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Das Parlament hat ein notorisch schlechtes Gedächtnis

Andrea
Masüger
06.06.20 - 11:44 Uhr
SCHWEIZ SESSION NATIONALRAT
Jean-Luc Addor, SVP-VS, telefoniert, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 4. Juni 2020 im Nationalrat in einer Ausstellungshalle von Bernexpo in Bern. Damit das Parlament die vom Bundesrat verordneten Verhaltens- und Hygienerege

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Nächste Woche schlägt im Nationalrat wieder einmal eine Stunde der Wahrheit. Das CO2-Gesetz klopft an die Tür. Es geht um eine Art «Unendliche Geschichte» im Sinne des Romans von Michael Ende. Im Dezember 2018 wurde das Gesetz für mehr Klimaschutz in der grossen Kammer unrühmlich begraben, weil es den einen zu weit ging und den anderen zu wenig war. Erst das Klima-Wahljahr 2019 machte allen Beine, und der Ständerat stellte die Sache wieder in den Senkel.


Nun haben die Gegner aber ein grosses neues Argument: Corona! Das Virus habe die Wirtschaft derart gebeutelt, dass nun zusätzliche Belastungen für den Schutz des Klimas nicht mehr drinlägen, werden sie sagen. Falls dies nicht zieht, werden sie wenigstens einen Angriff auf die Flugticketabgabe starten: Man kann doch nicht die Swiss mit Corona-Krediten eindecken und ihr dann noch Klimakosten aufbrummen! Dieses Argument verfängt derzeit sogar bei den Freisinnigen, die sich ansonsten – diszipliniert von ihrer Präsidentin – relativ klimafreundlich zeigen.


Doch das Corona-Argument sticht nicht. Die Nachholeffekte beim Konsum und im Reiseverhalten werden die Erderwärmung noch verstärken. Eine Reduktion der Treibhausgase wird noch wichtiger und dringlicher. Und das Virus zeigt noch etwas anderes: Die Natur kann blitzartig zuschlagen, und wir sind jeweils schlecht gewappnet. Beim CO2 haben wir es immerhin in der Hand, die Folgen der Klimaveränderung abzuschwächen und die nötigen Massnahmen vorzubereiten. Insofern müsste uns Corona eine Lehre sein.


In der Nationalratsdebatte wird man auch den neuen Finanzmoloch beklagen, den das neue Gesetz gebiert. Es geht um eine Milliarden-Kasse, die durch den geplanten Klimafonds entsteht, und die aus der Sicht rechter Politiker bloss eine sozialistische Umverteilungsmaschinerie in Gang setzt mit staatlichen Eingriffen in die Energiemärkte und Verzerrungen der Marktmechanismen. Ein Greuel für alle aufrechten Fiskalpolitiker.


Und diese haben sogar recht. Das CO2-Gesetz tritt tatsächlich eine Finanzmaschine los, die Subventionen breit über das Land streut. Doch das Parlament hätte es schon vor Jahren in der Hand gehabt, das Problem mit einer eleganten und sauberen Lösung zu erledigen. Die damalige Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf wollte schon vor acht Jahren eine Lenkungsabgabe einführen, mit der die CO2-
relevanten Brenn- und Treibstoffe, also Benzin und Heizöl, erheblich höher belastet worden wären als heute.


Eine solche Abgabe entspricht der reinen Lehre: Das Problem, in diesem Fall die Treibhausgase, erhält einen hohen Preis, der den Verbrauch senkt. Die erzielten Einnahmen werden der Bevölkerung und der Wirtschaft zurückerstattet, wobei die Vielverbraucher gleich viel erhalten wie die Sparsamen, was Letztere belohnt. Das Ganze ist «fiskalquotenneutral», das heisst, die Steuerbelastung nimmt insgesamt nicht zu. Allen Liberalen müsste das Herz hüpfen angesichts eines 
solchen Vorschlags.


Wenn nun nächste Woche Nationalräte wortreich bedauern werden, dass man anstelle des schönen Modells der Lenkungsabgabe nun eine staatliche Steuermaschine anwirft, müssen sie sich an der eigenen Nase nehmen. Widmer-Schlumpfs Vorlage stürzte im Parlament sang- und klanglos ab. Ja, man war damals regelrecht erschrocken, dass nun jemand das Lehrbuch plötzlich in die Praxis umsetzen wollte. Vor allem die FDP, die in der Theorie immer solche Abgaben anstelle von Sparvorschriften und Fördertöpfen forderte, bekam kalte Füsse.

Deshalb hat die Schweizer Politik nun ein CO2-Gesetz, das sie verdient. Dieses nun mit einer Idee bodigen zu wollen, die man selber einst verworfen hat, wäre mehr als nur ein Schildbürgerstreich. Es wäre eine Bankrotterklärung.

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Andrea Masüger, wie ich ihn mir schon lange wünschte. Mit ihm ist es wie bei gutem Wein. Je älter desto besser. Endlich schreibt er neutral. Bei der Suedostschweiz angestellt habe ich von ihm stets politisch links stehende Texte gesehen, also dem allgemeinen Mainstream folgend. Die Mohrenkopfdebatte hat er klar erklärt und ich hoffe, dass einige Entgleiste es lesen und sich besinnen. Nur beim auch von Experten umstrittenen GRUND des Klimawandels denke ich anders. Zweifler werden mit dem Totschlagargument "Klimalügner" oder "Verschwörungstheoretiker" kalt gestellt. Das kann bis zum abschalten der Geldquelle gehen. Freie Meinungsäusserung adieu. Wenn es denn schon eine CO2-Steuer sein soll, dann muss es die fiskalquotenneutrale Lenkungsabgabe sein, wobei die Einnahmen der Bevölkerung und der Wirtschaft zurückerstattet werden. Damit wird CO2 eingespart, ganz im Gegensatz zu der Methode des Freikaufens mittels Obulus, wie man sich früher bei der Kirche der Sünden entledigte. So gesehen beim Kongresszentrum Davos. Der CO2-Ausstoss wird mit Geld kompensiert, welches an ein an und für sich löbliches Trinkwasserprojekt in Uganda geht. CO2 wird dabei aber nicht eingespart.