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«Ich trage meinen Rucksack schon selber»

Vom Langzeit-Singleleben, Kompromissen, Spaziergängen statt Stosslüften, Freunden und Familie, Rucksäcken und dem Tragen der selben.

Single
Bock
17.03.21 - 16:30 Uhr
PEXELS

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Wenn man sich als Langzeitsingle überlegt, ob man überhaupt bereit ist, eine Beziehung einzugehen, bespricht man das auch gerne mal mit Freunden und Familie. Zumindest tue ich das so. Ich trage mein Herz auf der Zunge und verarbeite Dinge, die mich beschäftigen, indem ich darüber spreche. Als ich letzthin mit einer guten Freundin darüber gesprochen habe, ob ich es nicht vermisse, in einer Beziehung zu sein, hatte das Thema einmal mehr zwei Seiten für mich. Einerseits gibt es da natürlich die Momente, in denen ich mich nach einer Frau sehne, der ich am Abend von meinem Tag erzählen kann und der ich gerne zuhöre, wenn sie mir von ihrem Tag erzählt. Andererseits ist mir bewusst, dass ich es mir in meinem Singleleben schon sehr bequem gemacht habe. In den vergangenen Jahren – ja, ich bin wohl der ewige Junggeselle – habe ich mich daran gewöhnt, alleine zu leben. Klar habe ich hin und wieder jemanden zu Besuch. Klar bleibt da hin und wieder eine Dame über Nacht – manchmal auch zwei Nächte. Ich merke aber auch, dass ich dann nach zwei Tagen jeweils auch froh bin, den Sonntagabend alleine verbringen zu können. Unabhängig davon, wie schön und toll das Wochenende mit Damenbesuch war. Der langen Rede kurzer Sinn: Eine Beziehung einzugehen, hat mit Kompromissen zu tun. Da waren sich auch die oben erwähnte gute Freundin und ich einig.

Wie sähen also diese Kompromisse aus? Ich könnte wohl nicht mehr ganze Wochenenden in Trainerhosen rumgammeln. Ich würde wohl öfter dazu angehalten, Altglas, Büchsen, Papier und Karton wegzubringen, statt sie im Estrich zu sammeln. Dafür würde ich wohl (Obacht: Klischee) gesünder leben, wenn ich eine Freundin hätte, die mir meinen Junkfood-Konsum austreiben und mich hin und wieder mit nach draussen nehmen würde. Denn: Rausgehen ist wie lüften, nur krasser – auch für den Kopf.

Das sind alles kleine Punkte. Kleine Kompromisse. Kleine Vor- und Nachteile, die eine Beziehung in meinen Vorstellungen für mein Leben hätte. Ein etwas grösserer Punkt sind meine Depressionen. Ich gehe seit mehr als zehn Jahren zu einem Psychiater und nehme Antidepressiva. Vergesse ich die Medikamente, merke ich spätestens nach zwei Tagen, wie meine kleine Welt etwas über mir zusammenbricht. Das ist ein Teil von mir. Mit meinen Dämonen muss ich selbst zurechtkommen. Es ist wunderschön, wenn jemand hilft. Voraussetzen kann und soll man das meines Erachtens aber nicht. Auch nicht in einer Beziehung. Ich trage meinen Rucksack schon selber.

Die schwereren depressiven Episoden in den vergangenen Jahren lassen sich an einer Hand abzählen. Das letzte Mal war das vor zwei Wochen so. Ich schaffte es nicht, mich zu irgendwas aufzuraffen, lag nur im Bett und konnte im Beruf in keiner Art und Weise meine Leistung erbringen. Was mir enorm geholfen hat, ist die Unterstützung, die ich aus meinem Umfeld erhielt. Es wurden keine Ratschläge erteilt. Niemand hat gesagt: «Reiss dich zusammen» oder «anderen geht es auch schlecht». Ich hatte jegliche Unterstützung, die ich mir wünschen konnte, damit ich mich in meiner Wohnung verkriechen und warten konnte, bis es mir wieder besser ging. Das ist meist so nach zwei Tagen der Fall.

So…und was ziehe ich jetzt für ein Fazit aus meiner Schreiberei? Es sind deren zwei:

Erstens: Ich habe die besten Arbeitskolleg*innen, Freund*innen und Familie, die man sich wünschen kann. Vielen herzlichen Dank!

Zweitens: Es ist löblich, seinen Rucksack alleine tragen zu wollen. Hilfe anzunehmen ist aber auch ok – und es tut gut zu merken, dass man von Leuten umgeben ist, die Hilfe bieten, wenn man sie braucht. Man MUSS seinen Rucksack nicht immer alleine tragen.

Wenn ich mich jetzt also selber frage, was ich an einer Beziehung am meisten vermisse: Eine Frau, der ich am Abend von meinem Tag erzählen kann und der ich gerne zuhöre, wenn sie mir von ihrem Tag erzählt – UND bei der ich weiss, dass ich meinen Rucksack selber tragen kann, sie aber da wäre, um zu helfen, wenn er zu schwer würde.

Passt auf Euch auf

Euer Singlebock

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