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Ab wann ist der Zauber vorbei?

Single
Bock
15.04.20 - 16:30 Uhr
Ab wann sind die Marotten des andern mehr zum Reintreten als zum Gernhaben?
Ab wann sind die Marotten des andern mehr zum Reintreten als zum Gernhaben?
PIXABAY

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

«Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne» heisst es in einem Gedicht von Hermann Hesse. Den Zauber basteln wir uns bewusst und unbewusst grösstenteils selbst – hat was mit Hormonen zu tun. Wenn wir jemanden neu kennenlernen – und toll finden – ist alles irgendwie rosa. Kleine Schwächen des Gegenübers werden ausgeblendet. Die grösseren Schwächen werden im inneren Dialog schöngeredet. Man(n) selbst sorgt natürlich dafür, dass in der verzauberten Anfangsphase auch möglichst keine Makel zu entdecken sind. Die Wohnung ist geputzt (und zwar so, dass man auf dem Küchentisch eine Operation am offenen Herzen durchführen könnte), aufgeräumt und ordentlich. Die Trainerhosen sind im Schrank versorgt, der WC-Deckel unten und das Bett frisch angezogen. Man(n) gibt sich Mühe, wirft sich in Schale, ist stets frisch rasiert und dezent parfümiert – kurz: Wir machen uns so attraktiv wie möglich. Und irgendwie sind wir uns auch bewusst, dass das unser Gegenüber, ob Männlein oder Weiblein, ebenso tut. So sind nun mal offensichtlich die Regeln des Spiels.

Wann aber setzen wir die hormonverblendete, rosafarbene Brille ab? Wann ist die Demoversion ausgelaufen, die Balzphase vorbei? Wann ist der Zauber weg? Und noch viel wichtiger: Was bedeutet das dann? Eine der grossen Bezahl-Single-Plattformen, die dem Namen nach etwas mit einem Schiff zu tun hat, hat das Thema abgehandelt und teilt eine (mögliche) Beziehung in fünf Phasen ein:

  • Phase 1 haben wir oben bereits kurz umrissen.
  • In Phase 2 verfliegt die hormonbedingte Wahrnehmungsstörung. Die Dame merkt, dass der Typ den WC-Deckel nicht (mehr) runterklappt und er merkt gleichzeitig, dass sie nicht jeden Tag ausschliesslich in Unterwäsche von «Agent Provocateur» verbringt.
  • Darauf folgt Phase 3, in der man versucht, das Gegenüber so hinzubiegen, wie man es sich in Phase 1 vorgestellt hat. In dieser Phase entscheidet sich dann wohl der eine oder andere Feigling zum Ghosting. Ich verorte die meisten Entscheidungen gegen eine Beziehung in dieser Phase. Eigene Erfahrungen? Bedingt! Ich würde ja sonst wohl auch nicht den Single-Blog schreiben, sondern mich mit meiner Freundin in unserem (Oster-)Nest wälzen.
  • In Phase 4 entscheide man sich, zu bleiben  trotz aller nicht änderbarer Mängel des oder der anderen.
  • Alles hat zum Ziel, Phase 5 zu erreichen. Da geht’s dann offenbar schon um den gemeinsamen Nestbau. Also kurz zusammengefasst: Haben wir Phase 3 durchgestanden, wird’s einfacher, wenn man dem Schiff-Onlineportal glauben kann.

Gefragt hatten wir (also ich) aber nun mal nach dem «wann»  und zwar konkret. Nicht anhand einer Fünf-Phasen-Theorie. Wir wollen wissen, nach wie vielen Wochen, Monaten oder – Gott bewahre – Jahren wir Phase 3 überstanden haben. Da bleiben Amors Online-Schiffskapitäne aber herzlich ungenau und ziehen sich mit einem lapidaren «…ist individuell verschieden» aus der Affäre. Immerhin: Für die Rosa-Brille-Phase geben sie sechs Wochen bis sechs Monate an. Herzlichen Dank für gar nichts. Vielleicht gibt’s eine Antwort, wenn man sich für teures Geld ein Abo gekauft hat. Es melde sich, wer ein solches hat.

Dabei wollte ich doch nur wissen, ab welchem Zeitpunkt ich meinen Klodeckel wieder hochklappen und am Wochenende oder abends wieder meine Trainerhosen anziehen darf, ohne dass ein allfällig vorhandenes Traumgeschöpf schnurstracks das Weite sucht. Ich bleibe also weiterhin ein Reisender zwischen den Phasen 1 und 3 und begebe mich regelmässig von Neuem aufs Glatteis. Ist ja auch schön: Den Hess’schen Zauber des Neuen findet man wohl nur dort.

In diesem Sinne: Liebe Damen, wir sehen uns beim Schlittschuhlaufen. Ich bin der in Trainerhose und Zauberhut.

Euer Singlebock

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