 09:30 Uhr
Kultur
Die Zürcher Rapperin Big Zis ist eine der wenigen Frauen, die ihren Weg in der Schweizer Musikszene machen und sich politisch für die Gleichstellung in der Branche einsetzen. Jetzt soll dieses kulturpolitische Ziel systematisch angegangen werden. …
Die Zürcher Rapperin Big Zis ist eine der wenigen Frauen, die ihren Weg in der Schweizer Musikszene machen und sich politisch für die Gleichstellung in der Branche einsetzen. Jetzt soll dieses kulturpolitische Ziel systematisch angegangen werden. …
Keystone/ALESSANDRO DELLA VALLE

Um die drei wichtigsten Befunde gleich vorweg zu nehmen: Frauen sind in Leitungspositionen untervertreten. Künstlerinnen und ihre Werke sind weniger sichtbar und erhalten weniger Preise. Frauen verdienen weniger als Männer. Das ergibt eine erste Studie, die das Zentrum für Gender Studies der Universität Basel erarbeitet hat, im Auftrag der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und des Swiss Centers for Social Research. Diese Vorstudie wurde am Mittwoch veröffentlicht.

Grosse Unterschiede

«Die Befunde insgesamt erstaunen mich nicht», sagt Seraina Rohrer, Leiterin Innovation und Gesellschaft bei Pro Helvetia, gegenüber Keystone-SDA. «Was ich allerdings nicht erwartet habe, sind die grossen Unterschiede zwischen den künstlerischen Disziplinen.» Untersucht wurden die Geschlechterverhältnisse in den Darstellenden Künsten mit den Bereichen Theater und Tanz, in der Literatur, in der Musik bezogen auf klassische Musik, Jazz und Rock/Pop und in der Visuellen Kunst.

Auffällig wenige Solomusikerinnen schaffen es für Live-Auftritte auf die Bühnen: Rock-, Pop- oder Jazzmusikerinnen kommen auf einen Anteil von 9 bis 12 Prozent; in der klassischen Musik liegt ihr Anteil immerhin durchschnittlich bei 34 Prozent. Prekär ist die Situation auch für Künstlerinnen, die Malerei, Installationen oder Skulpturen ausstellen: In Gruppenausstellungen sind Frauen zu einem Drittel vertreten; aber bei Einzelausstellungen machen Künstlerinnen nur 26 Prozent aus.

Demgegenüber sind Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Autorinnen verschiedener literarischer Gattungen mit einem Anteil von 40 bis 50 Prozent aller Auftritte vergleichsweise knapp untervertreten. «Dabei sollte das Kulturschaffen doch ein Abbild der Vielfalt der Gesellschaft mit ähnlichen Anteilen der unterschiedlichen Geschlechter sein», sagt Rohrer.

Problemfeld Musik

Dabei geht es nicht nur um die Sichtbarkeit von Künstlerinnen bei öffentlichen Veranstaltungen, sondern es geht auch um die Frage, welche Funktionen Frauen ausüben. Frauen, die in Institutionen wie Kulturhäusern, Kulturbetrieben oder bei Festivals strategisch oder operativ etwas zu sagen haben, machen insgesamt einen Anteil von rund 30 bis 40 Prozent aus. Das scheint beachtlich, beispielsweise im Vergleich mit der Wirtschaft. Aber auch hier ist der Unterschied zwischen den Kultur-Sparten gross: In der Literatur gibt es mit 55 Prozent überdurchschnittlich viele Direktorinnen oder Intendantinnen, aber in den Musikinstitutionen verzeichnet die Studie keine einzige Frau auf dieser Stufe.

Rar sind zudem Regisseurinnen oder Dirigentinnen: bei 31 Prozent der untersuchten Theaterproduktionen führen Frauen Regie, in nur sieben Prozent der Konzerte stehen Frauen am Dirigentenpult. Noch schlechter sieht es bei der Urheberschaft von Werken aus: 15 Prozent der aufgeführten Theaterstücke haben Frauen geschrieben, zwei Prozent der gespielten musikalischen Werke stammen von Komponistinnen.

Veraltete Verhältnisse

Diese Studienergebnisse zeigen: Inhaltlich mögen zwar die grossen gesellschaftlichen Themen verhandelt werden, vordergründig erscheint die Kulturszene zwar als am Puls der Zeit, aber hinter den Kulissen herrschen Verhältnisse, die der Vergangenheit angehören. «Die Schweizer Kulturbranche verharrt in einer Struktur, in der nach wie vor die Vorstellung vom Künstler als Genie gilt, das zeigt die Vorstudie klar», sagt Seraina Rohrer. Sie meint damit das Bild, dass Kulturschaffende ihr ganzes Leben ihrer Kunst widmen, rund um die Uhr dafür verfügbar sind und Familien- sowie Betreuungspflichten an andere delegieren können.

Dem will Rohrer eine andere Vorstellung entgegensetzen - von «mehr Diversität», nicht zuletzt, weil «Frauen und Männer unterschiedliche Blicke auf die Welt» haben. «Dies ist heute aufgrund der strukturellen Diskriminierung noch nicht möglich», so Rohrer. Als Vertreterin der Kulturförderstiftung Pro Helvetia mahnt sie Handlungsbedarf in der Kulturbranche an, dort wo die Chancengleichheit von Frauen und Männern nicht gegeben ist oder wo Frauen zu wenig sichtbar sind.

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