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Ein acht Quadratmeter grosser Held

27.04.20 - 04:30 Uhr
BILD PIXABAY
BILD PIXABAY

Das Zusammenleben der Sprachen und Kulturen in Graubünden: Das ist das Thema der Kolumne «Convivenza», die wöchentlich in der «Südostschweiz» und der romanischen Tageszeitung «La Quotidiana» publiziert wird.

Ich wollte wirklich etwas schreiben, was nichts mit dem Coronavirus zu tun hat. Auch wenn ich Journalistin bin, habe ich langsam die Nase voll, dauernd von diesem Coronavirus zu lesen und zu hören. Bei der Suche nach einem guten Thema für meine Kolumne habe ich mich allerdings schwergetan, sehr schwer.

Bei der Themensuche frage ich mich immer: Was kann ich aus meinem Leben erzählen? Welche Anekdote wäre passend? Was habe ich schon immer sagen wollen? Ich muss gestehen – in letzter Zeit war mein Leben sehr eintönig, fast langweilig. Darum – es tut mir leid – geht es jetzt ein wenig um das Coronavirus. Aber wenn ihr bis hier gelesen habt, gebt nicht auf! Ich werde dieses Wort in diesem Text nicht mehr erwähnen. Versprochen!

Ich erzähle heute von meinem Balkon. Er ist acht Quadratmeter gross und im Moment mein Held. Ich wohne im Zentrum von Chur in einer kleinen Wohnung. Das Schönste an meiner Wohnung ist mein Balkon mit Abendsonne. Ich habe ihn sehr gemütlich eingerichtet, mit einem Tischchen, einer Lounge, ein paar Kerzen, und ich kann sagen – wenn noch Musik läuft –, dass ich auf meinem Balkon viele schöne Abendstunden verbringe. Man kommt schnell in Ferienstimmung.

Während meiner Zeit der Isolation schätze ich meinen Balkon noch mehr als sonst. Er ist ideal, um schnell aus den eigenen vier Wänden zu flüchten. Er ist der Ort, um die Sonnenstrahlen im Gesicht zu spüren, und der Ort, um in Kissen und Gedanken zu versinken. Der Ort, wo ich oft mit meinen Freunden telefoniere. Alles ohne schlechtes Gewissen und ohne das Haus verlassen zu müssen. Ich bin nämlich ein Mensch, der gerne Zeit in der Natur verbringt, mit meinen Hunden, in den Bergen. Deshalb fällt es mir schwer, so oft wie möglich daheim in meiner Wohnung zu bleiben.

Also – der Balkon ist und wird noch lange mein Retter sein. Er hat auch bereits viel Neues gebracht. Ich wohne in einem grossen Block mit vielen Wohnungen. Dank der Zeit auf dem Balkon habe ich meine Nachbarn von einer anderen Seite kennengelernt als nur wie beim kurzen Grüssen an der Tür. Ich habe vieles gehört: Zum Beispiel welche Serien die Enkelin meiner Nachbarin auf Netflix schaut – sie telefonieren abends via Skype. Zudem habe ich viele Wutausbrüche von einem Vater gehört, dessen Junge sich in die Hosen gemacht hat. Ich habe auch erfahren, dass eine Nachbarin die Ruhe geniesst, und ich kenne jetzt alle Namen der Nachbarskatzen. Das Nützlichste ist allerdings, dass ich mein Italienisch verbessert habe, weil eine Familie immer Deutsch und Italienisch spricht.

Alle Blockbewohner sind auf ihren acht Quadratmetern für sich, hören Musik und reden miteinander. Gemein ist uns wahrscheinlich die Dankbarkeit für unseren Balkon. Diesen Sommer wird das vermutlich noch oft so sein, und ich stelle mich bereits auf viele Abende auf «Balkonien» ein. Und – davon bin ich überzeugt: Spätestens jetzt will niemand mehr in einer Wohnung ohne Balkon oder ohne Garten wohnen.

*Bettina Cadotsch ist in Savognin aufgewachsen. Sie studiert Multimedia Production an der Fachhochschule Graubünden in Chur und arbeitet bei Radio Südostschweiz und «suedostschweiz.ch».

 

In erox dad otg meters quadrats

Jau hai propi vulì scriver insatge che n’ha da far insumma nagut cun il coronavirus. Era sche jau sun schurnalista, hai jau plaunsieu pli che avunda da leger e d’udir da quest coronavirus. Cun ponderar tge che fiss in bun tema per mia columna hai jau però fatg grev a mamezza, fitg grev.

Cura che jau fatsch patratgs davart in tema per mes text, ma dumond jau adina: tge as poss jau raquintar da mia vita? Tge anecdota fiss adattada? Tge hai jau gia adina vulì dir? Jau stoss conceder – mia vita è stada l’ultim temp fitg monotona, prest lungurusa. Per quel motiv – i ma displascha – vai uss in zichel per il coronavirus. Ma sche vus avais legì fin qua, betg dar si! Jau na menziun betg pli quest pled en quest text. Empermess!

