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Kinder kennen weder Hass noch Angst

Oliver
Fischer
22.05.20 - 04:30 Uhr

Beginnt das Chaos jeden Tag von vorn, sagen wir: Herzlich Willkommen im Familienleben. Unser Alltag reiht verrückte, bunte, profane und ab und zu unfassbar perfekte Momente aneinander. Das Leben als Mama oder Papa ist eine aufregende Reise, auf die wir Euch nun mitnehmen. Ganz nach dem Motto: Unser Alltag ist ihre Kindheit.

Jedes Kind ist unschuldig. Oder besser, jedes Kind kommt unschuldig zur Welt. Wenn wir Erwachsenen sagen, wir seien farbenblind, um darauf hinzuweisen, dass wir im Fall keine Rassisten seien und die Hautfarbe einer Person für uns derart unwichtig sei, dass wir gar nicht realisieren würden, wenn jemand eine andere Hautfarbe hat als wir selbst, dann lügen wir. Schlicht und einfach. Das heisst nicht, dass jemand eben doch ein Rassist ist. Das nicht. Aber zu behaupten, man nehme Hautfarben nicht wahr, ist gelogen.

Ich habe das an mir selbst dieser Tage wieder einmal - durchaus schmerzlich - feststellen müssen. Das Kind geht seit zwei Wochen wieder in den Kindergarten. Zum ersten Mal seit unserem Umzug. Es lernt also gerade ein neues Umfeld, eine neue Lehrperson und sehr viele neue Kinder kennen. Von manchen erzählt es dann zuhause.

Jemand, von dem wir zuhause schon ein, zwei Mal gehört haben, ist Markus*. Markus ist gross. Also vor allem: grösser als das Kind selbst. Er ist laut und lacht viel. Er macht oft Seich und ist ein Lustiger. Das haben wir beim Znacht über Markus erfahren. Das sind die Eigenschaften des Jungen, die dem Kind wichtig sind, die bemerkens- und berichtenswert sind.

Diese Woche habe ich Markus* auf dem Spielplatz beim Kindergarten zum ersten Mal gesehen. «Schau der grosse Junge da, der mit den anderen Seich macht, ist Markus», sagt das Kind. Das erste, was ich von ihm wahrgenommen habe, ist seine Hautfarbe. Markus ist nämlich schwarz. Nach ein paar Minuten auf dem Spielplatz erkenne ich auch all das, was ich über den Menschen Markus schon erzählt bekommen habe: er ist laut und lacht viel. Er macht gern Seich mit den anderen Kinder und er ist ein sehr fröhlicher Junge.

Worauf ich hinaus will: Meinem fünfjährigen Kind fällt es nicht einmal ein, ein anderes Kind über dessen Äusseres zu beschreiben, sondern lernt es kennen und sieht einfach einen Menschen mit seinen Eigenschaften. So etwas wie Angst, Unbehagen oder gar Hass gegenüber einer Person, die anders ist als sie selbst, kennen Kinder (noch) gar nicht. Wenn es etwas davon entwickelt, dann, weil es das lernt. Von seinen Eltern, von Freunden, von Mitmenschen, von der Gesellschaft.

Kein Mensch wird als Rassist geboren. Kein Mensch ist einfach von Natur aus homophob, xenophob, misogyn, trans-, queer- oder sonst-was-feindlich. Alle diese Formen von Hass und Angst, werden Kindern im Laufe ihres Lebens anerzogen - oder eben nicht. Wir Eltern können uns dazu entscheiden unsere Kinder zu offenen und toleranten Menschen gegenüber allen anderen erziehen. Es wäre auch gar nicht so schwierig: man muss es nur selbst vorleben.

*Name geändert

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