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Von der Demokratie (und der Sprachenvielfalt)

Das demokratische Verständnis ist ein Eckpfeiler unserer Gesellschaft, und doch scheint es mehr denn je in einer Krise zu stecken.

Südostschweiz
25.10.21 - 04:30 Uhr
Pixabay

Das Zusammenleben der Sprachen und Kulturen in Graubünden: Das ist das Thema der Kolumne «Convivenza», die wöchentlich in der «Südostschweiz» und der romanischen Tageszeitung «La Quotidiana» publiziert wird.

Von Marco Ambrosino 


Das demokratische Verständnis ist ein Eckpfeiler unserer Gesellschaft, und doch scheint es mehr denn je in einer Krise zu stecken. Ich beabsichtige nicht, Jean-Jacques Rousseaus einleitende Worte aus dem Werk «Vom Gesellschaftsvertrag» umzuschreiben, auch wenn mich die Widersprüchlichkeit dieser Tage daran erinnert. Die Demokratie ist das Zivilisierteste und Modernste, was unsere Gesellschaft – die westliche, wie ein Anthropologe präzisieren würde – hervorgebracht hat. Die Schweiz ist ein maximal gelungener Ausdruck davon: So wird in Zusammenhang mit unserem Land oft und gerne von einer «wahren direkten Demokratie» gesprochen, worauf wir – verständlicherweise – stolz sind.

Erst kürzlich aus Athen und von einem Besuch der schönen Akropolis zurückgekehrt sowie von den jüngsten, wenig ermutigenden Nachrichten über den Zustand der Demokratie in verschiedenen Teilen der Welt beunruhigt, stimmt mich Folgendes nachdenklich: Die Strahlkraft, die das beispielhafte Ideal des Perikles dazumal auf die Zivilisation hatte, scheint am Verblassen zu sein. Als hätte die Patina der Individualinteressen – um erneut ein von Rousseau geschätztes Konzept aufzugreifen – die anfänglich vorhandene Klarheit getrübt. Immer häufiger neigt die öffentliche Meinung dazu, sich in Lager aufzuteilen und die politische Debatte – oder «öffentliche Angelegenheiten», wie man zeitweise zu sagen pflegte – als eine Auseinandersetzung zu betrachten, und zwar nur selten mit Potenzial auf Begegnung oder Austausch, um etwas Nützliches für die Gemeinschaft zu schaffen. Der Pluralismus, ein ebenso demokratisches wie aus der Mode gekommenes Konzept, wurde so auf dem Altar des gesunden Menschenverstandes geopfert. Dabei sind nicht die Verliererlager die eigentlichen Opfer, sondern viel eher die Minderheiten – ja, auch die sprachlichen –, die sich an dieser ideologischen Auseinandersetzung erst gar nicht beteiligen können.

So könnte man die aktuelle Situation der sprachlichen Minderheiten in der Schweiz beschreiben, die sich weiterhin behaupten müssen (und das in der Vorzeigedemokratie schlechthin), um die Mehrheit an ihre Existenz zu erinnern, ohne damit eigene Belange durchzusetzen. Ein Beispiel hierfür ist die Reform «Kaufleute 2022», die zumindest im ersten Entwurf davon abriet, eine andere Landessprache zu erlernen. Oder auch die wiederholte Abwesenheit einer Vertretung der italienischsprachigen Minderheit in verschiedenen Organen des Kantons wie auch auf Bundesebene.

Aus genau diesem Grund ist es wichtig, die Ärmel hochzukrempeln und für einen inklusiveren und (auch in sprachlicher Hinsicht) pluralistischeren Staat einzustehen. Dabei sorgen Aktionen, die wie das «Manifest GR3» den Zusammenhalt zwischen den Sprachgemeinschaften im Kanton Graubünden stärken, für frischen Wind in Sachen demokratisch gelebte Sprachenvielfalt. Es ist ein steiniger und doch unumgänglicher Weg, damit sich die Schweiz, zumindest in sprachlichen Belangen, als wahre Demokratie behaupten kann.

Marco Ambrosino, Jahrgang 1992, hat an der Universität Freiburg den Master in Vergleichende Literaturwissenschaft und Allgemeine Geschichte erworben. Seit August 2020 arbeitet er als Kulturveranstalter für die Pro Grigioni Italiano im Bergell.

 

Sull’idea di democrazia (linguistica)

Di Marco Ambrosino

Il concetto di democrazia è uno dei cardini della nostra società, eppure mai come oggi esso sembra entrato in crisi. Non intendo parafrasare l’incipit del Contratto sociale di Jean-Jacques Rousseau, ma la natura paradossale di questi tempi un po’ me l’ha ricordato. La democrazia è quanto di più civile e moderno le nostre società – occidentali, mi ricorderebbe un antropologo – hanno prodotto; la Svizzera, in tal senso, ne rispecchia una delle massime espressioni: sentiamo spesso parlare del nostro paese come di una «vera democrazia diretta» e di questa cosa, giustamente, ci sentiamo orgogliosi.

Tornato da una recente visita ad Atene e alla sua bella Acropoli e sballottato dalle ultime notizie poco rassicuranti sul destino della democrazia da più parti nel mondo, qualcosa non mi torna: quel puro ideale che attorno alla figura di Pericle aveva illuminato quella civiltà oggi mi pare più sbiadito, come se la patina degli interessi individuali – riprendendo un concetto caro a Rousseau – ne avesse oscurato la chiaroveggenza originaria. Oggi l’opinione pubblica ha preso sempre più la tendenza a dividersi in schieramenti, a vedere il dibattito politico – o, come la chiamavano un tempo, la cosa pubblica – come uno scontro e raramente con l’ipotesi di un incontro, di uno scambio, capace di creare qualcosa di utile per la comunità; sull’altare del buonsenso abbiamo così sacrificato il pluralismo, un concetto tanto democratico quanto ormai passato di moda. Di questo atteggiamento divisionistico le vere vittime non sono gli schieramenti perdenti, ma piuttosto le minoranze – sì, anche quelle linguistiche – che a questa battaglia ideologica non riescono nemmeno a prendere parte.

È un po’ in questi termini che si può descrivere l’orizzonte attuale delle lingue minoritarie in Svizzera, le quali, pure all’interno del paese più democratico del mondo, devono continuare a lottare per ricordare alla maggioranza – e non certo per prevalere su di essa – la loro esistenza. Ne è una prova la riforma «Impiegati di commercio 2022», che almeno nella sua bozza iniziale disincentivava lo studio di un’altra lingua nazionale, così come le ripetute assenze di una rappresentanza della minoranza di lingua italiana in vari organismi a livello cantonale e federale.

Proprio per questa ragione è importante rimboccarsi le maniche e lavorare per uno stato più inclusivo e pluralista (anche a livello linguistico): azioni come il «Manifesto GR3» per rafforzare la coesione tra le comunità linguistiche nel Cantone dei Grigioni rappresentano davvero una boccata d’aria fresca per la nostra democrazia linguistica. Si tratta di un cammino tortuoso, ma necessario per poter tornare ad affermare che, almeno a livello linguistico, la Svizzera è davvero una democrazia.

Marco Ambrosino, classe 1992, ha conseguito il master in Letteratura comparata e Storia generale presso l’Università di Friburgo. Dal 2020 è operatore culturale della Pro Grigioni Italiano in Bregaglia.

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