Jau as raquint oz da mes balcun. El mesira otg meters quadrats ed è il mument mes erox. Jau abit en il center da Cuira en ina pitschna abitaziun. Il pli bel da mia abitaziun chat jau il balcun che ha sulegl da la saira. Jau al hai endrizzà fitg cumadaivlamain cun ina maisina, ina lounge, in pèr chandailas ed jau poss dir – sch’i va anc musica – che jau passent bleras bellas sairas sin mes balcun. Ins survegn spert il sentiment da vacanzas.

Durant mes temp da l’isolaziun stim jau mes balcun anc pli fitg che uschiglio. El è ideal per svanir svelt or da las atgnas quatter paraids. Il lieu per sentir ils radis da sulegl en fatscha ed il lieu per sfundrar en ils plimatschs ed en ils patratgs. Il lieu, nua che jau telefon savens cun mes amis. Tut senza nauscha conscienza e senza stuair bandunar la chasa. Jau sun numnadamain in uman che passenta gugent temp en la natira, cun mes chauns, en las muntognas. Da star uschè bler sco pussaivel a chasa en in’abitaziun è per quel motiv grev per mai.

Damai – il balcun è e vegn anc ad esser ditg in spendrader. El ha era gia purtà bler nov. Jau abit en in grond bloc cun bleras abitaziuns. Cun star sin balcun hai jau emprendì d’enconuscher la glieud da mes bloc dad in’autra vart che mo cun salidar curtamain sin isch. Jau hai udì dal tut: per exempel tge serias che la biadia da la vischina guarda sin Netflix – ellas telefoneschan la saira ensemen per Skype. Vinavant hai jau udì bleras ravgias dad in bab, perquai che ses mattet ha fatg en las chautschas. Plinavant sun jau vegnida a savair ch’ina da mias vischinas giauda il ruaus ed jau sai ussa co ch’ils giats da tut mes vischins han num. Il pli nizzaivel che jau fatsch è da meglierar mes talian, perquai ch’ina famiglia discurra adina tudestg e talian.

Tuts en mes bloc èn per sasezs sin ils otg meters quadrats, taidlan musica ed han lur discurs. Probablamain essan nus tuts engraziaivels per il balcun. Quai vegn mettain ad esser questa stad anc savens uschia ed jau ma prepar mentalmain gia sin bleras sairas sin «balkonien», sco quai ch’ins di era. E – da quai sun jau persvasa: il pli tard uss nagin che na vul pli star en in’abitaziun senza balcun u senza iert.

*Bettina Cadotsch è creschida si a Savognin. Ella studegia Multimedia Production a la Scola auta spezialisada dal Grischun a Cuira e lavura tar Radio Südostschweiz e «suedostschweiz.ch».

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An die Somedia,
da es sich hier um Ihre Angestellte bzw. Ihre Zeitung handelt, wende ich mich gleich an die Somedia mit meinem Vorschlag, die Outputs doch mehr zu reflektieren, zumal bereits der weit und breitest durch Sie seit Jahren publizierte Enthusiasmus eines gewissen Dario Morandi für «brüllende, aufheulende» Dezibeltuned-Motoren in der «Nacht» hohe Wellen via Leserbriefe warf (und zumal seit Jahren ebenfalls in Ihrer Postille über Einsätze der Stadtpolizei gegen entsprechende Lärmrowdies berichtet wird).
Es geht hier nun also um Bettina Cadotsch, die, wenn ich sie richtig verstehe, offenbar trotz «Eintönigkeit, fast Langeweile» sich dennoch ein Thema quasi aus den Fingern saugend an den Haaren herbeiziehen will, so dass es aber trotzdem epochal klingen mag wie «Was ich schon immer habe sagen wollen». Eine – falls ich meine unbedeutende Fachmeinung hier piepsen darf – etwas ein bisschen fulminant kopfstehende Voraussetzung für Schriftstellerei, wie mich dünken mag.
Zumal das Ganze der Logik entbehren dürfte:
1)
Einerseits die Grundsituation (sie wohne «in einem grossen Block mit vielen Wohnungen» und Acht-Quadratmeter-Balkon, was meinem Begriff «Hühnerbatterien-Massenmenschenhaltung» sinnnah entsprechen dürfte), wo sie «dank der Zeit auf dem Balkon» ihre Nachbarn von einer anderen Seite kennengelernt habe (als nur wie beim kurzen Grüssen an der Tür). «Ich habe vieles GEHÖRT: Zum Beispiel welche Serien die Enkelin meiner Nachbarin auf Netflix schaut – sie telefonieren abends via Skype. Zudem habe ich viele Wutausbrüche von einem Vater gehört, dessen Junge sich in die Hosen gemacht hat. (…) und ich kenne jetzt alle Namen der Nachbarskatzen. Das Nützlichste ist allerdings, dass ich mein Italienisch verbessert habe, weil eine Familie immer Deutsch und Italienisch spricht.»
2)
Andererseits schreibt die Autorin: «Ich habe auch erfahren, dass eine Nachbarin die Ruhe geniesst», und fasst diesen offensichtlich diametralen Widerspruch gleich auch noch in ein und demselben Satz zusammen: «Alle Blockbewohner sind auf ihren acht Quadratmetern FÜR SICH, hören Musik und reden MITEINANDER.»

