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Ich warte, bis ich dank den Videospielen «komplett verblöde»

Computerspiele faszinierten mich schon früh. Meine Zeit mit der elektronischen Unterhaltungsindustrie musste ich mir aber fest erkämpfen.

31.08.22 - 16:30 Uhr
Nichts ist unmöglich: Die fast grenzenlose Freiheit in «Die Sims 2» faszinierte mich als Kind.
Nichts ist unmöglich: Die fast grenzenlose Freiheit in «Die Sims 2» faszinierte mich als Kind.
Screenshot EA Games

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Ich glaube, angefangen hat alles 1997 im Keller meiner Tante. Dort stand damals der einzige Computer in unserem Quartier. Und eines Abends zeigte mir meine Cousine, was ein Computerspiel ist. Konkret: Sie legte eine Schlumpf-Game-CD-ROM ein und stellte den Joystick auf den Tisch. Wenige Minuten später liess ich die blauen Männchen auf dem Bildschirm über Wasserpfützen hüpfen. Hier könnt ihr euch ab 2:20 anschauen, was ich meine:

Ich war fasziniert. Immer öfter besuchte ich meine Tante, nur um nach einem kurzen «hoi Tanti» mich in ihren Keller zu verdrücken und zu gamen. Meine Eltern sahen diesem Treiben kritisch zu. Immer wieder erzählten sie mir, solche Spiele würden mich nur «verblöden» lassen. Meine Tante sah dies anders und versuchte meine Eltern davon zu überzeugen, dass meine Freude am elektronischen Spielen etwas Gutes sei. Meine Eltern liessen sich irgendwann zu Lern-Computerspielen breitschlagen und kauften einen Computer mit Windows 98, den mein Vater sowieso brauchen konnte. Fortan verbrachte ich meine Freizeit mit Addy, einem Alien, das mir lesen, schreiben und rechnen beibrachte. Die Gameplay-Musik schüttet noch heute Dopamin in meinem Hirn aus.

Damit war der Goodwill meiner Eltern aber erst mal ausgeschöpft. Zwar hatte ich von meiner Tante zu Weihnachten einen Gameboy geschenkt gekriegt mit Mario Bros. und dem Schlümpfespiel, das ich bereits von ihrem Computer kannte. Aber meine «Gamezeit» war streng limitiert – zehn Minuten pro Tag. Wer sich mit den alten Gameboys auskennt, weiss, dass die Zeit, die das Gerät zum Aufstarten des Spiels benötigt, unvorstellbar lang war. So spielte ich jeden Tag etwa fünf Minuten Gameboy. Kein Witz. Ich sollte ja schliesslich nicht «verblöden».

Das virtuelle Puppenhaus

Einige Jahre später, als ich in der zweiten Klasse war, sprachen alle meine Mitschülerinnen und Mitschüler über «Die Sims». Ich konnte erst mal nicht mitreden, aber was dort erzählt wurde, liess mein Herz höherschlagen. Es ging um spielbare Familien, selbst eingerichtete Häuser, Berufe, denen nachgegangen werden muss, Einbrecher, Feuer, Drama … es hatte einfach alles. Ein Puppenhaus auf dem Bildschirm quasi. Bei Kolleginnen durfte ich hin und wieder virtuelle Lebensdramen durchspielen, meinen Eltern kam «en settige Schiisdräck» aber nicht ins Haus. Dies änderte sich erst 2004. Ich brachte ein wirklich herrliches Zeugnis der vierten Klasse nach Hause und hatte einen Wunsch frei. Mittlerweile besass ich einen eigenen Computer, aber abgesehen von meinen Lernprogrammen konnte ich ihn kaum nutzen. Ich ergriff meine Chance und wünschte mir das Computerspiel «Die Sims 2». Und wie durch ein Wunder willigte meine Mutter ein. Nicht aber ohne den Deal, dass meine Schulnoten weiterhin hervorragend bleiben mussten. Fortan wünschte ich mir zum Geburtstag und auf Weihnachten regelmässig Computerspiele. Stundenlang kämpfte ich als Harry Potter gegen verschiedenste von EA Games kreierte Monster, baute unbezahlbare Villen in «Die Sims 2» und ritt mit meinem Pferd Wendy durch virtuelle Wälder. Mein Taschengeld (drei Franken in der Woche, bis ich 16 Jahre alt war) sparte ich sorgsam und kaufte mir Spiele-Erweiterungen, eine neue PC-Maus und nach einem Sommerjob mit 17 sogar einen Gaming-Laptop. Mein Gameboy war jedoch seltsamerweise immer noch ein Tabuthema in unserem Daheim und irgendwann verschwand er unter mysteriösen Umständen.

Eigene Wohnung, eigene Regeln

Kurz nach meinem 19. Geburtstag zog ich daheim aus. Ich war zwar noch in der Ausbildung, dennoch gönnte ich mir eine Occasion-Playstation 3. Zum ersten Mal im Leben spielte ich ein Videospiel am Fernseher. Besonders angetan hatte es mir die Grand-Theft-Auto-Serie. Entsprechend gehypt erwartete ich den (leider immer noch aktuellsten) Release von GTA V im 2013. 

Nun, da ich mein eigenes Geld verdiene und meine eigene Wohnung habe (okay, zusammen mit meinem Mann), hält mich nichts und niemand mehr von den steuerbaren Pixeln fern. Im Gegenteil: Mein Mann schlägt mich regelmässig im «Mario Kart», schimpft wie ein Kesselflicker, wenn ich auf eine Runde «Worms Ultimate Mayhem» bestehe und feuert mich an, wenn ich mich in «Far Cry» durch die schier endlose Map kämpfe. Ich geniesse dies sehr. Und vielleicht habe ich etwas überkompensiert. In unserem Haushalt finden sich mittlerweile fünf Spielkonsolen, zwei Gaming-Laptops und eine dreistellige Anzahl von Games. Funfact: Wo mein Gameboy von damals abgeblieben ist, weiss ich bis heute nicht. Auch gilt es noch rauszufinden, wie viele Minuten ich täglich mit Videospielen verbringen muss, um tatsächlich «amene settige Schissdräck» zu «verblöden».

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