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Ich weiss doch auch nicht

Single
Böckin
04.11.20 - 16:30 Uhr
SYMBOLBILD/UNSPLASH

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Ganz ehrlich, ich tus meinem männlichen Kumpanen, dem Singlebock, gleich: Ich mag nicht mehr. Die vergangenen Coronameldungen verbunden mit den laschen Entscheidungen des Bundesrates haben dazu geführt, dass mein seelisches Befinden ein Kopfsprung ins dunkle Loch macht. Ums kurz zu fassen: Ich hab definitiv keine gute Zeit.

Damit werde ich aber wohl nicht alleine sein, ich denke mal den Meisten geht’s ähnlich wie mir. Ich bin in der sogenannten Blüte meines Lebens. Roaring twenties und so. Ich sollte eigentlich daten was das Zeug hält, neue Sachen ausprobieren, Risiko eingehen und dabei auf die Schnauze fallen, Fehler machen und nicht daraus lernen, verkatert neben fremden Personen aufwachen und das Leben mit all seinen Vorzügen geniessen. Stattdessen verkriech ich mich wieder in meine vier Wände und stopf mich mit Snacks voll, da mir die Energie zum Kochen fehlt, während auf dem Fernsehbildschirm zum vierten Mal Gilmore Girls flimmert. Nicht dass ihr mich falsch versteht, ich liebe Gilmore Girls, aber ich vermisse mein altes Leben.

Ich vermisse es, unbeschwert durch die Gassen von Chur zu schlendern und beschwingt meine Freunde zu umarmen, wenn sie mir spontan entgegenkommen. Ich vermisse es, bis spät in die Nacht mit einem Drink zu viel intus dumme Entscheidungen zu treffen, für die ich mich am nächsten Morgen verfluche. Ich vermisse es, dass sich Gespräche um andere Themen als das Virus drehen. Ich vermisse es, an den Wochenenden an Orte zu gehen, an denen ich noch nie oder schon tausendmal war. Ich vermisse es, mit bis zum Hals klopfendem Herzen neue Leute anzusprechen, weil das echt keine Stärke von mir ist.

Ich vermisse das Gefühl von Euphorie, wenn es dann mit neuen Leuten «Klick» macht. Ich vermisse Konzerte, die mich kurz von meinem Leben ablenken und mir ein Gefühl von Zugehörigkeit geben. Ich vermisse es, nicht jeden, der hustet reflexartig mit einem bösen Blick taxieren zu müssen. Ich vermisse es, ohne beunruhigendes Gefühl meine Grosseltern zu besuchen. Ich vermisse es, meine Liebsten zu mir einzuladen und während eines Abends mit gutem Essen, einer Flasche Vino und endlosen Gesprächen die Zeit zu vergessen. Ich vermisse es, als noch nicht überall «Bitte Abstand halten»-Sticker auf dem Boden klebten und Coronaplakate die Wände bedeckten. Ich vermisse mein altes Leben.

Ich bin müde. Coronamüde. Mein Durchhaltevermögen ist in etwa so gross, wie die Chance, dass die Situation sich bald bessert, nämlich winzig klein. Während der ersten Welle fand ich es fast noch aufregend. Voller Elan habe ich mich an die Massnahmen gehalten und mit ungebrochenem Optimismus daran geglaubt, der Spuk sei bald vorüber. Dass ich mir bald keine Sorgen mehr machen muss. Tja, lasst mich an dieser Stelle sagen, ich lag sowas von falsch. Die kommenden Monate werden für mich so richtig hart und es wird mir so einiges abverlangen, es durchzuziehen.

Trotzdem ist es jetzt wichtiger denn je. Ich schulde es allen, die unter der Krise mehr leiden als ich. Denen, die ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können und denen, deren Arbeit deutlich schwieriger geworden ist. Jedem einzelnen da draussen, für die oder den das Virus fatal enden könnte und auch mir selbst, da ich mir mein altes Leben zurückwünsche. Die Bedingungen dafür sind klar. Einhalten der Massnahmen und jetzt zurückstecken, damit es in Zukunft wieder aufwärts gehen kann. Ich klammere mich mit aller Hoffnung daran, dass im kommenden Jahr wieder vermehrt Normalität einkehrt.

Hofft und klammert mit mir, haltet euch an die Massnahmen und passt auf euch auf. Bleibt gesund und lasst uns zusammen diese Kacksituation ein zweites Mal überstehen. Ich werde versuchen die nächsten Blogposts das Thema Corona aus meinen Themen zu streichen und euch etwas Abwechslung zu verschaffen. Bis dahin: Masken auf und Hände waschen!

Eure Singleböckin

P.S. als Antwort auf die Frage des Singlebocks: Motivation finde ich in stumpfem Reality-TV (Bachelor ahoi!) sowie ausgedehnten Tanzeinlagen mit lautem Mitsingen zu Songs von vergangenen Jahren (OneDirection ahoi!) und Home-Workouts, zu denen ich mich mit aller Kraft zwingen muss (Pamela Reif ahoi!).

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