Meine Konklusion:
1)
Es gibt tatsächlich Balkone, die aufwendiger möbliert scheinen als Wohnzimmer, Zitat: «Ich habe ihn sehr gemütlich eingerichtet, mit einem Tischchen, einer Lounge, ein paar Kerzen», wo noch Musik läuft und das der Ort sei, wo sie oft mit ihren Freunden telefoniere.
2)
Das Internet ist voll von Leidklagen der Opfer affektierter Beschallung ihres in der Werbung als «My Home Is My Castle» – notabene teuer – vermieteten Asyls, «Last Resorts» insbesondere für Schwerkranke, die nichts als (naturphysiologische) Stille benötigen, während die NZZ «Akustische Gewalt» thematisierend auch die Handies von «Nachbarn» im öffentlichen Raum alias Öffentlichen Verkehrsmitteln zu Recht geisselte als Plage.
3)
Ich finde den gesetzlichen Lärmschutz 1) ungenügend bzw. einen lauwarmen Kompromiss und 2) sehe oft nicht einmal diesen realisierbar (Beispiele: Bolgenplaza und Brigels, wer kann den Weg bis vor Bundesgericht finanziell und kräftemässig stemmen und vor allem, wer kann beispielsweise 15 Jahre warten, und anschliessend immer noch nicht befriedet sein wie in Bolgenplaza).
Das heisst, den Opfern wird strukturell/insgesamt wenig bis nicht geholfen, so erlebe ich es; ich arbeite seit über fünf Jahren zu dieser Problematik.
Mich bewegen empirisch verifiziert einzig die menschlichen Schäden.
Nebenbei könnte man aber auch den volkswirtschaftlichen Leerlauf betrachten; gibt es eigentlich keine wissenschaftliche Arbeit zum Thema, was dieses Rambazamba-Tohuwabohu an Privat- und Steuergeldern vernichtet (Gerichte, Polizeieinsätze) und insbesondere an Spital- und ReHa-Kosten (WHO), was praktisch alles vermeidbar wäre, wenn man sich endlich meines Vorschlags der Fraktionierung/Melioration (Ordnung!) erbarmen würde (denn im Mischmaschmixer /«alle in einen Topf» KÖNNEN Sie nicht allen gerecht werden, Spektrum/Amplitude sind viel zu gross)?
https://turnaround-to-eden.webnode.com/
Bettina Cadotsch möchte ich fragen, ob Sie nicht einen Blick ins Polizeigesetz der Stadt Chur erwähnen könnte, insbesondere was Geräuschemissionen ausserhalb der eigenen vier Wände bei geschlossenen Fenstern und Türen betrifft.
Theoretisch finde ich, Bettina Cadotsch, alle, sollen so lärmend leben dürfen, wie sie wollen – vorausgesetzt, dass niemand darunter leidet: dass WAHLFREIHEIT (Zuflucht) gewährleistet ist – und das ginge folgendermassen (Prinzip: Gleichgesinnte. Zitat aus einem Vermieterprospekt: «Bei uns werden Sie als Mieter nicht einfach mit anderen Mietern in einem Haus zusammengewürfelt. Sie sind uns wichtig und sollen sich wohl fühlen. Deshalb achten wir darauf, dass sich Gleichgesinnte in einem Haus wiederfinden.»):
Lösung, die alle (Schallfans und Stillebedürftige) glücklich machen würde:
https://www.suedostschweiz.ch/politik/2015-06-16/tinizong-will-sich-sex…
Wahlmöglichkeit
In der Natur gibt es keinen "Durchschnitt", sondern sehr unterschiedliche Lebens"substrate" (Standorte), für jede Pflanze und jedes Tier das Richtige.
Nur der Mensch kann kaum aussuchen beim Wohnen, überall treffe ich denselben Einheitsbrei. Und so haben auch die "World Café"-Diskussionen zur Planung von Chur-West wohl wenig Sinn, wenn man am Schluss aus den Wortmeldungs-Polen "Biotop autofrei" und "Asfalt/Autos überall" den "demokratischen Durchschnitt" mixt.
Stattdessen müsste man (gemäss Naturvorbild) fraktionierend eine Region mit diesem, eine Region mit jenem anbieten - das dann aber möglichst pur. Einzig so haben Einwohner und Touristen die - Wahlmöglichkeit!