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E-Sport als willkommene Abwechslung

Stefan
Salzmann
15.04.20 - 09:56 Uhr
KEYSTONE
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Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Stefan Salzmann* über E-Sport in der aktuellen Situation

E-Sport ist, wenn das letztplatzierte Thun im virtuellen Fussball plötzlich triumphiert und die Spitzenteams im Liga-Alltag wie der FC Basel und die BSC Young Boys das Nachsehen haben. So geschehen am Osterwochenende, als Thun-Profi Nicola Sutter den «eFootball Cup 2020» gewinnen konnte und seinen Mitspielern im realen Abstiegskampf damit womöglich etwas Mut machte – sofern die diesjährige Super-League-Saison in naher Zukunft doch noch zu Ende gespielt werden kann. Sutter setzte sich am vergangenen Sonntag im neusten Fifa-Game von EA Sports an der Konsole gegen neun weitere Profis der höchsten Schweizer Fussballliga durch und feierte den Erfolg (gezwungenermassen) anschliessend mit seinen Eltern zu Hause, statt mit seinen Teamkollegen im Stadion.

Mein Herz frohlockt. Ich bin zwar kein Fan des FC Thun, habe aber eine Schwäche für Aussenseiter. Erinnerungen werden wach, als ich in meiner Kindheit den FC Aarau auf der Konsole zum Champions-League-Sieger machte. Grossklubs wie Manchester United, AC Milan und Real Madrid kippte ich der Reihe nach aus dem Wettbewerb. Im virtuellen Spiel werden Träume wahr. Träume, die im realen Leben viel zu selten Wirklichkeit werden. 

Selbst greife ich nicht mehr oft zur Konsole. Und dies hat sich auch während der aktuellen Situation nicht geändert – doch damit bestätige ich eher die Ausnahme als die Regel. Denn das Gamen zu Hause erlebt einen regelrechten Aufschwung. E-Sport boomt und hat sich zu einem Massenphänomen entwickelt. Nicht erst jetzt, weil momentan kein Sport im TV läuft. Schon länger füllen professionelle E-Sportler Hallen und Arenen. Die Szene erhofft sich gar, dereinst Aufnahme im olympischen Programm zu finden. Der E-Sport hat in diesen Tagen und Wochen gegenüber dem klassischen Sport einen klaren Vorteil. Auch wenn die E-Sportler zwecks Vermarktung in den letzten Jahren immer öfters vom Wohnzimmer in öffentliche Arenen mit vielen Zuschauern gewechselt haben, lässt sich dies temporär schnellstens wieder rückgängig machen. Denn die Spiele erfordern kein physisches Treffen vor Ort. Die Zuschauer vor den Bildschirmen sind ihnen trotzdem gewiss. 

Und für die E-Sport-Profis ist es gleichzeitig eine Rückkehr zu den Wurzeln. Momentan können sie ihren Sport wieder in den eigenen vier Wänden betreiben, in bekannter Atmosphäre. Eben so, wie auch der Hobbyspieler Onlinegames spielt. Mittlerweile hat nicht nur der Fussball das Potenzial des virtuellen Sports erkannt. Beispielsweise hat die Formel 1 kurzerhand eine Rennserie gestartet, um die abgesagten oder auf unbestimmte Zeit verschobenen Grands Prix virtuell auszutragen. Mit Lando Norris (McLaren) und Nicholas Latifi (Williams) waren auch zwei Stammfahrer mit dabei. Und ich, der dem Formel-1-Sport nur wenig Begeisterung abgewinnen kann und höchstens den Start eines Rennens spannend findet, muss sagen: «Die virtuelle Austragung war von Anfang bis Schluss actionreich und spannend.» Trotzdem ist mir bewusst, dass dies nur wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat.

Und so gilt es festzuhalten: E-Sport ist gute Unterhaltung in einer sportfreien Zeit. Dass sich der Sportliebhaber damit auseinandersetzt und aufgrund der Umstände durchaus glücklich damit ist, ist klar. Die Sehnsucht nach echten Emotionen im Stadion oder vor dem TV wird er aber nie verdrängen können.

*Stefan Salzmann ist Sportredaktor bei der Zeitung «Südostschweiz»

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