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Wurzeln

Paolo G.
Fontana
16.03.20 - 04:30 Uhr

Das Zusammenleben der Sprachen und Kulturen in Graubünden: Das ist das Thema der Kolumne «Convivenza», die wöchentlich in der «Südostschweiz» und der romanischen Tageszeitung «La Quotidiana» publiziert wird.

Von Paolo G. Fontana*

«Wo gehn wir denn hin?», heisst es in «Heinrich von Ofterdingen», dem grossen Roman von Novalis. «Immer nach Hause», lautet die Antwort, eine Antwort ohne Zögern und Zweifeln. Der Entscheidung mangelt es nicht an Klarheit, denn wenn man, wie es der berühmte Autor Claudio Magris sagt, «auf der Reise, unbekannt unter Unbekannten, erlebt und lernt, niemand zu sein», so kann man umgekehrt «an einem geliebten Ort, der fast körperlich zu einem Teil oder zu einer Verlängerung der eigenen Person geworden ist, in Anlehnung an Don Quichotte sagen: «Hier weiss ich, wer ich bin».

«Hier weiss ich, wer ich bin»: Dies vermitteln – mal mit instinktiver Gewissheit, mal mühsam errungen – die Geschichten, die im Rahmen eines von der Pro Grigioni Italiano produzierten Video-Projekts gesammelt wurden, das in wenigen Tagen vorgestellt wird. Es besteht aus einem Dokumentarfilm (als Beilage einer Sonderausgabe der «Quaderni grigionitaliani» erhältlich) und zehn Kurzvideos (veröffentlicht unter www.pgi.ch/radici, deutsch und romanisch untertitelt). Die Protagonisten der Filme kommen aus den verschiedenen Gegenden Italienischbündens.

«Hier bin ich, wer ich bin»: Für viele ist Selbst(wieder)findung (so ist eben Novalis’ «Immer nach Hause» zu verstehen) einfacher, wenn sie für sich eine Heimat ausgemacht haben, einen Ort, einen physischen und zugleich geistigen Raum als Ausgangs- und Rückkehrpunkt, oder auch nur einen Sehnsuchtsort, den sie vielleicht nie kennengelernt haben. Oder anders ausgedrückt: wenn sie Wurzeln geschlagen haben. Wurzeln schlagen an einem bestimmten Ort bedeutet jedoch immer auch Wurzeln schlagen an einem bestimmten «Ort in der Zeit», etwas anderes als die Zeit, in der wir uns befinden und die wir nicht einmal wählen können; es impliziert eine Beziehung zur zeitlichen Dimension, also eine Beziehung zur Gegenwart, aber auch zur Vergangenheit und zur Zukunft.

Unter «Wurzeln schlagen an einem bestimmten Ort in einer bestimmten Zeit» könnte in einer konservativen oder nostalgischen Sichtweise fälschlicherweise eine Haltung verstanden werden, die den Wandel der Zeit und der Generationen mit Ablehnung betrachtet und gegenüber jedem fremden Einfluss resistent ist («Heimat, das ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit», schrieb Martin Walser). Die Geschichten, die das Projekt «Wurzeln. Italienischbündnerische Orte in generationsübergreifenden Austausch» («Radici. Luoghi del Grigionitaliano nello scambio intergenerazionale») erzählt, handeln jedoch weniger von der Überlieferung familiärer oder gemeinschaftlicher Traditionen, als – so sagt es schon der Titel – um einen Austausch, bei dem Jung und Alt bei der Fortführung einer Aktivität zusammenarbeiten, und dies ohne Scheu vor Neuerungen. Möglicherweise gelingt es ihnen sogar, gemeinsam etwas von Grund auf Neues zu erschaffen, etwas, was dereinst Tradition werden kann.

*Paolo G. Fontana, Jahrgang 1981, hat an der Universität Pavia das Doktorat in Geschichte des Föderalismus und der Europäischen Union erworben. Seit 2014 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Pro Grigioni Italiano.

 

Radici

Di Paolo G. Fontana*

«Dove stiamo andando?», si chiede nello «Heinrich von Ofterdingen», il grande romanzo di Novalis. «Sempre verso casa», è la risposta, immediata e priva di incertezze. Una scelta chiara d’identità, perché, come osserva il noto scrittore Claudio Magris, se «nel viaggio, ignoti fra gente ignota, si impara in senso forte a essere Nessuno», al contrario «in un luogo amato divenuto quasi fisicamente una parte o un prolungamento della propria persona [si può] dire, echeggiando don Chisciotte: qui io so chi sono».

«Qui io so chi sono»: questo è più o meno il senso – talora istintivamente certo, talora più travagliato – delle storie raccolte all’interno di un progetto audiovisivo prodotto dalla Pro Grigioni Italiano che sarà presentato tra pochi giorni e che è composto da un film-documentario (disponibile come allegato a una speciale edizione dei «Quaderni grigionitaliani») e da altri dieci più brevi filmati (pubblicati all’indirizzo www.pgi.ch/radici e sottotitolati anche in tedesco e romancio) che coinvolgono protagonisti sparsi dalla Calanca alla Valposchiavo.

«Qui io sono chi sono»: per molti, anche se non per tutti, il (ri)trovare sé stessi (perché altro non è il senso dell’andare «sempre verso casa» di cui parla Novalis) è certamente più facile riconoscendo una Heimat, un luogo, uno spazio fisico e al tempo stesso «spirituale» da cui partire e a cui ritornare, o anche solo a cui anelare senza avervi nati o senza averlo forse mai conosciuto prima: in altre parole, trovando e mettendo delle «radici». «Mettere radici» in un determinato luogo è però anche sempre «mettere radici» in un determinato «luogo nel tempo», qualcosa di diverso dall’ora o dall’epoca in cui ci troviamo (e che neppure possiamo scegliere) e che implica un rapporto con la dimensione temporale, ovvero una relazione con il presente ma anche con il passato (e che con il tempo che ancora deve venire).

Questo «mettere radici» in un determinato luogo e in determinato tempo potrebbe essere inteso, erroneamente, in chiave conservatrice o nostalgica, ostile al mutare del tempo e delle generazioni, refrattaria ad ogni influsso «straniero» («Heimat, das ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit», ha scritto Martin Walser). Al contrario, le storie narrate nel progetto Radici. Luoghi del Grigionitaliano nello scambio intergenerazionale vogliono parlarci non tanto (o non solo) del tramandamento di «tradizioni» familiari o comunitarie da una generazione a quelle che seguono, ma piuttosto – come dice il titolo – di un processo di scambio, in cui i più giovani e i più anziani lavorano insieme alla prosecuzione di un’attività, senza chiudersi all’innesto di tratti innovativi, o persino lavorano insieme alla creazione ex novo di quelle che forse, in futuro, potranno divenire «tradizioni».

*Paolo G. Fontana, classe 1981, ha conseguito il dottorato in Storia del federalismo e dell’unificazione europea presso l’Università di Pavia. Dal 2014 è collaboratore scientifico della Pro Grigioni Italiano.

 

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