×

Mist als Gold verkaufen

Nirgends wird so viel Mist zu Gold gemacht, wie auf LinkedIn.

06.07.22 - 16:30 Uhr
Bild Unsplash

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Als Millennial habe ich die Geburtsstunde der ersten sozialen Netzwerke mitbekommen. Ich hatte zwar keinen Myspace-Account und war auch nicht einer der Ersten auf Facebook. Das Phänomen «Social Media» habe ich aber in seinen Anfängen mitbekommen. Nach ersten Schrittchen auf StudiVz, dem damaligen Online-Netzwerk für Studierende, habe ich mich nach und nach auf den verschiedenen Plattformen umgesehen und auf der einen oder anderen auch registriert. Ich habe mich auf Facebook ziemlich ausgetobt, was mir die Plattform regelmässig mitteilt. «Du hast Erinnerungen, auf die du heute zurückblicken kannst», steht dann in meinem Feed. Hin und wieder (OK, ich geb’s zu: immer) schaue ich mir diese Erinnerungen an. Dabei entsteht bei mir regelmässig ein Kopfschüttelreflex. Unglaublich, wie viel seichten Bullshit ich in den vergangenen 15 (!) Jahren in die Timelines meiner Facebook-Buddies gespült habe. Ich klatsche mir regelmässig mit der flachen Hand auf die Stirn. Immerhin: Meine Reaktion zeigt mir, dass ich mich weiterentwickelt habe.

Nun hat sich Facebook in den letzten Jahren ja sehr zur Boomer-Plattform entwickelt. Junge Menschen sind heute kaum noch auf Facebook oder haben wohl nur noch einen Account, um mitzubekommen, was ihre Eltern und Grosseltern so treiben. Insta, Snapchat und TikTok sprechen die jüngere Generation eher an – und wer irgendwann ins Berufsleben einsteigt, landet früher oder später auf LinkedIn. Womit wir beim heutigen Thema wären.

LinkedIn ist ein Business-Netzwerk. Die meisten User stellen dort ihren Lebenslauf online – die erweiterte, digitale Visitenkarte sozusagen. Man findet Jobausschreibungen und bekommt mit, wenn jemand im eigenen Netzwerk eine neue Stelle sucht oder gefunden hat. Dann kann man, schön praktisch, mit der vorformulierten Gratulationsfloskel sein Wohlwollen kundtun. Zumindest war das bis vor ein paar Jahren so. LinkedIn war die professionellere Variante von Facebook. Kein Foodporn, keine gestellten Urlaubsbilder und keine Weisheiten mit dem Tiefgang einer Pfütze.

Das hat sich geändert. Heute ist die Plattform ein Pool sich selbst beweihräuchernder Narzissten. Da wird vollmundig und blumig über Herausforderungen (gerne auch Challenges. Man ist ja schliesslich Kosmopolit) und Meilensteine des eigenen (Berufs-) Lebens schwadroniert – und seien sie noch so irrelevant. Der Jobwechsel wird zum lebensverändernden Sprungbrett, der Scheissjob, den man gemacht hat, um sein Studium zu finanzieren, wird zur bereichernden Erfahrung, die man um keinen Preis missen will. Die stundenlange, sinnentleerte Sitzung wird mit dem Hashtag #lovemyjob verklärt oder man high-fived das eigene Ego, indem man sich selbst zum Geburtstag gratuliert. Erfolgreich neues Papier in den Drucker gelegt zu haben wird gefeiert, als habe man das Rad erfunden.

Beim Bewerbungsprozess wollen wir uns alle im besten Licht darstellen. Wir alle wissen, dass man sich selbst selten so ausgereift, clever und zielorientiert beschreibt, wie beim Verfassen eines Bewerbungsschreibens. Schwächen? Nur wenn sie bei richtiger Betrachtung als Stärke interpretiert werden können. Man ist perfektionistisch, kein klugscheissender Pedant. Man ist schlimmstenfalls ungeduldig, nicht gehetzt und schludrig. Man ist zielorientiert, kein erfolgsfixierter Misanthrop. Man wächst an jeder Herausforderung und lernt aus jedem Rückschlag. Schöne neue Welt.

LinkedIn scheint die Plattform geworden zu sein, auf der wir unsere persönliche Entwicklung breittreten, als gäbe es kein Morgen. Unter dem Motto «Personal Branding» wird das eigene Profil bis zur Unkenntlichkeit geschärft. Die löbliche Idee, sich weiterzuentwickeln, wird bis ins letzte Detail dokumentiert, jede noch so seichte Erkenntnis zur bewusstseinsverändernden Weisheit hochstilisiert.

«Bescheidenheit ist eine Tugend, die man vor allem an anderen schätzt», wusste der französische Offizier, Diplomat und Schriftsteller François VI. Duc de La Rochefoucauld schon im 17. Jahrhundert. Offensichtlich geht es mir ähnlich wie ihm. Ich fordere in knapp 500 Wörtern Bescheidenheit von anderen und lasse mich darüber aus, wie sich Menschen auf einer Business-Plattform selbst beweihräuchern. Was mich dazu legitimiert? Ich weiss es nicht. Wahrscheinlich nichts. Vielleicht liege ich ja auch komplett falsch und sollte in Problemen öfter Herausforderungen und in langweiligen Aufgaben öfter Möglichkeiten zum Wachstum sehen.

In diesem Sinne: Ich hatte grad zwei Wochen Ferien. Begonnen haben sie denkbar schlecht. Ich lag bei brütender Hitze mit Magen-Darm-Kapriolen im Bett oder sass auf dem Klo. Mit Paul Breitners Worten: «Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief´s ganz flüssig.»

Ich könnte das auf Linkedin als kurzzeitig lebensverändernde Erfahrung und Entschlackungskur für meinen Körper beschreiben, für die ich demütig dankbar bin.

Mist beschreiben, als wäre er Gold.

Obwohl – lieber doch nicht.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

Mist beschreiben, als wäre es Gold, darum stinkt Eigenlob zum Himmel. Endlich schliesst sich dieser Kreis. Das Marketing lebt schon seit Jahrzehnten von diesem Grundsatz.

Dieser Blog bestätigt meine Ansicht zu LinkedIn, besser könnte man es nicht beschreiben. Schon beim Lesen der ersten Feeds klebt mir der Schleim an den Füssen. Dabei bietet diese Plattform weit mehr, als 210 Zeichen Eigenschmalz. LinkedIn ist zur Prestigeangelegenheit geworden - man ist dabei, Punkt. Ich geb’s zu, die Feeds der Silver Surfer auf Facebook sind weitaus unterhaltsamer, weil sie halt frisch von der Leber kommen und mit mehr Ehrlichkeit gespickt sind. Da hat der goldige Mist noch richtig Herzblut.

Nun ja, jedem das Seine, spätestens wenn die Eigenlobdudler ihren Lovemyjob angetreten haben, landet das Gold wieder auf dem Misthaufen. Ehrlich währt am längsten.

Linkedin ist für viele eine sehr wertvolle Plattform. Gerade für Studienabgänger ist sie eine tolle Chance, sich im Arbeitskontext zu vernetzen, Kontakte aufzubauen und in der Business-Welt sichtbar zu werden.
Leider haben Sie mit Ihren Aussagen immer mehr recht. Ich feiere Ihre Worte zur Selbstbeweihräucherung und dem Verkaufen von Mist als Gold - da könnte ich gleich 7 der ersten 10 Posts in meinem Feed zitieren...
Am Ende dürfen wir aber auch hier nicht Schwarz-Weiss malen. Die Plattform kann immensen Wert bieten - nur die Inhalte finde ich je länger je unerträglicher... Beruhigend, dass es nicht nur mir so geht.